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Steuern & Recht
4. April 2019
BGH-Urteil: Arzt haftet nicht im Fall einer fehlenden Patientenverfügung

BGH-Urteil: Arzt haftet nicht im Fall einer fehlenden Patientenverfügung

Welche Folgen eine fehlende Patientenverfügung haben kann, zeigt ein aktuelles Urteil des BGH. Angeklagt war der Hausarzt, weil er über Jahre einen leidenden Mann per Magensonde ernähren ließ. Zu Recht, wie das höchste Gericht nun entschied. Ein Menschenleben darf unter keinen Umständen als „Schaden“ angesehen werden.

Ein Menschenleben darf in keinem Fall, auch wenn es leidend fortgeführt wird, als Schaden angesehen werden. Ein Urteil über den Wert dieses Lebens steht keinem Dritten zu. So lautet der Tenor eines aktuellen wegweisenden BGH-Urteils. Der Sohn und Erbe eines mit lebenserhaltenden Maßnahmen versorgten Patienten hat daher keinen Anspruch auf Ersatz von Behandlungs- und Pflegeaufwendungen, wenn keine Patientenverfügung vorliegt. Auch Schmerzensgeld aus ererbtem Recht seines Vaters steht ihm nicht zu.

Keine Patientenverfügung: Künstliche Ernährung erfolgt nicht gegen den Patientenwillen

Im konkreten Fall ging es um einen an fortgeschrittener Demenz leidenden Vater. Er war bewegungs- und kommunikationsunfähig. In den letzten beiden Jahren seines Lebens kamen Lungenentzündungen und eine Gallenblasenentzündung hinzu. Im Oktober 2011 verstarb er. Der Patient wurde von September 2006 bis zu seinem Tod mittels einer PEG-Magensonde künstlich ernährt. Sein Wille im Hinblick auf lebenserhaltende Maßnahmen ließ sich auch nicht anderweitig feststellen. Die künstliche Ernährung erfolgte somit nicht gegen den Willen des Betroffenen.

Der klagende Sohn war jedoch der Ansicht, die künstliche Ernährung habe spätestens seit Anfang 2010 nur noch zu einer sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens des Patienten geführt. Der Arzt sei daher verpflichtet gewesen, das Therapieziel dahingehend zu ändern, dass das Sterben des Patienten zugelassen werde.

Urteil über den Wert eines Menschenlebens steht keinem Dritten zu

Der BGH sah dies anders. Es fehle seiner Ansicht nach an einem immateriellen Schaden. Das menschliche Leben sei ein Rechtsgut höchsten Ranges und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über den Wert dieses Lebens steht keinem Dritten zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben – auch ein leidensbehaftetes Weiterleben – als Schaden anzusehen (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG).

Ein Menschenleben darf nicht als Schaden beurteilt werden

Dies gilt auch, wenn ein Patient selbst sein Leben als lebensunwert erachtet und in der Folge lebenserhaltende Maßnahmen gegen seinen Willen zu unterbleiben haben. Selbst dann verbietet die Verfassungsordnung aller staatlichen Gewalt einschließlich der Rechtsprechung das Urteil eines Dritten über das Leben des betroffenen Patienten mit der Schlussfolgerung, dieses Leben sei ein Schaden.

Ärzte haben keine Pflicht, das Erbe ungeschmälert zu erhalten

Der Sohn hat auch keinen Anspruch auf Ersatz der durch das Weiterleben seines Vaters entstandenen Behandlungs- und Pflegeaufwendungen. Der Zweck von Aufklärungs- und Behandlungspflichten der Ärzte bei lebenserhaltenden Maßnahmen ist es nicht, wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben verbunden sind, zu verhindern. Insbesondere dienen diese Pflichten nicht dazu, dass das Vermögen für die Erben möglichst ungeschmälert erhalten bleibt.

BGH, Urteil vom 02.04.2019, Az.: VI ZR 13/18