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5. August 2016
Beratung 2020 – oder die Kunst der erfolgreichen Kommunikation

Beratung 2020 – oder die Kunst der erfolgreichen Kommunikation

Seit Langem gibt es einen Trend, den Vertrieb von Versicherungs- und Finanzprodukten mit positiv klingenden Bezeichnungen zu unterstützen. Versicherungsvertreter labeln sich als Wirtschafts-, Vermögens- oder Versicherungsberater. Problem: Der Verbraucher erkennt die rechtlich relevanten Unterschiede zwischen Vermittlern und Beratern in der Regel nicht.
Eine Glosse von Rechtsanwalt Hans-Ludger Sandkühler

Kürzlich im Charlottenburger Kiez. Auf einem Plakat im Schaufenster sucht eine Berliner Bäckerei nach einer „Brotberaterin“. Die Bäckerei selber nennt sich „Brotmeisterei“. Gleich zwei fantasievolle Wortschöpfungen auf einem Schlag. Sprachliche Evolution ist in. Bäckereiverkäuferin klingt profan und hausbacken. Brotberaterin liegt im Trend.

Sprache als Mittel der Kommunikation

Sprache dient der Kommunikation. Sprache transportiert Gedanken und Informationen von einem Menschen zum anderen. Bildlich kann man sich das so vorstellen, dass von einem Sender über ein Medium Nachrichten an einen Empfänger übermittelt werden. Die Nachricht wird vom Sender codiert und als Signal an den Empfänger übertragen. Der Empfänger muss das Signal decodieren, um die Nachricht zu verstehen. Die Kommunikation ist erfolgreich, wenn das Signal ohne Störungen übermittelt wird und Sender und Empfänger denselben Code verwenden. Ist das nicht der Fall, kommt es in der Kommunikation zu Störungen.

Digitale Kommunikation

In der digitalen Welt ist das Matchen von Informationen vergleichsweise einfach, weil die Informationen aufgrund der Verwendung von Binärcodes lediglich aus einer Anreihung von nur zwei Grundinformationen (+/– bzw. wahr/falsch) bestehen, die elektronische Prozesse anstoßen.

Sprachliche Kommunikation

Die Kommunikation der Menschen untereinander ist ungleich komplexer. Sprache besteht aus verschiedenen Zeichen und Regelsystemen (Laute, Buchstaben, Wörter, Sätze, Syntax). Sender und Empfänger müssen deshalb über einen möglichst großen Übereinstimmungsgrad ihrer Zeichen und Regelsysteme verfügen. Das ist in der Praxis nicht immer der Fall. Das liegt zum einen an der unterschiedlichen Sprachkompetenz der Beteiligten und zum anderen an der mangelnden Eindeutigkeit der Zeichen und Regelsysteme.

Gesprochene und geschriebene Sprache kennt viele bedeutungsähnliche oder bedeutungsverwandte Wörter. Während das Verb „sterben“ lediglich die Grundinformation liefert, können bedeutungsähnliche Wörter wie „verdursten“ oder „ertrinken“ die Grundinformation um weitere Informationen erweitern. Hinzu kommt, dass Wörter oder Sätze auch über Nebenbedeutungen (Konnotationen) verfügen, die bei der Verwendung des Wortes/Satzes als zusätzlicher wertender Begriffsinhalt mittransportiert werden können. So meinen die Wörter „Hund“ oder „Kläffer“ dasselbe Tier. Doch die übermittelte Information ist je nach verwendetem Wort unterschiedlich (Kläffer ist eine abschätzige Bezeichnung für einen Hund und ist so ein Beispiel für eine negative Konnotation).

Sprachkommunikation ist also nur erfolgreich, wenn Codierung und Decodierung auch die semantischen Unterschiede der verwendeten Zeichen berücksichtigen.

In unserem Ausgangsfall meinen die Wörter „Brotberaterin“ und „Bäckereiverkäuferin“ dasselbe, transportieren aber unterschiedliche Konnotationen: Brotberaterin gleich modern, trendy, jugendlich; Bäckereiverkäuferin gleich hausbacken, von gestern, ältlich. So schön und fortschrittlich sprachliche Evolution auch ist, so ist doch zu beachten, dass die Verwirrung der Begriffe (Konfuzius) naht, wenn die neue Wortschöpfung (Brotberaterin) in ihrer Grundbedeutung nicht mehr dem eigentlichen Vorgang (Verkauf von Brot) entspricht. Wahrscheinlich werden wir demnächst auch Kuchenberatern, Reifenberatern, Autoberatern oder Kundenberatern (?) begegnen.

