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04/2015
27. April 2015
Rechtsschutz: Deckungszusage gilt auch bei Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH

Rechtsschutz: Deckungszusage gilt auch bei Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH

Ein Transportunternehmen erhielt von seinem Rechtsschutzversicherer eine Deckungszusage. Die Rechtsstreitigkeit wurde von einem deutschen Gericht an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zum Vorabentscheid verwiesen. Dort sollte die Deckungszusage plötzlich nicht mehr gelten. Das wollte das Unternehmen nicht hinnehmen und bekam Recht.

Die Klägerin, ein Transportunternehmen, unterhielt bei der beklagten Rechtsschutzversicherung eine Universal-Strafrechtsschutzversicherung. Gemäß den dem Vertrag zugrunde liegenden Bedingungen umfasste der Versicherungsschutz die Kosten für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen unter anderem in Strafverfahren. Sonstige Verfahren außerhalb des strafrechtlichen Bereichs sind versichert, wenn sie im ursächlichen und unmittelbaren Zusammenhang zum Strafrecht stehen. Der Versicherungsschutz wurde insoweit ­begrenzt, als sich der Schutz auf die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen vor deutschen Behörden und Gerichten ­beschränken sollte, soweit es sich bei den sonstigen Verfahren nicht um solche der Strafverfolgungsbehörden handelt.

Gegen die Klägerin lief ein Steuerstrafverfahren wegen rechtswidriger Ausnutzung der unterschiedlichen Besteuerung von Dieselkraftstoff in Deutschland und Luxemburg, weil die Klägerin an firmeneigenen Lkws jeweils einen weiteren Tank ­einbauen ließ und den Originaltank wie auch den nachträglich eingebauten Tank vorwiegend in Ländern betankte, die Dieselkraftstoff niedriger besteuerten. Die Betankung des nachträglich eingebauten Tanks erachtete das Finanzamt als Steuer­hinterziehung. Gegen die Steuerbescheide des Hauptzollamtes wandte sich die Klägerin und begehrte bei der Beklagten Deckungszusage für das finanzgerichtliche Verfahren. Die Beklagte bejahte den ursächlichen Zusammenhang und gewährte Deckungsschutz. Das zuständige Finanzgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, unter anderem die Frage, wie der Herstellerbegriff auszulegen ist, soweit die nachträglichen Tanks nicht vom Hersteller des Lkw eingebaut wurden. Die Klägerin begehrte bei der Beklagten für das Vorabentscheidungsverfahren Deckungsschutz, den die Beklagte unter Hinweis darauf, dass es sich beim EuGH um ein ausländisches Gericht handele, abgelehnt hat. Die Klägerin nahm die Beklagte vor dem Landgericht Köln auf Zahlung und Feststellung in Anspruch.

Unterschiedliche Auffassungen

Der Auffassung der Beklagten folgte das Landgericht Köln in einem Urteil vom 02.07.2014 nicht. Zwar sei zutreffend, dass der Schutz bei sonstigen Verfahren auf die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen vor deutschen Behörden und Gerichten beschränkt sei. Allerdings werde das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH von diesem Ausschluss nicht erfasst. Bei dem Verfahren handele es sich um einen Teil des originären Verfahrens vor dem Finanzgericht, für welches Deckungszusage erteilt wurde. Das Gericht wies darauf hin, dass es sich bei dem Vorabentscheidungsverfahren rechtsdogmatisch lediglich um einen Zwischenstreit handele, welcher als Einheit mit dem Verfahren vor dem Finanzgericht zu sehen sei. Der EuGH übernehme nach den Statuten nicht das Verfahren, sondern beantworte lediglich die ihm gestellten Vorlagefragen, weshalb es auch nicht zu einer Kostenentscheidung käme. Außerdem stelle aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers das Verfahren folglich auch kein eigenes Verfahren vor einem nicht deutschen Gericht dar, sondern einen (notwendigen) Teil eines deutschen Rechtsstreits, auf den der Versicherte noch nicht einmal Einfluss habe. Weder sei hierfür ein Antrag der Partei notwendig oder möglich noch könne eine Partei die Befassung des EuGH mit der Sache erzwingen.

In ihrer Berufungsbegründung an das Oberlandesgericht Köln, die die Auf­hebung des erstinstanzlichen Urteils zur Folge haben sollte, erschöpfte sich die Argumentation der Beklagten darauf, dass der ausnahmsweise zu gewährende Rechtsschutz nur für Verfahren vor deutschen Gerichten und Behörden bestehe und diese Regelung auch nicht auslegungsfähig sei. Die verfahrensrechtlichen Überlegungen des Landgerichts, wonach ein Vorabentscheidungsverfahren Teil des (deutschen) Verfahrens sei, stellten sich nicht, denn der EuGH sei kein deutsches Gericht, sodass die Kosten, die in einem solchen Verfahren anfallen würden, nicht versichert seien. Auf eine mögliche Verfahrenseinheit ­käme es nicht an und rechtsdogmatische Überlegungen seien irrelevant. Maßgeblich sei, dass das Vorabentscheidungsverfahren abgrenzbar und schon im Hinblick auf den Aufwand als ein ­eigenes Verfahren anzusehen sei, selbst wenn es rechtsdogmatisch als Zwischenstreit anzusehen sein mag. Mit der Auslegung habe das Landgericht seine Grenzen überschritten.

