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13. September 2016
„Vermittler sollten sich unbedingt mit der Solvenzquote auseinandersetzen“

„Vermittler sollten sich unbedingt mit der Solvenzquote auseinandersetzen“

Das Aufsichtsregime Solvency II geht in den neunten Monat und noch müssen die Versicherer ihre Solvenzquoten nicht veröffentlichen. Nächstes Jahr wird dies der Fall sein und Assekurata-Geschäftsführer Dr. Reiner Will empfiehlt im Interview mit AssCompact, dass Versicherungsmakler diese bei der Produktentscheidung im Auge behalten sollten. Dies gelte aber auch für andere Kennzahlen wie etwa der Zinszusatzreserve in der Lebensversicherung.

Herr Dr. Will, seit Anfang 2016 gelten neue Aufsichtsregeln unter Solvency II. Themen wie die Absenkung des Höchstrechnungszinses, Zinszusatzreserve und jetzt auch die Solvenzkapitalanforderungen bewegen die Branche. Welche davon müssen Ihrer Ansicht nach auch in die Beratung einfließen?

Für die Auswahl einer geeigneten Anbieter-Produkt-Kombination ist jedes dieser Themen wichtig. Berater sollten sich ein genaues Bild über die Finanzkraft des Anbieters machen und dieses dem Kunden zugänglich machen. Ob diese eher technischen Zusammenhänge aber in der Beratung hilfreich und zweckmäßig sind, daran habe ich meine Zweifel. Viel wichtiger ist die Erkenntnis an sich. Denn während langfristige Anbietersicherheit früher quasi ein Selbstverständnis darstellte, ist es in den heutigen Zeiten zu einem echten Differenzierungsmerkmal geworden.

Nehmen Sie als Beispiel die Zinszusatzreserve: Sie dient seit 2011 dazu, künftigen Finanzierungslücken bei der Erfüllung der Garantieversprechen entgegenzuwirken. Bis 2015 wurden marktweit schon mehr als 30 Mrd. Euro reserviert. In diesem Jahr erwarten wir weitere 14 bis 15 Mrd. Euro. Allerdings sind die einzelnen Gesellschaften sehr unterschiedlich betroffen. Entscheidend hierfür ist der Geschäftsschwerpunkt sowie die Gestaltung und Höhe der Garantien in den Beständen und im Neugeschäft. Dies hängt von der Art des betriebenen Geschäfts ab. Generelle Aussagen über die Belastungsgrenzen sind daher nicht möglich. Umso wichtiger ist es, ganz individuell auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Versicherers zu schauen. Qualifizierte Unternehmens- und Bonitätsratings geben dabei eine wertvolle Hilfestellung.

Welche Bedeutung müssen Vermittler der Solvenzquote bei der Produktauswahl beimessen? Der GDV hatte ja kürzlich betont, dass auch eine Quote von 90% ausreichend sei, um aktuelle und künftige Verpflichtungen zu erfüllen.

Vermittler sollten sich unbedingt mit der Solvenzquote unter Solvency II auseinandersetzen. Die Solvenzquote signalisiert, ob ein Versicherungsunternehmen unter ökonomischen Marktwertbetrachtungen auch in Extremszenarien genügend Eigenmittel zur Bedeckung seiner Risiken hat. Sie sollte daher mindestens bei 100% liegen. Ein Unterschreiten dieser Grenze bedeutet zwar noch keine unmittelbaren Leistungskürzungen für die Versicherten, ist jedoch ein Frühwarnsignal und ruft nicht zuletzt die Aufsichtsbehörde BaFin auf den Plan. Nach deren Aussage haben einige Unternehmen unter Solvency II Schwierigkeiten und stehen folglich unter intensiver Beobachtung.

Allerdings ist Quote nicht gleich Quote. Beispielsweise können die Unternehmen auf Antrag über einen Zeitraum von 16 Jahren sogenannte Übergangsmaßnahmen für ihren Bestand in Anspruch nehmen. Dies ist insbesondere für Versicherungsverträge mit langfristigen Garantien von hoher Bedeutung, erschwert jedoch den Vergleich der Solvenzquoten miteinander. Des Weiteren weichen Standardberechnung und Berechnung interner Modelle, welche einige große Versicherer nutzen, voneinander ab. Die Berechnung der Quoten erfolgt zudem unter Anwendung zahlreicher Managementregeln, die Spielräume eröffnen.

Das klingt sehr komplex.

Die Komplexität ist in der Tat sehr groß. Problematisch ist zudem, dass in den bisherigen Veröffentlichungen sich nicht immer erkennen lässt, auf welcher Modellbasis die Quote berechnet wurde und ob Übergangsmaßnahmen genutzt wurden oder nicht. Grundsätzlich ist der Bedarf an sachlicher Information über Sinn, Zweck und Funktionsweise des neuen Aufsichtsregimes in der Öffentlichkeit groß. Hier wollen wir die Entwicklungen als Marktbeobachter aufmerksam begleiten und mit Vortrags- und Seminarangeboten zum fachlichen Verständnis von Solvency II beitragen. Bei Zweifeln oder Unsicherheiten sollten Vermittler auch direkt bei ihrem Lebensversicherer nachfragen.

Nicht nur die Vergleichbarkeit der Solvenzquoten, sondern auch die der Produkte ist ein großes Problem. Auch Vermittler und Kunden tun sich hier schwer. Ist eine Lösung in Sicht?

Hoffnung auf Besserung versprechen hier regulatorische Initiativen wie die Produktinformationsstelle Altersvorsorge (PIA), die an einem einheitlichen und verbindlichen Standard zur Ermittlung von Chancen-Risiko-Profilen und zur Berechnung der Effektivkosten in den staatlich geförderten Produkten arbeitet. Anbieter von Riester- und Basisrenten müssen dabei ab 2017 bei Abschluss eines Vertrages ein normiertes Produktinformationsblatt verwenden und die Kunden in standardisierter Form über die wesentlichen Produktmerkmale informieren.

Im Sinne der Transparenz würden wir es begrüßen, wenn die Vorgaben auf alle versicherungsförmigen Altersvorsorgeprodukte ausstrahlen und sich damit zu einem einheitlichen Vergleichsmaßstab in der Branche entwickeln würden. Denn nur wenn sich der Maßstab auf breiter Linie über alle Schichten der Altersvorsorge durchsetzt, kann er glaubhaft dazu beitragen, die Produkte besser einordnen und passgenauer mit dem Risikoprofil des Kunden abstimmen zu können. Hier sind die Anbieter gefordert, aktiv zur Transparenz beizutragen, damit sich letzten Endes nicht doch noch eine Vertrauenskrise in der Lebensversicherung einstellt.

Bei dem Text handelt es sich um einen Auszug. Das komplette Interview lesen Sie in AssCompact 10/2016.