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11. Januar 2019
Steht die Organspende im Widerspruch zur Patientenverfügung?

Steht die Organspende im Widerspruch zur Patientenverfügung?

Seit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn das Thema Organspende auf seine Agenda gesetzt hat, ist es in der Bevölkerung wieder sehr präsent. Auch in der Generationenberatung spielt es im Zusammenhang mit der Patientenverfügung eine Rolle. Nicht alle Details sind dabei klar, sagt Ulrich Welzel, Inhaber der Brain!Active® Unternehmerberatung.

Vorsorgespezialisten, die sich mit der Generationenberatung auseinandersetzen, kommen bei ihren Kundeninformationen rund um das Thema Patientenverfügung immer wieder ins Schleudern, weil sich ein vermeintlicher Widerspruch zwischen Patientenverfügung und Organspende auftut. Hierzu folgendes Beispiel:

Hubert P. hat in seiner Patientenverfügung verfügt, dass, sollte er infolge einer Gehirnschädigung keine Einsichten mehr gewinnen, Entscheidungen nicht mehr treffen und mit anderen Menschen nicht mehr in Kontakt treten können, alle lebensverlängernden Maßnahmen und Therapien zu beenden seien. Er entschied sich so auch gegen maschinelle Beatmung und künstliche Ernährung und nahm in Kauf zu sterben.

Parallel hat Hubert P. schon vor langem einen Organspendeausweis ausgestellt und seine Bereitschaft erklärt, dass nach seinem Tod Organe und Gewebe zur Transplantation entnommen werden können. In der Erklärung zur Organspende heißt es:

  • Es ist mir bewusst, dass erst nach dem Absterben aller Areale meines Gehirns (Gehirntod) Organe und Gewebe entnommen werden dürfen.
  • Es ist mir auch bewusst, dass die Organe bei der Entnahme so gesund wie möglich sein sollen.
  • Es ist mir bewusst, dass deshalb mitunter auch schon vor der Feststellung des Gehirntodes eine künstliche Beatmung oder eine andere sogenannte organprotektive Therapie mit der möglichen Folge einer kurzfristigen Lebensverlängerung erforderlich ist. Dies widerspricht nicht dem Sinn der Patientenverfügung.
  • Ich bin in diesem Fall einverstanden, dass mein Leben um Stunden oder wenige Tage künstlich verlängert wird. Mit palliativmedizinischer Betreuung in dieser Phase muss ausgeschlossen werden, dass ich unter dieser Lebensverlängerung leide.

Mit dieser Erklärung zur Organspende wird der vermeintliche Widerspruch klar und deutlich aufgehoben. Der Organentnahme dürfte in dem Beispiel nichts im Wege stehen.

Bedarf ist deutlich höher als Spendenbereitschaft

Ende 2017 warteten über 10.000 Menschen auf ein Spenderorgan. Am häufigsten warteten die Betroffenen auf eine neue Niere, gefolgt von Leber, Herz und Lunge. Der Bedarf an Nieren (7.620 Betroffene) ist seit Jahren drei Mal so hoch wie die Anzahl der gespendeten Organe. Und obwohl so viele Menschen auf ein Organ warten, geht die Organspendenbereitschaft seit Jahren zurück. Und das schon vor dem Transplantationsskandal aus dem Jahr 2012, wo Mediziner zugunsten ihrer Patienten manipuliert hatten. Heute sind deshalb die Kontrollen schärfer.

Wer kommt auf die Warteliste?

Es gibt auf der Warteliste ein Ranking von 1 bis 100. Je höher ein potenzieller Organempfänger rutscht, desto näher kommt er dem neuen Organ. Vorausgesetzt natürlich, es wird in den beteiligten Ländern Belgien, Deutschland, Kroatien, Niederlande, Österreich, Slowenien und Ungarn ein Organ gefunden, das dann medizinisch gesehen auch zum Empfänger passt.

Nicht jeder Betroffene, der ein neues Organ benötigt, kommt auf die Warteliste. Das ist dann nicht der Fall, wenn etwa das Transplantationsrisiko zu hoch oder die Erfolgsaussichten der Nachbehandlung zu schlecht sind. Mediziner sind nach dem Transplantationsgesetz (§ 16 TPG) verpflichtet, die Ablehnung oder Zustimmung zu begründen, zu dokumentieren und den Betroffenen mitzuteilen und dabei die Richtlinien der Bundesärztekammer zu befolgen.

