AssCompact suche
Home
Assekuranz
10. August 2018
Kunstwerke unklarer Herkunft: Herausforderung für die Versicherung

Kunstwerke unklarer Herkunft: Herausforderung für die Versicherung

Durch den Fall Gurlitt hat das Thema Raubkunst große Aufmerksamkeit erfahren. Mit einer Kunstversicherung lässt sich das Risiko absichern, Raubkunst zu erwerben. Doch in der Praxis ergeben sich immer wieder unklare Fälle, wie Julia Ries schildert, Abteilungsleiterin Kunst- und Valorenversicherung bei der ERGO Versicherung AG.

Kunstwerke unklarer Herkunft stellen Sammler und Versicherungen vor große Herausforderungen. Wenn die Herkunft nicht bekannt ist, steigt das Risiko, Raubkunst oder gar eine Fälschung zu erwerben. Über eine Kunstversicherung können Sammler sich absichern. Sie bietet im Gegensatz zur normalen Hausratversicherung eine Allgefahrendeckung. Es kann aber auch Fälle geben, bei denen es zu Unsicherheiten sowohl aufseiten der Sammler als auch der Makler kommt, ob sie von der Kunstversicherung abgedeckt sind.

Wenn die Kunst nicht dem gehört, der sie besitzt

Als Raubkunst werden Kunstwerke bezeichnet, die jüdischen Kunstsammlern und -händlern im Zweiten Weltkrieg von den Nationalsozialisten entwendet wurden. Es wird geschätzt, dass auf diese Weise rund 600.000 Werke zwischen 1933 und 1945 abhandengekommen sind, 200.000 innerhalb von Deutschland und Österreich, 100.000 in Westeuropa und 300.000 in Osteuropa. 1998 wurden auf der Washingtoner Konferenz die Grundsätze für die Rückgabe eines entzogenen Eigentums aus der NS-Zeit erarbeitet. Diese Grundsätze haben Deutschland und 42 weitere Länder unterschrieben. 1999 wurde dann eine gemeinsame Erklärung von Bund und Ländern zur Auffindung und Rückgabe von entzogenem Kulturgut verfasst. Die größte Datenbank für gestohlene Kunstwerke ist das Art-Loss-Register. Vor jedem Verkauf und jeder Versteigerung muss der Kunsthandel das Werk in dieser oder ähnlichen Datenbanken prüfen. 

Große Aufmerksamkeit hat das Thema Raubkunst durch die Gurlitt-Affäre erlangt. Bei dem Kunsthändler Cornelius Gurlitt wurden 2012 rund 1.500 Werke unklarer Herkunft beschlagnahmt. Bis heute wurden nur fünf davon als Raubkunst identifiziert und den Erben in einem Restitutionsverfahren zurückgegeben. Die Kunstversicherung hat auf diesen Umstand reagiert und vor einigen Jahren den sogenannten „Defective Title“ als Deckungsbaustein in die Bedingungswerke integriert. Wenn Kunstgegenstände bei unwirksamen Eigentumsrechten an den rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben werden müssen, deckt die Kunstversicherung die Erstattung des Einzelwertes bzw. des Wiederbeschaffungswertes, jedoch nicht mehr als den gezahlten Kaufpreis, und dies mit einer limitierten Summe. Außerdem werden die Rechtsberatungskosten übernommen unter der Bedingung, dass das Werk zuvor überprüft wurde und in keinem gängigen Datenregister für verlorene Kunstwerke aufzufinden ist.

Kunstfälschung – Ein Versicherungsfall?

Ebenso wie die Raubkunst ist auch die Kunstfälschung ein Thema mit medialer Aufmerksamkeit, das in Kundengesprächen häufig angefragt wird. Kunstfälschungen sind so alt wie die Kunst selbst. Heute gelten Kunstwerke immer mehr als wertvolle Geldanlage, regelmäßig werden Auktionsrekorde erzielt – Kunstfälscher nutzen diesen Umstand aus: Sie fälschen alles, womit sich auf dem Markt hohe Preise erzielen lassen können. Experten vermuten, dass bis zu 40% der auf dem Markt angebotenen Werke Fälschungen sind.

