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Arbeitskraftsicherung & Existenzschutz
11. Januar 2018
Die Zukunft der Arbeitskraftsicherung: Wer braucht sie? Und wer kauft sie?

Die Zukunft der Arbeitskraftsicherung: Wer braucht sie? Und wer kauft sie?

Wenn es um die Zukunft der Arbeitskraftsicherung geht, ist keine Kristallkugel erforderlich. Es reichen eine nüchterne Bestandsaufnahme sowie die Analyse der entscheidenden Trends, sagt Michael Franke, Geschäftsführer der Franke und Bornberg GmbH.

Jeder vierte Erwerbstätige in Deutschland beendet sein Berufsleben aus gesundheitlichen Gründen, sagt die Statistik. Obwohl niemand weiß, ob und wann ihn dieses Schicksal treffen könnte, sorgen nur 25% der potenziell Betroffenen mit privaten Versicherungen vor. Die Mitgliedsunternehmen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV) haben 2016 gerade einmal 423.525 neue (selbstständige) Invaliditätsversicherungen policiert. Bei aktuell 44,35 Millionen Erwerbstätigen mit Wohnsitz in Deutschland macht das weniger als 1%.

An mangelnder Qualität kann es nicht liegen: Nach mehr als 20 Jahren Wettbewerb sind Berufsunfähigkeitsversicherungen (BU) so leistungsstark wie noch nie. Einstige Differenzierungsmerkmale wie Sechs-Monatsprognose, der Verzicht auf abstrakte Verweisung oder weltweiter Versicherungsschutz haben sich längst zu Branchenstandards entwickelt.

So ist der Status quo

Heute findet Differenzierung in der Regel über zwei Faktoren statt: Beitrag und Risikoprüfung. Gerade im sogenannten „Jahresendgeschäft“ werben einige Versicherer mit vereinfachter Gesundheitsprüfung. Manchmal umfasst diese gerade einmal zwei Fragen. Dem Kunden hilft das in der Regel nicht. Entweder gerät er an einen Produktgeber, der den Zahlbetrag schon bald nach dem Abschluss anhebt oder die Stabilität zumindest im BU-Segment aufs Spiel setzt – mit ungewissen Folgen. Wenige, aber dafür weit greifende Gesundheitsfragen gefährden nicht nur das Kollektiv, sondern auch den Einzelnen. Immer wieder kommt es zu jahrelangen Rechtsstreitigkeiten, ob Fragen wie „Sind Sie gesund und voll arbeitsfähig?“ wirklich mit „ja“ beantwortet werden durften.

Die Berufsgruppen, maßgeblich für die Beitragsermittlung, scheinen sich fast inflationär zu vermehren. Von zwei auf fünf, acht oder noch mehr – statt auf wenige und vergleichbare Berufseinstufungen setzen Versicherer auf Differenzierung. Und das in der Hoffnung, die vermeintlich besten Risiken zu gewinnen, also Akademiker und andere Schreibtischberufe. Doch in der Praxis führt dies nicht zu mehr Neugeschäft, sondern zu Umdeckungen.

Die Folge: Versicherte wandern zu dem jeweils günstigsten Anbieter und die vorhandenen Gewinnverbände werden reihum entmischt. Die Kehrseite der (Beitrags-)Medaille: Für risikoreichere Berufe wird es noch teurer. Der rasante Zuwachs psychischer Erkrankungen wirft zudem die Frage auf, ob günstige Tarife für Akademiker auf Dauer auskömmlich sind. Schon heute verursacht die Psyche rund ein Drittel der BU-­Leistungsfälle, Tendenz steigend.

Und in Zukunft?

Millionen Erwerbstätige bleiben bislang ohne BU-Schutz. Der zwar angemessene, aber hohe Preis und die notwendigerweise strenge Risikoprüfung spielen eine wichtige Rolle. Eine abgespeckte und damit günstigere BU könnte gegen das gesetzliche Leitbild oder die Rechtsprechung laufen und gilt daher als kritisch. Wenn die Branche mehr Kunden gewinnen und gleichzeitig sinnvollen Schutz bieten will, reicht kein Festhalten am Goldstandard BU. Gefragt ist vielmehr die praktisch bestmögliche Lösung zur Sicherung der Arbeitskraft.

