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19. Dezember 2014
„Kluft zwischen alten Zinsgarantien und aktuellen Niedrigzinsen ist enorm“

„Kluft zwischen alten Zinsgarantien und aktuellen Niedrigzinsen ist enorm“

Um vor dem Hintergrund der anhaltenden Niedrigzinsphase weiterhin nachhaltig wirtschaften und im Kundeninteresse handeln zu können, müssen Lebensversicherer heute einschneidende Maßnahmen ergreifen. Diese sind teilweise gesetzlich bedingt, teilweise unternehmensspezifisch veranlasst. Stichwörter dabei sind: Bildung höherer Zinszusatzreserven, Auflösung stiller Reserven, niedrigere Überschussbeteiligungen und die Änderung der Provisionsmodelle. Nachgefragt bei Dr. Guido Bader, Vorstand Leben der Stuttgarter Lebensversicherung a.G.

Herr Dr. Bader, die deutschen Lebensversicherer befinden sich in einem Zins-Dilemma. Das Problem sind die hohen Zinsgarantien bei alten Verträgen und die aktuellen Niedrigzinsen. Wie weit geht die Kluft auseinander?

Die Kluft ist enorm. Fast alle deutschen Lebensversicherer haben sehr viele Verträge mit einem Garantiezins von 3%, 3,25%, 3,5% oder gar 4% im Bestand. Der durchschnittliche Garantiezins der bestehenden Verträge dürfte bei den meisten Versicherern noch über 3% liegen. Dem gegenüber können die Unternehmen heute an den Kapitalmärkten gerade einmal zwischen 1% und 1,5% ohne Risiko erwirtschaften. Hier gilt es nun einen Spagat zu bewerkstelligen. Einerseits müssen die Garantien in den Altverträgen bedient werden, andererseits dürfen weder unkalkulierbare Risiken an den Kapitalmärkten eingegangen noch die Attraktivität der Verträge für Neukunden beschädigt werden.

Für diese Lücke müssen die Lebensversicherer zusätzliche Rückstellungen bilden. Wie wird die entsprechende Zinszusatzreserve berechnet und welche Beträge erwarten Sie in den nächsten Jahren?

Das deutsche Handelsrecht schreibt eine vorsichtige Bilanzierung vor. Daher müssen Versicherer für den Fall einer anhaltenden Niedrigzinsphase vorsorglich zusätzliche Rückstellungen bilden, die sogenannte Zinszusatzreserve. Diese soll sicherstellen, dass die Unternehmen auch zukünftig die versprochenen Garantien einhalten können. Im Kern funktioniert die Zinszusatzreserve so, dass die Rückstellungen für die Versicherungsverträge nicht mit dem ursprünglichen hohen Garantiezins berechnet werden, sondern mit einem vom Finanzministerium vorgegebenen geringeren Referenzzinssatz. Der Unterschiedsbetrag ist dann als Zinszusatzreserve zu bilanzieren.

Aktuell liegt dieser Referenzzinssatz bei 3,15%, so dass 2014 eine Zinszusatzreserve für alle Verträge mit Garantien von 3,25%, 3,5% und 4% gebildet werden muss. Bleiben die Kapitalmarktzinsen auf dem derzeitigen Niveau, so fällt dieser Referenzzins in den nächsten zehn Jahren auf einen Wert nahe 1%. Dies führt zu weiteren sehr hohen Belastungen für die Unternehmen, die bei den meisten in Summe zwischen 10% und 20% der Deckungsrückstellung erreichen werden – ein Vielfaches des Eigenkapitals.

Welche Folge haben die hohen Rückstellungen für die Unternehmen?

Die Unternehmen werden diese Zusatzrückstellungen nicht aus ihren laufenden Erträgen finanzieren können. Allerdings haben die Versicherer derzeit auch hohe stille Reserven in ihren Kapitalanlagen. Diese müssen nun sukzessive realisiert werden, um die Zinszusatzreserve stellen zu können. Die Unternehmen werden also in den nächsten Jahren hohe Nettoverzinsungen ausweisen, was in den meisten Fällen nicht auf eine besonders erfolgreiche Kapitalanlage, sondern auf einen besonders hohen Finanzierungsbedarf schließen lässt. Ein hoher Nettozins darf also nicht mehr vorschnell als Gütesiegel interpretiert werden, sondern kann auch auf besonders großen Kapitalbedarf hinweisen.

Inwiefern hilft es den Versicherern, dass sich mit dem LVRG die Beteiligung an den Bewertungsreserven ändert?

Die durch das LVRG modifizierte Beteiligung an den Bewertungsreserven entlastet die Unternehmen deutlich. Diese Entlastung reicht aber bei Weitem nicht aus, um den Finanzierungsbedarf für die Zinszusatzreserve zu decken. Unabhängig von den finanziellen Implikationen erachte ich die geänderte Beteiligung an den Bewertungsreserven aber im Sinne des Kollektivgedankens für sachgerecht und zwingend geboten.

Sie haben Ihr neues Provisionsmodell nach dem LVRG sehr früh bekannt gegeben. Sie senken die Abschlusskosten um 15‰ zugunsten einer laufenden Bestandscourtage. Welchen Effekt hätte es, wenn Sie – oder auch andere Versicherer – dies nicht tun würden?

In erster Linie stellen wir unser Courtagemodell nicht aufgrund bilanzieller Erwägungen um, sondern weil dies dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Würden wir die aktuellen Courtagen unverändert weiter bezahlen, so führte dies bei unterstellter „sauberer Kalkulation“ – das heißt neben der Zillmerung keine weiteren fallenden oder abgekürzten Kostensätze – zu einer erheblichen Vorfinanzierung. Diese zusätzlichen Aufwände würden – neben der Zinszusatzreserve – die Bilanzen der Unternehmen massiv belasten. So zu handeln wäre im aktuellen Kapitalmarktumfeld ökonomisch höchst unvernünftig.

Welche Überschussbeteiligung deklarieren Sie für 2015?

Auch in 2015 kann Die Stuttgarter eine marktüberdurchschnittliche Gesamtverzinsung inklusive Schlussüberschüssen von 4% bieten. Die laufende Verzinsung mussten wir dabei vor dem Hintergrund der anhaltenden Niedrigzinsphase um 0,3% auf 3,3% absenken. Der Schlussüberschussanteil – inklusive Mindestbeteiligung an den Bewertungsreserven – hat weiterhin einen Wert von 0,7%.

Wie strapazierfähig sind die Lebensversicherer noch?

Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Finanzstarke Unternehmen sind strapazierfähiger als finanzschwache. Aber in der Öffentlichkeit ist die Vorstellung immer noch weit verbreitet, dass die Versicherer auf üppigen Geldquellen sitzen, die es anzuzapfen gilt. Von dieser Vorstellung müssen wir uns langsam aber sicher verabschieden.