Im Jahr 2017 gab es 797 Menschen, die nach ihrem Tod insgesamt 2.765 Organe, also im Durchschnitt 3,46 Organe gespendet haben. Hinzuzurechnen sind noch 201 Lebendspenden. Für das Jahr 2017 bedeutet das, dass nur 29,34% der Betroffenen ein Spenderorgan bekommen haben. Diese Zahlen belegen, wie dringend notwendig und wie gut die aktuelle Initiative von Jens Spahn ist.

Das Dilemma in der Organspende

Das Nadelöhr bei Organspenden sind oftmals die Krankenhäuser. Wenn dort nicht daran gedacht wird, passiert auch nichts. Es gibt aber weitere Dilemmata:

  • Organtransplantationen lohnen sich für Krankenhäuser wirtschaftlich nicht, weil der Aufwand so gewaltig ist. „In der Zeit kann der Chirurg vier Knieoperationen durchführen“, meint der Transplantationsspezialist Dr. Christian Prause. Für die Transplantation eines Organs darf die Klinik 3.300 Euro und für die Entnahme mehrerer Organe maximal 5.300 Euro in Rechnung stellen.
  • Angehörige dürfen nach dem Arztgespräch eine Organspende ablehnen, obwohl der potenzielle Organspender einen Organspendeausweis ausgestellt und einer Organentnahme schriftlich zugestimmt hat.
  • Wird ein Organ entnommen, spielt die Zeit eine große Rolle. Zum Beispiel muss ein Herz innerhalb von vier Stunden nach der Entnahme verpflanzt werden.
Das Vorgehen bei Zustimmung

Angenommen, die Angehörigen stimmen einer Organtransplantation zu, so untersuchen spezialisierte Mediziner den Spender. Weiter muss die Diagnose des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls nach § 5 TPG vonseiten zweier Mediziner unabhängig voneinander erfolgen. Diese Mediziner müssen eine mehrjährige Expertise in der Intensivbehandlung von Patienten mit akuten schweren Hirnschädigungen vorweisen und über die notwendige Facharztanerkennung verfügen. In der Situation verlangt das Gesetz, dass einer der beiden Mediziner Facharzt für Neurologie oder Neurochirurgie sein muss. Beide Mediziner dürfen nicht an der Organentnahme oder an der Organübertragung beteiligt sein und keiner Weisung anderer Mediziner unterstehen.

Gibt es keine gesundheitlichen Einschränkungen für den Empfänger, informiert das Krankenhaus die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), welche Eurotransplant im niederländischen Leiden einschaltet. Dort wird in der Datenbank nach einem potenziellen Empfänger gesucht. Wird ein Empfänger gefunden, beginnt ein Operationsteam mit der Entnahme des infrage kommenden Organs oder der Organe. Die Organentnahme dauert zwischen zwei und vier Stunden und wird dort geleistet, wo der Verstorbene auf einer Intensivstation liegt. Sind die Organe entnommen, wird der Verstorbene zur Beerdigung freigegeben.

Da in Deutschland nur in speziellen Transplantationszentren transplantiert werden darf, werden die entnommenen Organe gekühlt auf schnellstem Weg zu dem jeweiligen Zentrum gesandt. Dort wird der Organempfänger zwischenzeitlich auf die Transplantation vorbereitet. Bei Eintreffen des jeweiligen Organs wird sofort transplantiert.

Fazit

Es bleibt also festzuhalten, dass es keinen Widerspruch zwischen Organspendeausweis und Patientenverfügung gibt. Bei den Kundengesprächen gilt es für Generationenberater das notwendige Fingerspitzengefühl und Empathie zu entwickeln. Zudem sei noch ergänzt, dass der Autor die vom Bundesgesundheitsminister angestrebte Widerspruchslösung in der Organspende für sehr sinnvoll hält. Sie könnte das Leid Betroffener und ihrer Familien massiv mildern.

Den Artikel lesen Sie auch in AssCompact 01/2019, Seite 90 f.

 
Ein Artikel von
Ulrich Welzel