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28. November 2017
Zielmarktdefinition in der IDD – Welchen Mehrwert bringt sie der Beratung?

Zielmarktdefinition in der IDD – Welchen Mehrwert bringt sie der Beratung?

In den Vorbereitungen auf die IDD wurde sie lange Zeit stiefmütterlich behandelt: die „Zielmarktdefinition“ im Rahmen des Produktfreigabeverfahrens der IDD. Jetzt wird den Akteuren der Branche die Tragweite dieses Elements der EU-Richtlinie bewusst. Letztlich betrifft es die Frage, welchen Kunden Vermittler künftig welche Produkte empfehlen dürfen. Ein Kommentar von Marco Habschick, Beratungsunternehmen evers & jung GmbH und Arbeitskreis Beratungsprozesse.

Immer mehr beschäftigt sich die Branche damit, was es bedeutet, einen Zielmarkt für Produkte definieren zu müssen. Der Arbeitskreis Beratungsprozesse wurde gebeten, sich einzubringen. Als Non-Profit-Plattform zur Erarbeitung von fachlichen Standards rund um den Beratungsprozess erarbeitet er seit Mitte 2017 in einer eigenen Expertengruppe einen Vorschlag, wie Zielmarktdefinitionen sinnvoll – und vor allem einheitlich – realisiert werden können.

Ich hatte die Ehre, die Expertengruppe in den ersten Monaten zu moderieren und muss sagen: Beim Thema Zielmarktdefinition kann man wieder alles beobachten, was Regulierung so faszinierend und widersprüchlich zugleich macht. Denn auch hier sind sich fast alle Beteiligten einig, dass es sinnvoll ist, wenn die Produktgeber festlegen müssen, für welche Kunden sie welches Produkt entwickeln. Gleichzeitig führt das Gegeneinander von Theorie und Praxis zu einer Eigendynamik, die eines ahnen lässt: Am Ende könnte ein Ergebnis stehen, das niemandem hilft.

Wieder einmal hat niemand mit den Verbrauchern gesprochen

Bei allem gebotenen Respekt: Für mich ist § 23 der IDD ein weiteres Beispiel dafür, wie sich Juristen Verbraucherschutz vorstellen. Denn natürlich ist eine Information in kompakt aufbereiteter Form eine gute Idee. Das Problem: Wieder einmal hat niemand mit den Verbrauchern als den eigentlichen Adressaten der Regelung gesprochen. Und mit den Vermittlern auch nicht wirklich. Sonst würde man eine Zielmarktdefinition nicht so behandeln, als wäre sie eine Insel im Alltag der Versicherungsvermittlung, ohne jeden Bezug zur Beratung.

Produktinformationen zusammen mit dem Beratungsprozess denken

Mich erinnert das an die Produktinformationsblätter (PIBs) und Key Investor Information Documents (KIIDs) im Anlagebereich. Dort preschte Deutschland 2012 mit einer nationalen Zwischenlösung vor, später folgten einheitliche Vorgaben auf EU-Ebene.

Ich war zu dieser Zeit an einem Projekt beteiligt, das über 2.000 Verbraucher dazu befragte, wie Produktinformationen eigentlich aussehen müssen, damit sie nützlich sind. Wir konnten zeigen, wie wichtig es ist, Produktinformationen zusammen mit dem Beratungsprozess zu denken – die dritte Nachkommastelle einer Renditeangabe ist eben nicht so wichtig wie die Tatsache, dass sich Begriffe und Logiken aus der Beratung auch in der Produktinformation wiederfinden.

Nichts von diesen Erkenntnissen landete in der finalen Vorgabe für die Produktinformation. Uns wurde schmerzhaft vor Augen geführt, wie strikt das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) zwischen Beratung und Information trennt. Die beiden Felder werden juristisch so behandelt, als hätten sie kaum etwas miteinander zu tun. Die KIIDs machten das anschließend nicht anders. Kein Wunder, dass es heute Praxis ist, die KIIDs als Teil des Kleingedruckten mitzuliefern, „weil es der Gesetzgeber so verlangt“ – und nicht, weil man sie als hilfreichen Bestandteil der eigenen Beratung ansieht. Der Kunde – wenn er die Blätter überhaupt zur Kenntnis nimmt – fragt sich, wo die Angaben in der vorherigen Beratung aufgetaucht sein könnten.

