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Sonderthema Prozessoptimierung
10. Juni 2016
Systematische Risikoanalyse leicht gemacht

Systematische Risikoanalyse leicht gemacht

Anders als bei gewerblichen Risiken war es im privaten Breitengeschäft früher eher unüblich, Risiken oder gewünschte Deckungsbausteine systematisch mit Risikoanalysebögen zu erfassen. Im Laufe der Jahre hat sich aber eine kaum mehr zu überblickende Produktvielfalt etabliert. Die Auswahl eines für den Kunden passenden Angebotes ist ohne geeignetes Handwerkszeug nicht möglich.

Der „Arbeitskreis Beratungsprozesse“ (AKBP), ursprünglich unter dem etwas sperrigen Namen „Arbeitskreis EU-Vermittlerrichtlinie Dokumentation“ unterwegs, wurde seinerzeit ins Leben gerufen, um Makler bei der Erfüllung der neuen gesetzlichen Vorgaben zu unterstützen. Als eines der ersten Projekte widmete sich der AKBP der Entwicklung von Risikoanalysebögen für das private Breitengeschäft. Ihr Einsatz soll es Maklern erleichtern, den Kundenbedarf zu ermitteln und die Marktanalyse vorzubereiten und somit Beratungspflichten zu erfüllen.

Die Historie

Die ersten Entwürfe erwiesen sich als wahre Formularmonster mit viel zu vielen Fragen. Nicht einmal der geduldigste Kunde wäre bereit gewesen, diese vollständig zu beantworten, von Wirtschaftlichkeitsaspekten ganz zu schweigen. Dem Wunsch nach Praxistauglichkeit fielen als erstes Fragen nach Deckungserweiterungen zum Opfer, deren Fehlen keine Haftungsrisiken für Makler zur Folge hat. Klassisches Beispiel für derartige Einschlüsse ist der von deliktunfähigen Personen verursachte Schaden in der Privathaftpflichtversicherung. Da der Kunde in solchen Fällen nicht schadenersatzpflichtig ist, kann er keinen finanziellen Schaden erleiden. Wo kein Schaden, kann auch der Makler nicht in Anspruch genommen werden. Dieses Prinzip wurde ausgedehnt auf Einschlüsse, die ein nur geringes Schadenpotenzial bei gleichzeitig geringer Eintrittswahrscheinlichkeit abdecken.

Die Kürzungen reichten noch nicht. So kam die Idee auf, nicht länger nach Einschlüssen zu fragen, die in den allermeisten Tarifen enthalten sind, sondern diese als Mindeststandard vorauszusetzen. Unsere Mindeststandards werden häufig als Qualitätsmerkmal wahrgenommen. Tatsächlich ist ihr Hintergrund aber in erster Linie der Wunsch, den Umfang der Fragen im Beratungsgespräch zu reduzieren.

Die Praxis

Selbstverständlich kann der Makler auch Produkte verkaufen, die einzelne Mindeststandards nicht erfüllen; er muss sich nur damit auseinandersetzen. Ein Mindeststandard in der Hausratversicherung lautet beispielsweise: „Wertsachenentschädigungsgrenze 20%“. Es gibt Kunden, für die auch ein Produkt mit niedrigerer Entschädigungsgrenze ausreicht. Der Makler tut aber gut daran, die Grenze zu thematisieren, zumal sich der Bedarf im Laufe der Zeit ändern kann.

Die Mindeststandards enthalten explizit benannte Anforderungen. Ob ein Tarif diese erfüllt, kann der Makler ohne Probleme selbst beurteilen. Darüber hinaus gilt: Das Produkt darf keine für Verbraucher nachteiligen Abweichungen von den GDV-Musterbedingungen vorsehen. Das werden Makler nicht mit letzter Sicherheit selbst beurteilen können. Erfreulicherweise garantieren etliche Versicherer inzwischen aber, die Musterbedingungen nicht zu unterschreiten; einige bestätigen auch, die sonstigen Mindeststandards zu erfüllen.

