Interview mit Jennifer Brockerhoff von Brockerhoff Finanzberatung
Hi, Jennifer, die Nachhaltigkeit hat es aktuell gesellschaftlich schwer – aus verschiedenen Gründen. Merkst du das in deiner Beratung?
Ja, das spüre ich natürlich. Viele Menschen sind zunehmend verunsichert, sei es durch politische Diskussionen, Greenwashing-Vorwürfe oder die Sorge, ob nachhaltige Geldanlagen überhaupt noch rentabel sind. Gleichzeitig spüre ich aber auch eine wachsende Sehnsucht nach Sinnhaftigkeit, gerade in Zeiten multipler Krisen. Meine Aufgabe sehe ich darin, in den Dialog zu gehen und genau über diese Auswirkungen zu sprechen und aufzuklären.
Stellst du unterschiedliche Nachhaltigkeitsbedürfnisse je nach z. B. Geschlecht oder Altersgruppe bei deinen Kundinnen und Kunden fest?
Ja, ganz klar. Jüngere Kunden fragen häufiger explizit nach Impact Investing und wollen wissen, welchen tatsächlichen Unterschied ihr Geld macht. Frauen bringen oft sehr reflektierte Fragen mit, auch zur Wirkung auf soziale Aspekte. Männer dagegen stellen eher die Performance in den Vordergrund, wobei das auch nicht pauschalisiert werden kann. Ich finde diese Vielfalt spannend, denn sie zeigt, dass nachhaltiges Investieren keine Einheitslösung braucht, sondern individuelle Strategien.
Woher kommen diese Unterschiede?
Es sind soziale Prägungen, persönliche Erfahrungen und natürlich auch die jeweilige Lebensphase. Frauen kümmern sich heute früher und intensiver um die eigene finanzielle Bildung und bringen dann ein starkes Bedürfnis nach Transparenz mit. Jüngere Generationen wachsen mit dem Wissen um Klimakrise, Genderfragen und systemische Ungleichheit auf und sind deutlich kritischer zum Beispiel in Bezug auf Greenwashing oder Impactwashing.
Wie definierst du nachhaltiges Investieren in deiner Beratung konkret?
Für mich bedeutet nachhaltiges Investieren, Geld in Einklang mit den eigenen Werten zu bringen unter Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und ethischen Kriterien. Es geht nicht nur darum, bestimmte Ausschlusskriterien anzuwenden, sondern um eine ganzheitliche Betrachtung: Was bewirkt mein Geld? Wie transparent ist die Wirkung nachvollziehbar? Welche strukturellen Veränderungen werden angestoßen? Und wie fühlt sich das Investment an: im Herzen und im Kopf? Ich verbinde klassische Finanzanalyse mit Geldpsychologie, und das macht den Unterschied zur klassischen Finanzberatung.
Oft wird bei ESG hauptsächlich über das „E“ gesprochen. Werden das „S“ und das „G“ irgendwann stärker in den Fokus rücken?
Im Moment bleibt das eher eine Wunschvorstellung. Das „S“ steht für das soziale Gefüge: faire Löhne, Diversität, Gleichstellung, Bildung – zentrale Themen, die unsere Gesellschaft zusammenhalten und leider derzeit teilweise auf dem Rückzug sind. Und „G“, also Governance, betrifft die Frage: Wer trifft Entscheidungen? Wie transparent, divers und verantwortlich ist ein Unternehmen geführt? Ich wünsche mir, dass wir ESG nicht als Checkliste, sondern als Haltung begreifen. Denn gute Führung und soziale Gerechtigkeit sind kein Beiwerk, sondern die Basis zukunftsfähiger Wirtschaft.
Aktuell wird viel über die Vereinbarkeit von Rüstung und Nachhaltigkeit diskutiert. Wie stehst du dazu?
Persönlich sehe ich nachhaltige Geldanlagen als einen Beitrag zu einer regenerativen Wirtschaft, Ressourcenschonung und sozialer Gerechtigkeit – Rüstung ist damit schwer vereinbar. Gleichzeitig verstehe ich den politischen Diskurs über Verteidigungsfähigkeit. Jeder Kunde soll dies persönlich entscheiden. Es bedarf meines Erachtens dafür keines Nachhaltigkeitslabels für Rüstung.
Hast du besondere Wünsche an Produktanbieter und Regulatoren, die dir bei der Beratung zu nachhaltigen Geldanlagen helfen könnten?
Na ja, die Regulatoren bestimmen darüber, was die Produktanbieter erstellen. Und bisher war das Ergebnis wenig praktikabel in der Beratung. Daher wünsche ich mir, dass die regulatorischen Anpassungen mehr auf die Realität von Kunden und Berater zugeschnitten werden, damit die Überforderung nachlässt.
Wie siehst du die Zukunft der nachhaltigen Kapitalanlagen?
Wir befinden uns in einer weiteren Bereinigungsphase. Nachhaltige Kapitalanlagen werden nicht verschwinden, im Gegenteil: Sie entwickeln sich laufend weiter. Weg von Marketing-Labels hin zu Transformation und echtem Impact. Wir stehen an einem Kipppunkt, sowohl ökologisch als auch gesellschaftlich. Mein Beitrag ist, weiter Aufklärungsarbeit zu leisten, damit Menschen ihr Geld als Werkzeug für Veränderung verstehen.
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