Alternative Produkte wie etwa Erwerbsminderungsrenten oder Grundfähigkeitsversicherungen bieten praktikable Lösungen. Gerade bei der Grundfähigkeitsversicherung aber unterscheiden sich die Leistungsbilder innerhalb der Varianten noch deutlich. Hier ist Standardisierung gefragt – für Verbraucher wie Vermittler. Zudem müssen Vorbehalte abgebaut werden, wenn diese Produkte ihr Potenzial voll entfalten sollen. Aktuell flüchtet sich die Branche in mehr oder weniger sinnvolle Erweiterungen der ohnehin schon extrem positionierten BU und schafft so neue Probleme. Ob beispielsweise eine AU-Klausel tatsächlich entscheidende Vorteile bietet und nicht insbesondere privat Krankenversicherten eher Probleme bringt, wird sich bald zeigen. Strategien für mehr Reichweite sind jedenfalls dringender gefragt als teure Marketinggimmicks.

Berater haben gute Gründe, sich auf Zielgruppen wie Freiberufler, Gewerbetreibende, medizinische Berufe oder ganz allgemein Gutverdiener zu konzentrieren. Doch für die Zukunft der BU stellen junge Menschen die entscheidende Zielgruppe. Sie zu gewinnen, erfordert neue Strategien und zukunftsfähige Beratungsprozesse.

Goldfische gesucht

Die zwischen 1980 und 1999 Geborenen, auch Generation Y genannt, sind mit dem Internet aufgewachsen und gelten als technikaffin. Statt vom Berater verlangen sie erste Informationen, wo und wann es ihnen gerade gefällt. Schnell soll es gehen und auf Abruf – wie bei Streamingdiensten, Amazon oder pizza.de. Ihre Aufmerksamkeitsspanne im Internet ist gering, wie Untersuchungen nahelegen. Gerade einmal acht Sekunden soll sie angeblich betragen – und läge damit knapp unter jener von Goldfischen. Marketer sprechen deshalb etwas spöttisch von der „Generation Goldfisch“. Lange und komplizierte Produktbeschreibungen betrachten gerade junge Leute nicht als nützlich, sondern als Zumutung. Anstelle vorgefertigter Angebote erwarten sie verständliche und anschauliche Informationen, am besten verteilt auf kleine Portionen. Es geht hier nicht um Produkte und deren Unterschiede, sondern um die Lösung ihrer Probleme. Sie wollen wissen, wie Versicherungen ihnen helfen können, persönliche Ziele zu erreichen – und das ohne Anbiederung mit vermeintlicher Jugendsprache. Das Angebot: am liebsten digital, interaktiv und spielerisch. Die Produkte: schlank, transparent und mit klaren Leistungsversprechen ohne Wenn und Aber.

Nicht nur digital

Ist der klassische Berater damit am Ende? Nein, ganz im Gegenteil. Denn trotz aller digitalen Emanzipation liegt die Abbruchquote im digitalen Beratungsprozess bei Jüngeren deutlich höher als bei anderen Altersgruppen. Ohne einen Berater aus Fleisch und Blut, der nachfasst, erklärt und den Prozess begleitet, kommt oft kein Vertrag zustande. Es geht also darum, analoge und digitale Welt intelligent zu verknüpfen. Dafür braucht es zum Beispiel zielgruppengerechte Informationen und Services im eigenen Internetauftritt, das Angebot zur digitalen Kontaktaufnahme und vielleicht auch eine Online-Beratung via Skype oder Videokonferenz. Im persönlichen Beratungsgespräch sind digitale Tools gefragt, die den Anspruch nach schnell verfügbaren und prägnant aufbereiteten Informationen erfüllen.

Fazit

Die Aussichten der BU stehen gut, sofern sie den Wettstreit um Bedingungskosmetik und den günstigsten Beitrag einstellt und sich stattdessen auf den tatsächlichen Bedarf konzentriert. Gefordert sind darüber hinaus bezahlbare Lösungen mit klarem Leistungsbild. Junge Menschen stellen die wichtigste Zielgruppe für die private Arbeitskraftsicherung. Versicherer und Berater müssen sich an deren Wünschen und Informationsgewohnheiten orientieren. Digitale Angebote sind deshalb unverzichtbar.

Den Artikel lesen Sie auch in AssCompact 01/2018, Seite 38 f.

 

 
Ein Artikel von
Michael Franke

Leserkommentare

Comments

Gespeichert von Wilfried Strassnig am 11. Januar 2018 - 11:14

"Wegen eines kurzen Vorteils werden wir unsere Qualität nicht senken" Werner von Siemens
Gerade diese Spezialisierung für einen Vorteil, der in aller Regel höchstens 1 Jahr überlebt, ist schon fast krank und gefährdet das Versicherungsgeschäft langfristig für alle. Am Ende dieser Kette steht der Einzeltarif-dafür aber benötigt man keine Versicherung mehr-da ja genau das Prinzip, dass viele einzahlen für wenige die dann diese Leistungen benötigen, konterkariert wird. Ursprünglich als Privileg für Beamte eingeführt, die ja völlig ruhig und ausgeschlafen den Straßenverkehr bewältigten.....