In vielen Fällen reicht kunsthistorische Kennerschaft alleine nicht aus, um eine Fälschung zu erkennen. Die materialtechnische Untersuchung, die nicht nach Stil und Formgebung fragt, sondern über das verwendete Material die Entstehungszeit eines Kunstwerks bestimmt, ist oftmals die einzige Möglichkeit, eine Fälschung zu erkennen. Hier können Makler vermitteln und bei Unsicherheiten Experten hinzuziehen.

Der Fall Beltracchi

Der wohl spektakulärste Kunstfälscherprozess Deutschlands ist der von Wolfgang Beltracchi. Er fälschte über Jahrzehnte etwa 300 Bilder und verdiente Millionen. Er ging sogar so weit, dass er gemeinsam mit seiner Frau Aufkleber berühmter Galerien fälschte und Fotos, die die Echtheit der Werke beweisen sollten. Erst 2010 wurde bei einer chemischen Analyse entdeckt, dass Beltracchi ein Titanweiß verwendet hatte, das es zur Zeit der Entstehung des Originalbildes noch nicht gab.

Weniger mediale Aufmerksamkeit erhielten die Fälschungen der russischen Avantgarde, die seit den 1990er-Jahren den Markt überschwemmen. Hier gelang dem Bundeskriminalamt im Juni 2017 ein Schlag gegen einen internationalen Kunstfälscherring. Es wurden an die 1.000 gefälschte Gemälde russischer Avantgarde-Künstler wie Kandinsky, Malewitsch und Jawlensky sichergestellt.

Natürlich würde ein renommierter Kunstversicherer niemals bewusst Fälschungen versichern, dennoch ist es nie ganz auszuschließen, dass trotz aller Sorgfalt auch einmal Fälschungen mitversichert werden. Sofern sich ein versicherter Gegenstand als Fälschung erweist, sehen die Bedingungen fast aller Kunstversicherer eine anteilige Prämienrückgewähr vor. Versichert ist dann nur der Materialwert der Fälschung. Hierauf sollte der Makler aufmerksam machen und eine Fälschung durch genaue Recherche weitestgehend versuchen auszuschließen, um Schäden für das Versicherungsunternehmen und vor allem für den Käufer abzuwenden.

Provenienzforschung schützt vor Schäden

Ob Raubkunst oder Fälschung – grundsätzlich gilt immer: Je mehr über ein Kunstwerk und dessen Herkunft bekannt ist, desto größer die Wahrscheinlichkeit, Raubkunst oder Fälschung ausschließen zu können. Die Geschichte der Herkunft eines Kunstwerks wird als Provenienz bezeichnet und ist zugleich seine lückenlose „Biografie“.

Die ERGO Versicherung beschäftigt eigene Kunsthistoriker, die die zu versichernden Kunstwerke bewerten, Schätzwerte abgeben und ihre Provenienz überprüfen. Dieser Service ist essenzieller Bestandteil der Kunstversicherung. Im Gespräch mit dem Kunden sollte deshalb geklärt werden, wo die Kunstwerke erworben wurden und wann sie in den Besitz des jetzigen Eigentümers kamen. Kaufverträge, Sammlungs-, Ausstellungs- oder Versteigerungskataloge, aber auch rückseitige Aufkleber mit Angaben zu Ausstellungen und Leihgaben geben Auskunft zur Provenienz. Das Wissen um die Provenienz ist der beste und einfachste Schutz gegen Fälschungen.

Es bleibt festzuhalten, dass sowohl Fälschungen als auch Raubkunst potenzielle Gefahren für Kunstsammler darstellen, die durch eine sorgfältige Dokumentation der jeweiligen Sammlung sowie der Recherche der Provenienz minimiert werden können.

Diesen Artikel finden Sie auch in AssCompact 08/2018 im Sonderthema „Kunstversicherung“ auf Seite 50 f.

Lesen Sie außerdem zum Thema Kunstversicherung:

Kleine Unaufmerksamkeit, großer Schaden: Die Tücken von Kunstwerken

 
Ein Artikel von