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Steuern & Recht
11. Juli 2022
BGH urteilt zugunsten von Wärmedämmung

BGH urteilt zugunsten von Wärmedämmung

Ob eine Regelung im Nachbargesetz des Landes Berlin, die eine grenzüberschreitende nachträgliche Wärmedämmung von Bestandsbauten erlaubt, mit dem Grundgesetz vereinbar ist, darüber hatte der BGH jüngst zu entscheiden und hat ein eindeutiges Urteil gefällt – allerdings auch Bedenken geäußert.

Zwei Eigentümerparteien benachbarter Grundstücke in Berlin sind miteinander in folgenden Konflikt geraten: Das auf dem Grundstück der Beklagten stehende Gebäude ist ca. 7, 5 m niedriger als das Gebäude der Klägerin. Die Klägerin will im Rahmen einer Fassadensanierung den seit 1906 nicht mehr sanierten grenzständigen Giebel ihres Gebäudes mit einer 16 cm starken mineralischen Dämmung versehen und in diesem Umfang über die Grenze zum Grundstück der Beklagten hinüberbauen.

Bisheriger Prozessverlauf: Amtsgericht gibt Klägerin Recht

Das Amtsgericht hat die Beklagte verurteilt, die Überbauung ihres Grundstücks zum Zwecke der Wärmedämmung der grenzständigen Giebelwand des klägerischen Gebäudes zu dulden. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision wollte die Beklagte die Abweisung der Klage erreichen. Die Revision hatte nun vor dem BGH aber auch keinen Erfolg.

BGH: Wärmedämmung von Bestandsgebäuden steht im Vordergrund

Der BGH begründete seine Entscheidung folgendermaßen: Der Anspruch des Grundstückseigentümers aus § 16a NachbarG BIn auf Duldung einer grenzüberschreitenden Wärmedämmung hat einzig zur Voraussetzung, dass die Überbauung zum Zwecke der Dämmung eines bereits bestehenden, entlang der Grundstücksgrenze errichteten Gebäudes erfolgt. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall gegeben.

Berliner Gesetzgeber auf einfache Handhabung bedacht

In den Regelungen anderer Bundesländer, so der BGH, werde der Duldungsanspruch durchweg von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht – etwa davon, dass der Überbau die Benutzung oder beabsichtigte Benutzung des Grundstücks des Nachbarn nicht oder nur geringfügig beeinträchtige oder dass eine vergleichbare Wärmedämmung auf andere Weise (etwa durch eine Innendämmung) mit vertretbarem Aufwand nicht vorgenommen werden könne. Der Berliner Gesetzgeber habe auf solche Regelungen bewusst verzichtet, um die Handhabung der Vorschrift möglichst einfach zu gestalten und nicht durch den möglichen Streit über weitere Voraussetzungen zu belasten. Im Hinblick auf diesen ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers und den eindeutigen Wortlaut von § 16a NachbarG BIn könnten Voraussetzungen und Einschränkungen des Duldungsanspruchs, wie sie die Nachbarrechtsgesetze anderer Bundesländer enthalten, der Norm auch nicht unter Rückgriff auf „allgemeine Rechtsgrundsätze“ oder im Wege der verfassungskonformen Auslegung entnommen werden.

BGH betrachtet § 16a NachbarG BIn noch als verhältnismäßig

Bei der Betrachtung der gesamten Argumentation erscheint es dem BGH durchaus möglich, dass § 16a NachbarG BIn noch als verhältnismäßig anzusehen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Regelung aus Sicht des Gesetzgebers nicht allein das Verhältnis zweier Grundstückseigentümer untereinander betrifft, deren Individualinteressen zum Ausgleich zu bringen sind, sondern vor allem dem Klimaschutz und damit einem anerkannten Gemeinwohlbelang dient, dem über das aus Art. 20a GG abgeleitete Klimaschutzgebot Verfassungsrang zukommt.

Das wirtschaftliche Interesse des Grundstückseigentümers an der Einsparung von Energie durch eine grenzüberschreitende Dämmung seines Bestandsgebäudes wird deswegen höher gewichtet als das entgegenstehende Interesse des Nachbarn an der vollständigen Nutzung seines Grundstücks‚ weil es sich mit dem Interesse der Allgemeinheit an der möglichst raschen Dämmung von Bestandsgebäuden deckt.

Individuelle Interessen treten zurück

Zwar erscheint dem BGH bedenklich, dass individuelle Interessen des Nachbarn selbst dann keine Berücksichtigung finden, wenn im Einzelfall die Annahme einer Unzumutbarkeit der Duldungsverpflichtung naheläge. Gleichzeitig weist der BGH aber auch auf darauf hin, dass der Streit zwischen den Nachbarn über die Frage, ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, bei jeder einzelnen Maßnahme zu einer unter Umständen Jahre währenden Verzögerung oder sogar dazu führen könne, dass der Grundstückseigentümer von der Dämmung seines Gebäudes ganz absehe. Die Richter halten es daher für nicht ausgeschlossen, dass der generalisierende Ansatz des Berliner Landesgesetzgebers, den Duldungsanspruch klar und einfach zu regeln, um auf das Ganze gesehen die Durchführung möglichst vieler und rascher Dämmmaßnahmen zu erreichen, noch zulässig ist, auch wenn damit für den jeweiligen Nachbarn im Einzelfall gewisse, unter Umständen auch erhebliche, Härten verbunden sein mögen. (ad)

BGH, Urteil vom 01.07.2022 – V ZR 23/21

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