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24. August 2017
„Die Emotion ist zweifellos wieder in die Märkte zurückgekehrt“

„Die Emotion ist zweifellos wieder in die Märkte zurückgekehrt“

Gier und Panik sind ständige und teure Begleiter an den Finanzmärkten. Nicht nur Anleger selbst, sondern auch Berater sollten daher über Börsenpsychologie Bescheid wissen. Das Beratungsunternehmen sentix Asset Management erforscht und nutzt sie seit vielen Jahren. Welche psychologischen Fehler dringend vermieden werden sollten und wie es um die aktuelle Verfassung bestellt ist, erläutert Geschäftsführer Patrick Hussy im Gespräch mit AssCompact.

Herr Hussy, welche psychologischen Fehler machen Anleger besonders häufig?

Die Fakten nicht objektiv, sondern sehr subjektiv zu bewerten. In der Fachsprache nennt man dieses Phänomen „selektive Wahrnehmung“. Es liegt in der Natur des Menschen und damit auch der Anleger, dass sie vor allem nach den Informationen und Nachrichten suchen, die zu ihrer bereits vorhandenen Meinung passen. Finden Anleger eine Aktie ohnehin gut, lesen sie vor allem die positiven Nachrichten bzw. ziehen sich die positiven Aspekte aus Unternehmensmeldungen heraus, die sie in ihrer Meinung bestätigen. Negative Punkte oder auch andere Meinungen werden stattdessen ausgeblendet.

Welche Fehler machen Anleger noch besonders häufig?

Ein Fehler, der ebenfalls besonders häufig vorkommt, ist die Selbstüberschätzung. Viele Neuanleger folgen ihrem Herdentrieb in Aufwärtsphasen an den Märkte. In solchen Phasen laufen die Investments in aller Regel erst einmal ziemlich gut. Da Erfolg Recht gibt, steigt das Vertrauen in die eigene Anlagestrategie. Und wenn das Zutrauen an die eigene Prognosefähigkeit viel zu stark ausgeprägt ist, verleitet dies zu immer größeren Positionen. Oftmals starten die Anleger mit kleinen Aktienquoten. Wenn das eine Weile gut gegangen ist, werden dann zu höheren Kursen die Quoten erhöht. Das Geldverdienen scheint einfach. Durch den Nachkauf zu relativ hohen Kursen steigt der durchschnittliche Einkaufskurs deutlich an, sodass viele Anleger trotz langer Erfolgsphasen selbst bei kleineren Rückschlägen oft schon ins Minus geraten – geschweige denn bei größeren Rücksetzern.

Sich dem Trend an den Märkten anzuschließen, kann sich aber auch auszahlen. Wie sinnvoll ist es, sich zeitweise auf die Seite der Masse zu stellen?

Hier muss man unterscheiden zwischen der Weisheit der vielen und der Verrücktheit der Massen. Beides gehört zu den Märkten von Natur aus dazu. Einerseits hat eine große Masse in normalen Phasen ein relativ gutes Gespür. Eine heterogene Gruppe gibt meist bessere Schätzungen ab als der beste Einzelexperte. Auf diese Weisheit der vielen zu vertrauen, ist sinnvoller, als die eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten zu überschätzen. Allerdings gibt es natürlich auch Phasen, in denen die Masse verrückt spielt und dann entweder die Gier oder die Panik regiert. In diesen Phasen sollte man sich als Anleger natürlich nicht von der emotionalisierten Masse leiten lassen.

Wie lässt sich erkennen, ob ein Markt über- oder untertreibt?

Indem man das Anlegerverhalten möglichst umfassend und objektiv misst und auswertet. sentix tut dies seit 2001 durch eine wöchentliche Kapitalmarktumfrage. Dadurch ist mittlerweile eine lange und verlässliche Datenbasis über das Anlegersentiment vorhanden. Das sorgt für zuverlässige Prognosen, die aus dem aktuellen Sentiment abgeleitet werden können. Die Umstände an den Kapitalmärkten ändern sich, das Anlegerverhalten bleibt gleich. Zu einzelnen Kapitalmarktsituationen gibt es mittlerweile eine Vielzahl an historisch vergleichbaren Datenkonstellationen, die uns eine verlässliche Prognose mit hohen Trefferquoten von bis zu 70 oder 80% ermöglicht.

Wie sieht die Stimmung aktuell aus?

Sehr interessant. Wir kommen gerade aus einer Phase der Lethargie. Lange Zeit herrschte bei den Anlegern eine relativ große Emotionslosigkeit. Das hat sich zuletzt allerdings geändert. Das Sentiment für die meisten Aktienmärkte ist deutlich eingebrochen. In unserer Umfrage Ende Juni haben wir mehrere 52-Wochen-Tiefs gemessen. Die Stimmung für deutsche Aktien ist sogar auf das niedrigste Niveau seit Februar 2016 gefallen. Statistisch wird damit der Boden für steigende Kurse gelegt. Die Emotion ist also zweifellos wieder in die Märkte zurückgekehrt.

Warum haben wir trotz Rekordkursen keine Euphorie?