Der AKBP hat es sich zur Regel gemacht, alle Deckungserweiterungen abzufragen, die eine gewisse Marktdurchdringung haben und/oder ein hohes Schaden­potenzial absichern. Trotz aller Bemühungen sind die meisten Risikoanalysevorlagen deshalb sehr umfangreich. Vielen Vermittlern ist nicht bewusst, dass die Vorlagen des AKBP Vorschläge sind, die sie an ihren Bedarf anpassen können. Fragen wie die nach dem Einschluss „Deliktunfähige Personen“ können ergänzt, andere Fragen gestrichen werden. Das ist zum Beispiel sinnvoll, wenn der Makler nur Produkte anbietet, die den abgefragten Baustein ohnehin enthalten, wie eine Mallorca-Deckung in der Privathaftpflicht. Der Makler legt also seine eigenen Mindeststandards fest – je höher, desto weniger Fragen muss er stellen. So erübrigt sich auch, Sinn und Zweck der Erweiterungen zu erläutern. Wer einmal mit einem Kunden die Feinheiten einer Forderungsausfalldeckung erörtert hat, weiß, wie viel Beratungszeit auf diese Weise gespart werden kann. Makler müssen sich allerdings darüber im Klaren sein, dass der Verzicht auf Risikofragen ein gewisses Haftungs­risiko mit sich bringt. Das gilt beispielsweise, wenn das angebotene Produkt eine nicht abgefragte Erweiterung zwar enthält, aber nicht in „optimaler“ Ausprägung.

Die Risikoanalysen werden für Vermittler konzipiert. Fragen sind so formuliert, dass der Fachmann, aber nicht unbedingt auch ein Kunde weiß, was sich dahinter verbirgt. Mit der Frage „Sollen berechtigte Fahrer eigene erlittene Personenschäden durch einen (auch selbst verschuldeten) Unfall geltend machen können (nach § 823 BGB)?“ werden die meisten Kunden nicht allzu viel anfangen können. Sollen die Bögen auch zum Selbstausfüllen zur Verfügung stehen, zum Beispiel auf der Homepage oder via E-Mail-Versand, ist der Vermittler daher gut beraten, Kunden leicht verständliche Erläuterungen an die Hand zu geben.

Der Nutzen

Aus Sicht des Gesetzgebers äußert der Kunde einen natur­gemäß laienhaft formulierten Beratungswunsch. Davon ausgehend erhebt der Vermittler den objektiven Kundenbedarf. Dazu muss er feststellen, welche Risiken vorhanden sind und welche Anforderungen der Kunde an den Umfang des Versicherungsschutzes stellt. Genau für diesen Zweck sind die Risikoanalysebögen des Arbeitskreises konzipiert. Zuerst werden vorhandene Risiken erfasst („Haben Sie Immobilien- oder Grundbesitz?“). Bei Bedarf sind weiterführende Fragen an­gebracht („Besitzen Sie ein unbebautes Grundstück?“). Im Anschluss wird nach den gewünschten Deckungsbausteinen gefragt („Sollen gewässerschädliche Stoffe in Kleingebinden mitversichert werden?“). Am Ende liegen alle Daten vor, die für eine Marktanalyse erforderlich sind.

Eine Beratungsdokumentation soll unter anderem festhalten, welchen objektiven Bedarf der Vermittler festgestellt hat. Hat er eine Risikoanalyse durchgeführt, wird der entsprechende Analysebogen unkompliziert zum Bestandteil der Beratungsdokumentation. Weitere Ausführungen in Prosa sind in den meisten Fällen entbehrlich. Der Vermittler hat gleich zwei Vorteile: Die Bedarfsermittlung basiert auf einem in der Branche anerkannten Verfahren und ein Teil der Beratungsdokumentation wird bereits im Beratungsprozess erzeugt.

Den Artikel lesen Sie auch in AssCompact 06/2016, Seite 94 f.

 
Ein Artikel von
Von Michael Salzburg