Ein Mann, der im Februar 2014 verstorben war, hatte ein beträchtliches Vermögen hinterlassen. Ein Nachlasspfleger wurde bestellt, der die Erben ermitteln sollte. Der Nachlasspfleger gab eine Erbschaftssteuererklärung ab. Nach 14 Monaten setzte das Finanzamt Erbschaftssteuer gegenüber den Erben fest. Da die Erbengemeinschaft aber immer noch nicht ermittelt war, schätzte das Finanzamt kurzerhand die Zahl der Erben und deren Steuerklasse. Die Behörde ging von 20 nicht näher mit dem Erblasser verwandten Erben aus, die deshalb allesamt in die Steuerklasse III fielen. Der Steuerbescheid wurde an den Nachlasspfleger überstellt.
Nachlasspfleger widerspricht Finanzamt
Der Nachlasspfleger legte stellvertretend für die Erbengemeinschaft Einspruch ein. Seiner Ansicht nach hatte er noch nicht genug Zeit gehabt, um sämtliche Erben ausfindig zu machen. Des Weiteren könne das Finanzamt nicht einfach die Anzahl der Erben und die Höhe ihrer Freibeträge schätzen.
Geschätzte Anzahl der Erben steigt
Die kuriose Reaktion der Behörde auf diesen Einwand: Sie erhöhte die geschätzte Anzahl der Erben auf 30. Abgesehen davon hielt sie an der Erbschaftssteuerfestsetzung unverändert fest. Der Nachlasspfleger klagte daraufhin gegen das Finanzamt.
Unbekannte Erben als abstraktes Subjekt
Das Finanzgericht gab dem Finanzamt Recht und auch im Revisionsverfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) zog der Nachlasspfleger den Kürzeren. Die Bundesrichter waren der Überzeugung, dass auch gegen „unbekannte Erben“ eine Erbschaftssteuer festgesetzt werden könne, falls eine Nachlasspflegschaft angeordnet wurde. Die „unbekannten Erben“ seien zunächst ein abstraktes Subjekt, das sich anschließend als eine oder mehrere reale Personen herausstellen könne. Wichtig sei, dass somit ein Schuldner für die Erbschaftssteuer gefunden werde. Das Finanzamt dürfe im Anschluss die Anzahl der Erben, deren Steuerklasse und die anwendbaren Freibeträge schätzen.
Nachlasspfleger hat circa ein Jahr zur Ermittlung der Erben
Der BFH schränkte diese Möglichkeit im Rahmen seiner Urteilsbegründung jedoch ein. Da dem Nachlasspfleger in diesem Fall nämlich ein erheblicher Aufwand entstünde, müsse ihm dafür ausreichend Zeit eingeräumt werden. Wie viel Zeit das im Einzelnen ist, könne sich von Fall zu Fall unterscheiden. Ein Jahr sei nach Ansicht der Bundesrichter aber eine gute Faustregel.
Erbschaftssteuer nicht noch einmal festsetzbar
Der Nachlasspfleger könne diese Schätzung dann vom Finanzgericht überprüfen lassen, erläuterten die Bundesrichter das Prozedere. Wenn die Erben in so einem Fall nicht bis zum Ende des Gerichtsverfahrens ermittelt werden könnten, bliebe es bei der Erbschaftssteuer auf Basis der Schätzung des Finanzamts. Die Erbschaftssteuer dürfe dann nicht erneut gegen die nun ermittelten Erben festgesetzt werden. Auch der BFH selbst sei an diese Regelung gebunden. (tku)
BFH, Urteil vom 17.06.2020, Az.: II R 40/17
Bild: © lassedesignen – stock.adobe.com
Lesen Sie zum Thema Erbrecht auch:
- Erbrecht: Wann beginnt die Zehnjahresfrist?
- Das kopierte Testament – Nachträgliche Korrekturen zulässig?
- Das doppelte Testament – Aufhebung durch Zerreißen möglich?
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können