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2. September 2019
„Die Erwerbsunfähigkeitsversicherung müsste deutlich günstiger sein“

„Die Erwerbsunfähigkeitsversicherung müsste deutlich günstiger sein“

Die Erwerbsunfähigkeitsversicherung (EU) konnte sich bisher am Markt nicht durchsetzen. Die Abgrenzung zur gesetzlichen Erwerbsminderungsrente fällt schwer. Zudem schwelt die Diskussion, ob eine EU nun mehr Leistungen oder weniger brauche und ob die Preise zu hoch seien. Nachgefragt bei Dr. Jörg Schulz, Geschäftsführer der infinma Institut für Finanz-Markt-Analyse GmbH

Herr Dr. Schulz, Sie haben gerade Erwerbsunfähigkeitsversicherungen untersucht und festgestellt, dass es an dieser Stelle kaum Innovationen gibt. Wie erklären Sie sich das?

Es entsteht ein bisschen der Eindruck, dass die Erwerbsunfähigkeitsversicherung bei den Versicherern ein ungeliebtes Kind bleibt. Die Verkaufszahlen sind relativ mäßig und andere Produkte wie die Grundfähigkeitsversicherung scheinen als Alternative zur BU attraktiver zu sein als die EU. Sicherlich spielt es auch eine Rolle, dass die EU im Vertrieb nicht wirklich angekommen ist. Es fehlen stringente Vermarktungskonzepte, in denen die EU mehr ist als das Produkt, das man nimmt, wenn der Kunde zu krank ist oder die Prämie in der BU zu hoch.

Nun sind in der Vergangenheit zwar ein paar EU-Tarife geschlossen worden, aber es sind ja auch ein paar neue dazugekommen. Zeigt das nicht auch, dass man einfacheren und günstigeren Schutz ermöglichen will?

Na ja, im Oktober 2014 haben wir bei den Marktstandards in der EU noch 87 Tarife untersucht. Aktuell waren es nur noch 68. Ich glaube schon, dass der Bedarf an einem einfacheren und günstigeren Schutz gegen den Verlust der Arbeitskraft vorhanden ist. Die Frage ist jedoch, ob die EU das in einer Form leisten kann, die auf Dauer auch vom Markt angenommen wird.

Wie sehen Sie denn selbst die Erwerbsunfähigkeitsversicherung als Alternative zur BU?

Die Erwerbsunfähigkeitsversicherung hat es schwer. In der öffentlichen Wahrnehmung ist der Begriff Erwerbsunfähigkeit aufgrund der gesetzlichen Erwerbsminderungsrente eher negativ belegt. Diese Hürde gilt es zunächst mal zu überwinden. Um eine echte Alternative zur BU sein zu können, müsste die EU von den Prämien her deutlich günstiger sein. Die Preisunterschiede beispielsweise bei den nicht-körperlich Tätigen scheinen jedoch in vielen Fällen in der Praxis relativ gering zu sein. Das verringert natürlich die Attraktivität deutlich. Schon aufgrund der begrifflichen Nähe zur gesetzlichen Erwerbsminderungsrente sollten die EU-Produkte als Leistungsauslöser stets auch die Zahlung einer gesetzlichen Rente beinhalten. Zudem ist es sicherlich auch problematisch, wenn für BU und EU die gleichen vollumfänglichen Gesundheitsfragen verwendet werden, obwohl der Schutz in der EU deutlich geringer ist.

Wenn Sie fünf Aspekte herausgreifen müssten: Worauf sollten Makler bei der EU-Versicherung besonders achten – wenn wir mal die gängigen Standards weglassen?

Wie bereits gesagt sollte eine fällige gesetzliche Erwerbsminderungsrente auch Leistungsauslöser in der EU sein. Zudem sollten die Bedingungen keine unüblichen Regelungen beinhalten; so gibt es immer noch Produkte, bei denen der Prognosezeitraum nicht auf sechs Monate verkürzt ist. Schön wäre es auch, wenn das Produkt Teilleistungen bei teilweiser Erwerbsunfähigkeit enthält. Wie bei der BU, so spielt auch bei der EU der Versicherer eine große Rolle. Welche Erfahrung hat die Gesellschaft, mit der Absicherung biometrischer Risiken, speziell der BU und der EU? Auffällig ist auch, dass kaum ein Anbieter Zahlen, Daten und Fakten zur EU veröffentlicht. Beispiele für Leistungsfälle, Annahmequoten, Leistungsquoten und Ähnliches interessieren Vermittler und Kunden nicht nur in der BU.

Es gibt ja auch Wünsche von Makler- und vermutlich auch Verbraucherseite die EU-Tarife aufzurüsten. Zum Beispiel Erwerbsunfähigkeitsversicherungen mit einer Beitragsbefreiung bei Berufsunfähigkeit. Gleichen sich dann EU und BU zu sehr an?

Der Wunsch nach Aufrüstung der EU-Tarife steht dem Wunsch nach einer vor allem preislich interessanten Alternative zur BU diametral gegenüber. Umgekehrt müsste vielmehr geprüft werden, ob bestimmte Leistungen nicht aus dem Produkt herausgelassen werden können, um es im Gegenzug günstiger machen zu können. Die Forderung nach einer Beitragsbefreiung im BU-Fall taucht in der öffentlichen Diskussion immer wieder auf. Letztlich ist das jedoch nicht mehr als Populismus. Ein solches Produkt müsste zwei völlig unterschiedliche Leistungsauslöser haben: die mindestens 50%-ige Berufsunfähigkeit und die Erwerbsunfähigkeit. Dementsprechend ergeben sich zwei völlig unterschiedliche Prozesse in der Leistungsprüfung. Gerade das Erreichen des erforderlichen BU-Grades führt in der Praxis häufig zu Problemen in der Leistungsprüfung. Daher erscheint es nicht sinnvoll, diese auch noch in die EU einzuführen. Insgesamt würde eine solche Produktgestaltung erhebliche Erhöhungen der Prämie zur Folge haben müssen. Damit wird die EU nicht attraktiver, sondern lediglich teurer.

Insgesamt geht es gerade nicht darum, EU und BU mehr anzugleichen. Vielmehr müsste die EU ihr eigenes Profil schärfen. Positiv sehen wir beispielsweise den Ansatz, auch bei teilweiser Erwerbsunfähigkeit bereits (Teil-) Leistungen zu erbringen. Statt die Leistungsseite aufzurüsten, wäre es wünschenswert, wenn die Versicherer versuchen würden, die Bedingungen verständlicher und eindeutiger zu formulieren. Immer noch findet man Formulierungen wie „die am allgemeinen Arbeitsmarkt üblich sind“. Was ist der allgemeine Arbeitsmarkt? Wie definiert man üblich? Mehr Klarheit darüber, wann die Leistung wirklich fällig wird, wäre vermutlich die Art der Aufrüstung, die dem Kunden den meisten Nutzen stiftet und damit in der Konsequenz auch den Vertrieb ankurbeln könnte.

Bild: © nmann77 – stock.adobe.com

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