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8. August 2018
„Für Versicherer und Vermittler heißt es, sich neu zu erfinden“

„Für Versicherer und Vermittler heißt es, sich neu zu erfinden“

Um weiter wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Versicherer und Vermittler ihr Dienstleistungsspektrum überprüfen und die neu verfügbaren Datenquellen nutzen. Zur Datenbeschaffung und -analyse braucht es Teamwork zwischen Versicherern und Vermittlern, so Allianz-Vorstand Dr. Rolf Wiswesser im Gespräch mit AssCompact.

Herr Dr. Wiswesser, Transformation ist das Zauberwort der Stunde. Wie sehr stehen die Geschäftsmodelle der Versicherer unter Druck?

Lassen Sie mich mit einem kurzen Beispiel beginnen. Bis 2001 war Apple ein Computerhersteller, später einer der führenden Hersteller von Unterhaltungselektronik und mit der Apple Watch 2017 erstmalig der größte Hersteller von Uhren. So verändern sich Geschäftsmodelle in Zeiten der Digitalisierung. Es heißt, sich neu zu erfinden und die damit vertrauten Grenzen außer Kraft zu setzen.

In der Versicherungsindustrie stehen wir hier erst am Anfang. Die Konkurrenten kommen auch von außerhalb. Automobilhersteller nutzen bereits Telematikdaten und etablieren sich als Versicherungsverkäufer. Amazon verkauft Versicherungen als Annex zu seinen Produkten. Andere Unternehmen folgen, und InsurTechs gehen neue Wege im Vertrieb. Dies fordert die etablierten Geschäftsmodelle heraus.

Und die Reaktion der Versicherer?

Die Versicherer sind dabei, Angebote zu entwickeln, um sich als dauerhafte Lebensbegleiter anzubieten. Beispiele dafür sind App-basierte Zusatzangebote wie etwa Telematik, Activity-Tracker, Gesundheitsprogramme oder Einkaufsgemeinschaften. Wir müssen die größtmögliche Kundennähe erzielen. Um das zu erreichen, werden die Versicherer ihre Dienstleistungen ausweiten.

Wo bleibt der Vermittler?

Für den Vermittler stellt sich ebenfalls die Frage, an welchen Stellen er sein Dienstleistungsspektrum erweitern kann. Jeder muss sich mit der Frage befassen, für welche Gruppe von Kunden er spezifische Lösungen bereitstellen kann. Erfahrene Industriemakler bieten mittelständischen Kunden heute schon nicht mehr nur Lösungen zur Schadenabsicherung, sondern auch konkrete Ideen zur Schadenvermeidung und Ansätze zur Optimierung ihrer Prozesse, wie beispielsweise beim Fuhrparkmanagement.

Wie wird das die Zusammenarbeit zwischen Versicherern und Maklern verändern?

Versicherungsunternehmen und Berater können sich in diesem Geschäftsmodell gegenseitig unterstützen, indem sie spezifische Problemlösungen für ihre Branchen beziehungsweise Kundengruppen bereitstellen. An dieser Stelle ist Teamwork gefordert. Das Denken in Lebenswelten anstelle von Produktclustern ist dazu eine wichtige Voraussetzung.

Bedeutet das auch, Sie müssen an mehr Daten der Kunden?

Das bessere Verständnis von Kundenwünschen ist die Grundlage guter Beratung und das Fundament der Versicherer. Hinzu kommt die Fähigkeit zur richtigen Einschätzung eines Risikos und zur Bestimmung einer risikogerechten Prämie. Auch hierfür ist eine solide Datengrundlage von Risiken und Schäden unerlässlich. Dies ist bis heute einer der spezifischen Wettbewerbsvorteile des personengebundenen Vertriebs. Die Digitalisierung eröffnet aber neue Ansätze, die den Vorsprung des persönlichen Beraters in Bezug auf Kundennähe gefährden können.

Die Vormacht von Google oder Amazon zu durchbrechen, wird schwer werden.

Die neuen Möglichkeiten zur Erfassung und Analyse von Daten haben jedenfalls höchste Relevanz für unser Geschäftsmodell – aus Sicht sowohl des Vermittlers als auch des Versicherers. Wir benötigen Zugang zu relevanten Daten auch dann, wenn diese über neue Wege ermittelt werden, die wir nicht kontrollieren.

