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6. März 2017
Interessenkonflikte beim Vertrieb von Versicherungsprodukten

Interessenkonflikte beim Vertrieb von Versicherungsprodukten

Von Rechtsanwalt Hans-Ludger Sandkühler
Die Versicherungsaufsicht EIOPA hat der EU-Kommission am 01.02.2017 technische Ratschläge zu vier Themenkomplexen zugeleitet, zu denen der Kommission in der IDD die Befugnis zum Erlass delegierter Rechtsakte übertragen werden. In zwei davon geht es für Versicherungsvermittler ans Eingemachte. Entgegen erster Befürchtungen dürfen wohl auch beim Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten weiter Abschlussprovisionen gezahlt werden.

Schon im Vorfeld der Beratungen zur Versicherungsvertriebsrichtlinie wurde das Thema Interessenkonflikte beim Vertrieb von Versicherungsprodukten insbesondere bei Versicherungsmaklern kontrovers diskutiert. Teilweise wurde das Geschäftsmodell der Versicherungsmakler – Geschäftsbesorgung für den Kunden, Bezahlung durch den Versicherer – schon grundsätzlich als von Interessenkonflikten belastet angesehen.

Diese Sichtweise ist sicher verkürzt, weil die Courtage des Versicherungsmaklers in der Versicherungsprämie enthalten ist und deshalb wirtschaftlich vom Kunden getragen wird. Es wird allerdings problematisch, wenn Versicherer versuchen, mit der Gestaltung von Courtagen und sonstigen Zuwendungen Anreize für den Vertreib besonderer Produkte zu setzen und Versicherungsmakler sich darauf einlassen. Nicht von ungefähr weist der Abschlussbericht der Europäischen Kommission zur Sektorenuntersuchung auf Interessenkonflikte und fehlende Transparenz bei der allgemeinen Vergütung von Versicherungsvermittlern hin. Nach Einschätzung der Kommission ging es hierbei um verschiedene Sachverhalte, die das Funktionieren des Marktes betreffen und unter Umständen zu weniger Wettbewerb und vor allem für KMU auch zu höheren Preisen führen können. Die Kommission hatte deshalb angekündigt, dieser Frage im Rahmen der Überprüfung der Richtlinie über Versicherungsvermittlung weiter nachzugehen.

Behandlung von Interessenkonflikten in der IDD

Interessenkonflikte werden in der IDD an verschiedenen Stellen thematisiert. In Erwägungsgrund 39 der Richtlinie heißt es bereits allgemein, dass das zunehmend größere Spektrum von Tätigkeiten, die viele Versicherungsvermittler und -unternehmen gleichzeitig ausüben, das Potenzial für Interessenkonflikte zwischen diesen verschiedenen Tätigkeiten und dem Kundeninteresse erhöht habe. Daher sei es erforderlich, Bestimmungen vorzusehen, die sicherstellen, dass solche Interessenkonflikte die Interessen der Kunden nicht beeinträchtigen.

Speziell zu Versicherungsanlageprodukten heißt es in Erwägungsgrund 57, es müsse sichergestellt werden, dass sich etwaige Gebühren oder Provisionen oder etwaige nichtmonetäre Vorteile im Zusammenhang mit dem Vertrieb eines Versicherungsanlageprodukts, die von einem Dritten – mit Ausnahme des Kunden oder einer Person im Namen des Kunden – gezahlt bzw. gewährt werden, nicht nachteilig auf die Qualität der entsprechenden Dienstleistung für den Kunden auswirken.

Deshalb sollte der Versicherungsvertreiber (nämlich Versicherungsvermittler und Versicherungsunternehmen) angemessene und verhältnismäßige Vorkehrungen treffen, um solche nachteiligen Auswirkungen zu vermeiden. Hierfür sollte der Versicherungsvertreiber Strategien und Verfahren im Zusammenhang mit Interessenkonflikten mit dem Ziel entwickeln, verabschieden und regelmäßig überprüfen, jede nachteilige Auswirkung auf die Qualität der entsprechenden Dienstleistung für den Kunden zu vermeiden und sicherzustellen, dass der Kunde angemessen über Gebühren, Provisionen oder Vorteile unterrichtet wird.

Sonderregeln für Versicherungsanlageprodukte

Die gesonderte und verschärfte Behandlung von Versicherungsanlageprodukten beruht auf der Überlegung der europäischen Gesetzgebungsorgane, für Anlageprodukte, die sich an den Kleinanleger richten, einen einheitlichen Rechtsrahmen für den Vertrieb zu schaffen, unabhängig davon, ob sie als reines Anlageprodukt oder als Versicherungsprodukt angeboten werden. Solche Produkte sollten ursprünglich dem MiFID-Regime unterfallen, das heißt nach den schärferen Regeln der MiFID reguliert werden.

