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29. Mai 2019
Rechtsschutzversicherung: Was die Musterklage im Dieselskandal bewirkt

Rechtsschutzversicherung: Was die Musterklage im Dieselskandal bewirkt

Mehr als 1.200 Rechtsschutzversicherte der ARAG haben sich der Musterfeststellungsklage gegen VW im Dieselskandal angeschlossen. Im September soll die Verhandlung beginnen. Was das neue Klageverfahren für die Rechtsschutzversicherung bedeutet, erklärt Hanno Petersen von der ARAG im Interview.

Zahlreiche Betroffene des Dieselskandals haben sich der Musterfeststellungsklage angeschlossen, die der Verbraucherzentrale Bundesverband in Kooperation mit dem ADAC gegen die Volkswagen AG auf den Weg gebracht hat. Das Klageverfahren, in dem sich Geschädigte im Prozess zusammenschließen können, besteht seit November 2018. Damit können Kläger die Verjährung hemmen und tragen kein Prozesskostenrisiko. Doch was bedeutet dieser neue Klageweg für die Rechtschutzversicherung? AssCompact hat darüber mit Hanno Petersen, Vorstand Konzern IT und Operations bei der ARAG gesprochen.

Herr Petersen, wie geht es weiter bei der Musterfeststellungsklage zum VW Dieselskandal und wie verhält sich die ARAG dazu?

Wir unterstützen generell alles, was unseren Kunden hilft, noch besser zu ihrem Recht zu kommen. Deshalb begrüßen wir auch eine solche Bündelung gleichgelagerter Klagebegehren. Wichtig ist, dass der einzelne Verbraucher von der größeren Schlagkraft des Kollektivs profitieren kann. Zur konkreten Musterfeststellungsklage gegen VW konnten sich unsere versicherten Rechtsschutz-Kunden zudem kostenlos beraten und auch eintragen lassen. Der Service steht allen unseren Verkehrs-Rechtsschutz-Kunden zur Verfügung. Von diesen haben bis heute 1200 von der Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Im September soll nun der erste mündliche Verhandlungstermin zur VW-Musterfeststellungsklage stattfinden. Das werden wir mit Interesse verfolgen. Zum jetzigen Zeitpunkt über einen möglichen Ausgang oder das weitere Verfahren zu spekulieren macht keinen Sinn.

Was bedeutet das Instrument der Musterfeststellungsklage für die Rechtschutzversicherung allgemein?

Für Rechtsschutzversicherer besitzen Musterfeststellungsverfahren das Potenzial, dass sie durch die Bündelung von Einzelansprüchen naturgemäß die Prozesskosten senken können. Sicher ist das aber nicht. So ist zum Beispiel noch völlig offen, wie die Welt nach der Musterfeststellungsklage aussehen wird. Je nach Ergebnis wird jeder Betroffene nach dem Urteil zur Musterfeststellungsklage seine individuellen Ansprüche dann noch einmal beziffern und geltend machen müssen. Es ist nicht realistisch prognostizierbar, wie sich VW in dieser Situation verhalten wird und welche Kosten im Nachlauf entstehen.

Streben Sie auf Grund der Musterfeststellungsklage Änderungen in den Policen an oder sind bereits welche erfolgt?

In unseren Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen (ARB) gibt es keine Regelungen, die gegen eine Musterfeststellungsklage sprechen. Eine Vertragsänderung ist daher nicht notwendig.

Sie bieten Kunden, die überlegen, an einem Musterfeststellungsklageverfahren teilzunehmen, Unterstützung in Form einer anwaltlichen Beratung vorab an. In welchen Fällen raten Sie Kunden ab oder zu?

Die Musterfeststellungsklage ist eine neue und mächtige Möglichkeit, eigene Ansprüche gemeinsam mit vielen anderen Geschädigten durchzusetzen. Aber auch die bisherigen Möglichkeiten von Einzelklagen bleiben bestehen und eine Musterfeststellungsklage passt nicht automatisch für jeden Fall. Ob eine Musterfeststellungsklage für den einzelnen Kunden wirklich sinnvoll und passend ist, ist von verschiedenen Faktoren abhängig – etwa von der voraussichtlichen Verfahrensdauer, vom eventuellen Wunsch, aktiv mit einem bestimmten Anwalt zusammenzuarbeiten, von der Frage, ob die Musterfeststellungsklage überhaupt zum Feststellungsziel des Kunden passt und natürlich den Erfolgsaussichten der Einzelklage.

Welche Vor- und Nachteile hat die Musterfeststellungsklage in Ihren Augen für Ihre Kunden?

Das hängt stark vom jeweiligen Einzelfall ab. Wenn die Klage von kompetenten Rechtsanwälten mit dem erforderlichen Verantwortungsgefühl für die angeschlossenen Teilnehmer geführt wird, können die Rechtssuchenden sicherlich von der Beteiligung an einer großen Klägergruppe profitieren. Andererseits haben wir aber auch mit Besorgnis wahrgenommen, dass inzwischen zwei Musterfeststellungsklagen – gegen die VW-Bank und die Mercedesbank – wegen unzulässiger Klageanträge abgewiesen wurden. Diesen Kunden hat der Weg in die Musterfeststellungsklage nur Nachteile und Enttäuschung gebracht.

Ein wichtiger Vorteil der Musterfeststellungsklage ist, dass sie als rechtskräftiges Musterurteil eine starke Bindungswirkung haben soll. Dies ist deutlich besser als die Perspektive, keine klare Rechtsprechungslinie zu haben, wie es einer Individualklage der Fall ist. Auch die Möglichkeit, von einem Gesamtvergleich zu profitieren, ist grundsätzlich ein deutlicher Vorteil der Musterfeststellungsklage.

Ist zu erwarten, dass eine Musterfeststellungsklage das Verfahren insgesamt beschleunigt?

Die Tatsache, dass das Verfahren der Musterfeststellungsklage direkt beim Oberlandesgericht startet, scheint zuerst einmal für dieses zu sprechen. Bislang hat der Gesetzgeber aber auch hier keinen wirksamen Mechanismus gefunden, um es effektiv zu beschleunigen und einer Verschleppung durch die eine oder andere Partei zu begegnen. Dies gilt allerdings genauso für Einzelklagen. Deshalb wäre sicherlich auch bei Masseschäden die Schaffung prozessualer Instrumente für eine möglichst schnelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs sinnvoll. Solange dies nicht geschieht, werden die Instanzgerichte wohl weiter massiv belastet und der damit verbundene Marsch durch die Instanzen verschlingt immense Kosten.

 
Ein Artikel von
Hanno Petersen