Kein gesondertes Verfahren

Der Auffassung der Beklagten ist die Klägerin entgegengetreten, indem sie deutlich machte, dass bei der Frage der Leistungspflicht das Verhältnis des Vorabentscheidungsverfahrens zum Ausgangsverfahren eine maßgebliche Rolle spiele und das Erstgericht zutreffend darauf hingewiesen habe, dass bei Vorabentscheidungsverfahren das originäre Verfahren durch den EuGH nicht übernommen oder fortgeführt, sondern das originäre Verfahren vor dem deutschen Gericht ausgesetzt werde, um eine Rechtsfrage zu klären. Das Vorlageverfahren bezwecke in erster Linie die Wahrung der Rechtseinheit in allen Mitgliedsstaaten und diene damit zugleich der Rechtssicherheit. Der Bürger müsse und dürfe darauf vertrauen können, dass Gemeinschaftsrecht in allen Mitgliedsstaaten einheitlich angewendet werde. Die Aufgabe des EuGH bestehe darin, dem einzelstaatlichen Gericht Hilfestellung im Einzelfall zu leisten, ohne jedoch das Gemeinschaftsrecht selbst anzuwenden. Beim Vorlageverfahren stehe mithin die Sicherung ordnungsgemäßer Anwendung und die einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts, also die Einheit der Rechtsprechung, im Vordergrund und stelle schon daher kein eigenes Verfahren, wie die Beklagte jedoch meint, dar.

Versicherungsnehmer muss sich auf die getroffene Deckungszusage verlassen können

Zu Recht habe das Erstgericht deshalb auch darauf hingewiesen, dass die Klägerin auf die Entscheidung des Finanzgerichts gar keinen Einfluss gehabt hätte, denn das Ermessen, ob vorgelegt wird, liege ausschließlich bei den Gerichten, Art. 234 Abs. 2 EGV, soweit nicht sogar eine Vorlagepflicht besteht, Art. 234 Abs. 3 EGV, wenn etwa die Entscheidung nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden kann oder das Gericht sekundäres Gemeinschaftsrecht nicht anwenden will. Dies zeige auch in aller Deutlichkeit der Beschluss des Finanzgerichts, in dem der EuGH bereits in der Überschrift „um eine Vorabentscheidung zu folgenden Fragen ersucht“ wird. Diese gestellten Fragen beantwortet der EuGH, ohne jedoch das Verfahren zu übernehmen. Insoweit erfolge auch keine Entscheidung, sondern lediglich ein Auslegungshinweis. Auch die Kostenentscheidung belege die Rechtsnatur des Vorabentscheidungsverfahrens als Zwischenstreit, weil die Kostenentscheidung Sache des (Ausgangs-)Gerichts ist. Hinzu komme die sicherlich berechtigte Überlegung, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer auch nicht damit rechne, dass nach erfolgter Deckungszusage für ein zweifellos vom Versicherungsschutz umfasstes Verfahren ein Teil des Verfahrens ausgeklammert werde, nur weil eine Rechtsfrage innerhalb des Verfahrens gemeinschaftskonform ausgelegt werden soll und deshalb der EuGH angerufen werde – eine Entscheidung, auf die der Versicherungsnehmer noch nicht einmal einen Einfluss hat. Mit anderen Worten: Der Versicherungsnehmer rechnet nach erfolgter Deckungszusage nicht damit, dass die Deckungszusage möglicherweise nicht für die gesamte Instanz Gültigkeit hat, sondern im Fall der Vorabentscheidung gerade – nach Auffassung der Beklagten – nicht gelten soll.

Die Beklagte hat die Berufung unmittelbar vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung beim Oberlandesgericht Köln zurückgenommen. Das erstinstanzliche Urteil des Landgericht Köln ist damit rechtskräftig. Die Entscheidung des Landgerichts Köln, aber vor allem die jeweiligen Begründungen zeigen, dass es nicht zwingend auf den Wortlaut der Klausel ankommt, sondern sehr wohl auch rechtsdogmatische Überlegungen zum Tragen kommen und eine scheinbare Ausschlussklausel zugunsten des Versicherungsnehmers nicht anwendbar ist.

Den Artikel finden Sie auch in der AssCompact 04/2015, Seite 118f.

 
Ein Artikel von
Michaela Ferling