Was ist mit dem Datenschutz?

Versicherer und Vermittlerverbände müssen die Gesellschaft gemeinsam dafür sensibilisieren, dass relevante Daten entweder entsprechend geschützt werden oder aber alle Berechtigten einen fairen Zugang erhalten, sofern die Kunden damit einverstanden sind. Datenschutz ist aber auch kein Selbstzweck. In vielen Fällen ist die Nutzung von Daten für alle von Vorteil. So hat beispielsweise die Einführung der Telematik einen großen positiven Einfluss auf das Fahrverhalten unserer Kunden gezeigt. Zudem stellen die Kunden bereits heute ihre Daten freiwillig zur Verfügung, etwa um durch Payback Rabatte zu erhalten oder bei Google ihre Suchanfragen zu personalisieren.

Wie genau soll das angesprochene Teamwork zwischen Versicherer und Makler funktionieren?

Daten sind der Rohstoff für Versicherungen und Berater. In Zukunft wird der Berater darauf angewiesen sein, dass Versicherer oder andere Dienstleister ihm zusätzliche Daten zur Verfügung stellen. Und im Gegenzug wird er alle versicherungsrelevanten Daten aus eigener Überzeugung dem Unternehmen zur Verfügung stellen, denn nur so lässt sich ein ganzheitliches Bild zur Risikosituation des Kunden erstellen.

Davon wird auch der Kunde profitieren, der beispielsweise bei der Optimierung der häuslichen Sicherheit oder in Gesundheits- und Ernährungsfragen unterstützt wird. Dem Berater fällt die Aufgabe zu, den Kunden für die Freigabe von Daten zu gewinnen. Das Beispiel Telematik kann auch diesen Zusammenhang treffend illustrieren. Nur wenn der Berater den Kunden von dem Nutzen der Telematik überzeugt, wird dieser bereit sein, einen solchen Datenzugang zu ermöglichen. Umgekehrt ist es die Aufgabe des Versicherers, aus den Daten die richtigen Schlüsse zu ziehen und so dem Kunden Vorteile zu eröffnen.

Auf Daten und Kundennähe setzen auch die InsurTechs. Sind diese im Vorteil?

Es gibt ja vielfältige Varianten an InsurTechs und neuen Vertriebsmodellen. Interessant ist in dem Zusammenhang die Idee, moderne Sprachassistenten unterstützt durch maschinengestützte Beratungsansätze quasi im Wohnzimmer einzusetzen. Seriös ist heute kaum abschätzbar, in welcher Geschwindigkeit Alexa, Siri, Cortana oder Bixby von Kunden in der Versicherungsberatung akzeptiert werden. Sicherlich ist hier eine zentrale Hürde, dass sich Kunden selten aus freien Stücken mit dem Thema Versicherung auseinandersetzen. Es wird aber wahrscheinlich den Sprachassistenten gelingen, das Thema Versicherung zu den richtigen Anlässen aktiv anzusprechen.

Demnach müssten sich Versicherer und Vermittler an dieser Stelle positionieren?

In der Tat sollten wir uns damit beschäftigen, wie wir die neuen Möglichkeiten der Sprachassistenz in die personengebundene Beratung integrieren können. So kann beispielsweise der Sprachassistent zu passendem Anlass den direkten Kontakt zwischen qualifiziertem bestehenden Berater und Kunde herstellen.

Versicherungsunternehmen und Vermittler sind gemeinsam aufgefordert, in neuen Geschäftsmodellen die Chance zu suchen, wie sich diese in die persönliche personengebundene Beratung integrieren lassen. Es bestehen viele Möglichkeiten, die Stärken beider Geschäftsmodelle miteinander zu verbinden. Eine qualifizierte Beratung wird in der Zukunft ohne elektronische Unterstützung und Analyse nicht möglich sein. Umgekehrt wird eine Maschine allein, ohne die Unterstützung der emotionalen Komponente einer persönlichen Beratung, nur begrenzte Potenziale schöpfen. Wir sind jedenfalls neugierig und fest entschlossen, die kommende Entwicklung proaktiv zu gestalten.

Das Interview lesen Sie auch in AssCompact 08/2018, Seite 26 f.