Kommunikation in der Rechtssprache

Was bei Geschäften des täglichen Lebens noch unproblematisch erscheint, erweist sich bei der Auslegung von Gesetz und Recht als ungleich bedeutungsvoller. Mit den Gesetzen werden auf abstrakter Ebene ordnende Regelsysteme zur Verfügung gestellt, deren Rechtsfolgenanordnung dann auf die Praxis angewendet werden kann, wenn ein tatsächlicher Lebenssachverhalt der abstrakten Beschreibung des gesetzlichen Tatbestandes entspricht. Auch hier geht es darum, die im Gesetz formulierten Gedanken und Informationen zu decodieren und in ihrem wahren Sinngehalt zu erfassen. Nicht von ungefähr beschäftigen sich Juristen seit Jahrhunderten damit, geeignete Methoden zur Auslegung von Gesetzen zu entwickeln (am Anfang war das Wort).

Dass das nicht immer einfach ist, hat Goethe schön auf den Punkt gebracht: „Im Auslegen seid frisch und munter! Legt ihr᾽s nicht aus, so legt was unter!“ Hinzu kommt, dass Sprachevolutionen auch eigene Dynamiken entwickeln können. Es ist unverkennbar, dass es in der Versicherungs- und Finanzbranche seit Langem einen Trend gibt, den Vertrieb von Versicherungs- und Finanzprodukten mit positiv klingenden Bezeichnungen zu unterstützen. Versicherungsvertreter labeln sich als Wirtschaftsberater, Vermögensberater oder (seltener) Versicherungsberater oder einfach Berater. Im Grunde dieselbe Entwicklung wie bei der Brotberaterin. Die im Begriff „Berater“ enthaltene positive Konnotation transportiert positive Werte wie Neutralität, Objektivität und Seriosität und überstrahlt die profane Verkaufstätigkeit. Problem ist nur, dass der Verbraucher – anders als bei Geschäften des täglichen Lebens – die rechtlich relevanten Unterschiede zwischen Vermittlern und Beratern in der Regel nicht erkennt.

Immerhin hat sich der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der EU-Vermittler-Richtlinie dazu entschlossen, klar zwischen Versicherungsvermittlern und Versicherungsberatern zu unterscheiden, und Vermittler verpflichtet, ihren Status klar zu kommunizieren. Das war es dann aber auch. Die Auslegung von Gesetzen wird um- so schwieriger, je laxer der Gesetzgeber im Umgang mit der Rechtssprache ist. Ein Blick in die Rechtsvorschriften der Anlageberatung offenbart Mängel in der Gesetzessprache, die schon dem Fachmann das Verständnis erschweren, geschweige denn, dass ein Anleger als Partei in der Anlageberatung verstehen könnte, in welcher Funktion sein Anlageberater ihm gegenübersitzt. Obwohl, eigentlich ist die Unterscheidung ganz einfach: Ein Anlageberater, der dem Anleger Finanzprodukte verkauft und von dem Anbieter des Finanzproduktes dafür eine erfolgsabhängige Vergütung erhält, ist also Vermittler, heißt aber „Anlageberater“. Es sei denn, er verkauft nur Finanzanlagen, dann heißt er „Finanzanlagenvermittler“, muss aber auch beraten. Berät der Anlageberater den Anleger gegen eine Gebühr, heißt der Anlageberater „Honoraranlageberater“. Berät der Finanzanlagenvermittler den Anleger gegen Gebühr über Finanzanlagen, heißt er „Honorarfinanzanlageberater“. Alles klar? Wenn ein Anlageberater Finanzprodukte und Versicherungen gegen Provision verkauft (kommt in der Praxis der Banken relativ häufig vor), ist er gleichzeitig Anlageberater und Versicherungsvermittler, also eine Chimäre. Wer soll das als Kunde verstehen?

Die Wurzel des Übels ist schnell ausgemacht. Eigentlich weiß (kaum) einer, was Beratung überhaupt ausmacht. Hört sich gut an, und wenn der Gesetzgeber für bestimmte Vermittlungsprozesse Beratungspflichten vorsieht, ist schnell der gesamte Vermittlungsprozess als „Beratung“ apostrophiert. In Berlin entwickelt eine Expertengruppe eine Norm für eine private Finanzanalyse, eiert aber um die Frage, wie die „Analyse“ von der „Beratung“ abzugrenzen ist, weil die Analyse die Beratung nicht ersetzen soll.

Und es wird nicht besser. In der neuen IDD (Versicherungsvertriebsrichtlinie) werden Versicherungsunternehmen und Versicherungsvermittler unter dem Oberbegriff „Versicherungsvertreiber“ zusammengefasst. Preisfrage: Positive oder negative Konnotation? Das ist schon handwerklich nix. Und Kunst schon gleich gar nicht.

Vielleicht erkennt der Gesetzgeber bei der Umsetzung der IDD die Chance, das Finanzdienstleistungsrecht zu harmonisieren.

Den Text lesen Sie auch in AssCompact 08/2016, Seite 80 f.