Zielmarktdefinition sollte Mehrwert für die Beratung bringen

Auch die IDD-Zielmarktdefinition steht für mich in der Tradition einer juristischen wie gedanklichen Trennung von Produktinformation und Beratung. Damit könnte sich die Entwicklung der PIBs wiederholen und damit die Gefahr, dass die Zielmarktdefinition keinen Mehrwert für die Beratung bringt.

Anders als bei den PIBs/KIIDs droht im Versicherungsbereich darüber hinaus eine Zersplitterung, weil Teile der Vorgaben unscharf formuliert oder völlig neu sind. Beispielsweise ist der – wiederum im Prinzip sinnvolle! – Bewertungsbereich „Finanzkompetenz“ hinzugekommen. Wie man diese messen und für eine Produktkategorisierung verwenden soll, muss jeder Anbieter selbst entscheiden.

Zwei Stoßrichtungen für die konkrete Umsetzung

Aktuell brütet der Markt über die korrekte Auslegung solcher Details der Neuregelung. Es gibt dabei zwei Stoßrichtungen. Eine Gruppe, darunter der Arbeitskreis Beratungsprozesse, empfiehlt, die Struktur der Zielmarktdefinition aus dem Beratungsprozess herzuleiten. Der Arbeitskreis hat erst Anfang 2017 schlüssige neue Beratungsmaterialien veröffentlicht, die insbesondere das Risikoprofiling in Deutschland erheblich voranbringen dürften, da sie den Kunden sehr systematisch beschreiben. Dies würde ein Matching von Zielgruppen und in Frage kommenden Produkten möglich machen – aber nur, wenn die Produkte nach genau dem gleichen Verfahren beschrieben und kategorisiert werden wie der Kunde. Für jeden Vermittler wäre das die perfekte Welt.

Eine andere Gruppe von Marktteilnehmern hingegen, darunter viele Versicherer, argumentieren anders: Sie hangeln sich eng an den Regulierungstexten entlang und versuchen, sie nah am Wortlaut zu erfüllen. Dafür habe ich vollstes Verständnis, denn momentan ist der regulative Anpassungsdruck immens und jeder Prozess, der bleiben kann, wie er ist, schafft Entlastung. Leider wird dann nur nicht das Potenzial erschlossen, Produktinformation und Beratung enger auf einander abzustimmen.

Gefahr der uneinheitlichen Praxis – auch durch Zeitdruck

Das wäre schade, aber längst nicht so gefährlich, wie wenn es zu einer uneinheitlichen Praxis kommt. Auch wenn es zuletzt so aussah, als würde die EU dem Markt mehr Zeit für die Umsetzung der IDD einräumen: Unter dem hohen Zeitdruck hat jeder Versicherer einen Anreiz, schnell selbst eine Zielmarktdefinition zu basteln. Die Folgen für die Vermittlerschaft wären katastrophal: Verschiedene Zielmarktbeschreibungen für gleiche Produktklassen und Risiken. Das macht die Geeignetheitsprüfung unnötig schwierig.

Kundenmerkmale durch die Beratungsbrille betrachten

Insgesamt zeigt die bisherige Diskussion jedoch glücklicherweise eines: Fachlich ist die Zielmarktdefinition keine Raketenwissenschaft. Im Kompositbereich ist es nun einmal so, dass jeder ein Zielkunde für eine Wohngebäudeversicherung ist, der das Risiko des Verlusts eines Gebäudes hat. Etwas komplexer ist es im Bereich der Versicherungsanlageprodukte – vornehmlich der Fondspolicen. Welches Produkt hier bei welchen Kundenmerkmalen als geeignet zu klassifizieren ist, muss man in Ruhe durchdeklinieren. Alle Marktakteure sind im besten Eigeninteresse gefordert, dass dies einheitlich und durch die Beratungsbrille erfolgt. Denn dann wären die Zielmarktdefinitionen wirklich zu etwas brauchbar.