Im Anwendungsbereich der MiFID wird für den unabhängigen Vertrieb von Kapitalanlageprodukten ein Provisionsverbot eingeführt. Dies war bei den Beratungen zur IDD auch für Versicherungsanlageprodukte im Gespräch.

Letztlich konnte aber aufgrund kontroverser Ansichten der Mitgliedsländer in dieser Frage keine Einigung herbeigeführt werden. Deshalb werden in Art. 27 der Versicherungsvertriebsrichtlinie Versicherungsvermittler und Versicherungs­unternehmen nur sehr allgemein verpflichtet, beim Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten auf Dauer wirksame organisatorische und verwaltungsmäßige Vorkehrungen für angemessene Maßnahmen zu treffen, um zu verhindern, dass Interessenkonflikte den Kundeninteressen schaden.

Gemäß Art. 28 der Richtlinie müssen die Mitgliedsstaaten sicherstellen, dass Versicherungsvermittler und Versicherungsunternehmen alle geeigneten Vorkehrungen treffen, um Interessenkonflikte, die bei der Vertriebstätigkeit zwischen ihnen selbst, einschließlich ihrer Geschäftsleitung und ihrer Angestellten, oder anderen Personen, die mit ihnen direkt oder indirekt durch Kontrolle verbunden sind, und ihren Kunden oder zwischen Kunden und einander entstehen, zu erkennen. Soweit die insoweit getroffenen organisatorischen oder administrativen Vorkehrungen zur Regelung von Interessenkonflikten nicht ausreichen, um nach vernünftigem Ermessen zu gewährleisten, dass keine Beeinträchtigung der Kundeninteressen riskiert wird, müssen Versicherungsvermittler und Versicherungsunternehmen den Kunden die allgemeine Art bzw. die Quellen von Interessenkonflikten rechtzeitig vor Abschluss eines Versicherungsvertrages eindeutig offenlegen.

Den Mitgliedsstaaten bleibt es nachgelassen, bei der Umsetzung dieser Vorgaben strengere Anforderungen vorzuschreiben, insbesondere zusätzlich das Anbieten oder Annehmen von Gebühren, Provisionen oder nicht monetären Vorteilen einer dritten Partei für die Erbringung einer Versicherungsberatungsleistung zu verbieten oder weiter einzuschränken (Art. 29 Abs. 3 IDD).

Delegierte Rechtsakte

Zur Konkretisierung der sehr allgemein gehaltenen Vorschrift des Art. 28 zur Identifikation und Vermeidung bzw. Offenlegung von Interessenkonflikten wird der Europäischen Kommission in Art. 29 Abs. 4 der Richtlinie die Befugnis übertragen, delegierte Rechtsakte zu erlassen, um die Kriterien festzulegen, anhand derer beurteilt wird, ob sich Anreize, die von einem Versicherungsvermittler oder einem Versicherungsunternehmen gesetzt oder erhalten wurden, nachteilig auf die Qualität der entsprechenden Dienstleistung für die Kunden auswirken, und ob Versicherungsvermittler oder Versicherungsunternehmen, die Anreize setzen oder erhalten, die Verpflichtung erfüllen, ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Interesse der Kunden zu handeln.

Delegierte Rechtsakte sind übertragene eigene legislative Befugnisse der Europäischen Kommission (Level 2), die allerdings der Kontrolle (Einspruch oder Widerruf der Rechtssetzungsbefugnis) durch das Europäische Parlament und den Europäischen Rat unterliegen. Die Europäische Kommission hatte die europäische Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA beauftragt, technische Standards für die delegierten Rechtsakte zu entwickeln und der europäischen Kommission vorzulegen. Dies ist am 01.02.2017 geschehen.

EIOPA hatte bei einer Anhörung im Sommer 2016 noch die Auffassung vertreten, dass diskontierte Provisionen beim Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten grundsätzlich in einem hohen Maße Interessenkonflikte indizieren. Dies ist in der nunmehr vorgelegten Fassung deutlich entschärft. Danach indizieren diskontierte Provisionen beim Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten nur noch dann einen Interessenkonflikt, wenn es für die Rückführung von vorschüssig gezahlten Provisionen keine vernünftige und interessengerechte Regelung für Stornofälle gibt. Dies ist in Deutschland eigentlich regelmäßig der Fall.

Die Kommission hat nun drei Monate Zeit, sich mit dem Vorschlag zu beschäftigen. Eine Verschärfung des Vorschlags der EIOPA in Richtung Provisionsverbot ist denkbar, wäre aber rechtlich problematisch, weil damit auf Level 2 ein Regelung herbeigeführt würde, für die es auf Level 1 (Richtlinie) keine Mehrheit gab.

Den Artikel lesen Sie auch in AssCompact 03/2017