Die Nachrichtenlage rund um die Folgen einer möglichen Zinswende oder auch die Ängste vor der Politik von Donald Trump haben eine große Skepsis der Anleger zur Folge. Wir messen eine zunehmend negative Stimmung an den Märkten – und das, obwohl weiterhin ein relativ großes Vertrauen in die Konjunktur vorhanden ist. Normalerweise würden solch hohe Börsenkurse eher Euphorie verursachen, was jedoch im Moment völlig ausbleibt. Deswegen sind wir bei den eigenen Fonds derzeit auch recht offensiv aufgestellt. Beim sentix Risk Return -A- liegt die Aktienquote derzeit bei fast 70%. Und das, obwohl die Investitionsquote vor Kurzem noch bei nahezu 0% lag. Kritisch wird es immer dann, wenn die Masse der Anleger stark investiert und relativ euphorisch wird. Denn dann besteht kaum noch positives Überraschungspotenzial. Dies ist aktuell nicht der Fall. Wir rechnen mit steigenden Kursen.

sentix selbst nutzt Behavioral Finance beim Management eigener Fonds. Was bedeutet das konkret?

Zunächst natürlich, dass wir uns so weit es geht von subjektiven Einschätzungen frei machen. Wir ermitteln die Stimmungen der Anleger durch unsere wöchentliche Kapitalmarktumfrage – quasi in Echtzeit –, und das seit vielen Jahren sehr systematisch. In unserem Investmentansatz geht es darum, Muster im Anlegerverhalten zu identifizieren, die auf eine günstige Gelegenheit hinweisen. Wir untersuchen dabei die Schlüsselgrößen Sentiment und Grundvertrauen, Marktpreise und Investmentthemen und vertrauen stark auf unsere langjährig erprobten Modelle zur Sentiment-Analyse. Zeigen unsere Indikatoren starken Pessimismus, lohnt es sich in aller Regel, konträr zu denken und die eigenen Ängste zu überwinden. Herrscht an den Märkten Euphorie, gilt es diese kritisch zu hinterfragen und die Investitionsquoten niedrig zu halten. Wir managen vier eigene Publikumsfonds und betreuen zahlreiche institutionelle Mandate nach den Grundsätzen der Behavioral Finance.

Wie macht man sich als Fondsmanager frei von Emotionen?

Auch bei uns handeln letztlich Menschen. Deshalb haben wir uns ein gutes Gerüst gegeben, das uns in unserem Entscheidungsverhalten hilft. Wir gehen sehr diszipliniert vor und befolgen unser Regelwerk, sowohl im Research wie auch im Risikomanagement. Aufgrund der langjährigen positiven Erfahrungswerte aus den Modellen fällt es uns leichter, uns konsequent an den Modellen und ihren Ergebnissen auszurichten.

Können Sie in Ihren Fonds auch Shorts nutzen?

Das kommt auf das Produkt an. Im sentix Fonds Aktien Deutschland, der bewusst eine hohe Korrelation zum Dax aufweist, versuchen wir durch geschickte Über- und Unter­gewichtungen einen Mehrwert zum Index zu erzielen. Echte Shorts sind in diesem Fonds ausgeschlossen. Beim sentix Risk Return -A- erwarten die Investoren dagegen nicht, dass der Fondsmanager am Index klebt, sondern unabhängig von einer Benchmark attraktive Renditen erzielt. Da können auch Shorts der Weg zum Ziel sein. Bei den Total-Return-Produkten sentix Total Return -defensiv- und sentix Total Return -offensiv- steht Sicherheit an erster Stelle. Da es in dieser Fondskategorie darum geht, eine Wertuntergrenze zu sichern, werden sehr risikokontrolliert Chancen bei unterschiedlichen Asset-Klassen genutzt. Dies kann situativ bedeuten, dass wir auf steigende wie auch fallende Märkte setzen. Durch die Wertuntergrenze bekommen Investoren eine gewisse Planungssicherheit und Absicherung – auch in unsicheren Börsenzeiten.

Wie flexibel agieren Sie beim Management der Fonds?

Sehr flexibel. Wie schon angesprochen haben wir beim sentix Risk Return -A- die Aktienquoten zuletzt deutlich erhöht. Bei diesem Fonds kann der Investitionsgrad zwischen plus 130% und minus 50% variieren. Das ist eine enorm große Bandbreite, die wir auch aktiv ausnutzen. Risiken werden dann eingegangen, wenn diese aus unseren Analysen heraus bezahlt werden. Umgekehrt halten wir uns dann auch fern, wenn hohe Rückschläge wahrscheinlich sind. Wir streben mit diesem Ansatz ein Ertragsziel von 7,5% per anno an, was dem langjährigen Schnitt einer Aktienanlage entspricht, jedoch mit deutlich geringeren Risiken. Wichtig ist dabei aber, dass man sich nicht von Emotionen wie Euphorie oder Panik leiten lässt, sondern die Entscheidungen auf objektiven Fakten beruhen. Konträr zu denken und zu handeln, lohnt sich. Das gilt für uns genauso wie für Berater oder Kleinanleger.

Das Interview lesen Sie auch in AssCompact 08/2017, Seite 48 f.

 
Ein Artikel von
Patrick Hussy