AssCompact suche
Home
Investment
25. April 2016
„Die Ängste, die letzten Winter geschürt wurden, waren übertrieben“

„Die Ängste, die letzten Winter geschürt wurden, waren übertrieben“

Die Finanzmärkte präsentieren sich nach wie vor extrem volatil und sorgen für große Verunsicherung. AssCompact bittet Investmentexperten um Orientierungshilfe in Form von Antworten auf fünf grundlegende Anlegerfragen. Diesmal mit Stefan Keller, Investmentstratege und Fondsmanager bei Candriam.

Herr Keller, Aktien gelten vielen Deutschen nach wie vor als zu riskant. Zu Recht?

Das hängt einerseits vom Anlagehorizont, andererseits aber auch von den Alternativen ab. Bei einem Anlagehorizont über mehrere Jahre sollten Aktien nach wie vor ein wichtiger Bestandteil eines Portfolios sein. Und bei negativen Renditen der Bundesanleihen über einen Zeitraum von bis zu acht Jahren halten Anleger eher ein renditefreies Risiko statt eine risikofreie Rendite. In diesem Umfeld sind kontinentaleuropäische Aktien attraktiv, gerade nach dem Rückschlag am Jahresanfang. In Europa hat der Anstieg der politischen Risiken wie z. B. das EU-Referendum in Großbritannien weitere Unsicherheiten geschürt. Allerdings bleiben relativ billige Rohstoffpreise, ein schwacher Euro und lockerere Geld- und Fiskalpolitik als Wachstumstreiber bestehen. Unser Augenmerk sollte aber auch Aktien aus den Schwellenländern gelten, da diese heute so günstig bewertet sind wie z. B. nach der Rezession von 2001/02 und der Finanzkrise 2008/09. Die Bewertungen sollten Aktienanleger auf alle Fälle berücksichtigen.

Gibt es am Anleihemarkt noch attraktive Zinsen bzw. Renditen?

Wir gehen davon aus, dass das niedrige Zinsumfeld auf vorhersehbare Sicht weiter bestehen bleibt, auch wenn es mittelfristig deutlich mehr „Luft nach oben“ gibt. Daher halten wir insgesamt eine relative kurze Duration. Auf der Suche nach attraktiven Renditen gelten unsere stärksten Überzeugungen Unternehmensanleihen guter Qualität in USA und Europa, die Anfang des Jahres stark gefallen sind und ein sehr negatives volkswirtschaftliches Szenario eingepreist haben. Im Bereich der Staatsanleihen halten wir auch Emissionen aus Schwellenländern, da wir dort eine Stabilisierung der Volkswirtschaften erwarten. Ferner sind sogenannte inflationsgeschützte Anleihen interessant, da diese aufgrund des niedrigen Niveaus der Rohstoffpreise extrem attraktiv sind und die Rendite auch bei zunehmenden Preisspannungen geschützt ist.

Wie gefährlich ist die Lage in China für die Finanzmärkte?

Die letzten Entwicklungen zeigen, dass die Ängste eines bevorstehenden Abschwungs, die letzten Winter geschürt wurden, übertrieben waren. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt wird auch weiterhin wichtige Wachstumsimpulse setzen, auch wenn das Wachstum nicht mehr ganz so hoch wie noch zur Jahrtausendwende ist. Von wichtiger Bedeutung für den Rest der Welt ist die Tatsache, dass die Herstellerpreise im März das erste Mal seit zwei Jahren wieder im Vergleich zum Vormonat gestiegen sind. Dadurch, und auch dank eines stabilen Yuans, sind die Gefahren einer exportierten Deflation gesunken. Die Verantwortlichen in China kennen auch die Ungleichgewichte und insbesondere die Überkapazitäten, die in den letzten Jahren angewachsen sind – mittelfristig sollten diese graduell abgebaut werden, ohne dass es zu extremen Verwerfungen kommen sollte.

Was ist derzeit die größte Gefahr für die Finanzmärkte?

Ein unerwarteter Schock, der eine Rezession auslöst, oder ein plötzlicher, starker Anstieg der Inflation wären die beiden Szenarien, die große Schwankungen an den Märkten auslösen würden. Wie wir Anfang des Jahres gesehen haben, ist die Reaktion der Märkte aus Furcht vor einem Abschwung besonders heftig ausgefallen, auch weil die US-Wirtschaft einen sehr untypischen Wachstumszyklus durchläuft. Die Zentralbanken verfolgen weltweit eine noch lockerere Geldpolitik als bisher erlebt. Dadurch konnte eine Depression wie Anfang der 1930er Jahre abgewendet werden. Die derzeitige Reaktion der Zentralbanken ist darauf zurückzuführen, dass sich die Wirtschaft und die Inflation nach der Finanzkrise schwächer entwickelt haben als erhofft. Heute rechnen nur wenige Anleger mit einem starken Anstieg der Inflation.

Wie sieht für Sie der ideale Anlagemix aus?

Der Schlüssel liegt unserer Ansicht nach darin, tatsächlich in viele verschiedene Anlageklassen zu investieren, um mit einem breit diversifizierten Portfolio stabile Renditen zu erzielen. Anleger sollten sich dabei aber nicht unbedingt nur auf ihr Heimatland bzw. ihre Region beschränken, sondern die internationalen Anlagemöglichkeiten nutzen. So haben wir neben europäischen Aktien auch Einstiegschancen bei Unternehmensanleihen in USA oder bei Emissionen in den Schwellenländern ausfindig gemacht. Da die Zinsen mit den Aktienmärkten stark korrelieren, ist eine klassische Aktien/Renten-Diversifikation nicht mehr ausreichend. Über Aktie und Rente hinaus sollten Anleger auch die Währungs- und Rohstoffmärkte im Blick haben. Dadurch können sie beispielsweise die Erholung an den Rohstoffmärkten und die geringeren Erwartungen an die Straffung der US-Geldpolitik nutzen, um auf eine Aufwertung des kanadischen oder australischen Dollar gegenüber dem US-amerikanischen Dollar zu setzen.(mh)