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2. August 2021
Brief auf Postweg verschollen – Ist die Frist endgültig versäumt?

Brief auf Postweg verschollen – Ist die Frist endgültig versäumt?

Wer trägt die Verantwortung dafür, wenn ein Schriftsatz auf dem Postweg verloren geht und deshalb eine Frist nicht eingehalten wird? Das musste nun der BGH im Fall eines überarbeiteten Rechtsanwalts entscheiden, dessen Antrag auf Fristverlängerung nicht beim zuständigen Gericht ankam.

Will man sicherstellen, dass ein wichtiger Brief auch garantiert ankommt, wird im geschäftlichen Kontext häufig auf Einschreiben zurückgegriffen. Auf diesem Weg verfügt man zumindest über einen Nachweis darüber, dass der Brief überhaupt aufgegeben wurde. Doch was ist, wenn ein bedeutender Brief einfach in den Postkasten eingeworfen wird und nie beim Adressaten ankommt? Liegt die Verantwortung für ein etwaiges Fristversäumnis unter diesen Umständen beim Absender oder bei der Post? Dazu musste nun der Bundesgerichtshof (BGH) eine Entscheidung treffen.

Anwalt ist akut überarbeitet

Im zugrunde liegenden Fall sollte ein Anwalt für seinen Mandaten Berufung gegen ein Urteil des Amtsgerichts Berlin-Mitte einlegen. Als dem Rechtsanwalt klar wurde, dass er aufgrund von akuter Arbeitsüberlastung die Frist nicht würde einhalten können, beantragte er eine Fristverlängerung am zuständigen Landgericht.

Antrag auf Fristverlängerung verschollen

Zu diesem Zweck verfasste er einen Antrag auf Fristverlängerung und beauftragte eine Angestellte, den Antrag in ein Kuvert zu stecken und in einen nahe gelegenen Briefkasten zu werfen. Die Angestellte führte die Anweisung aus. Der Brief kam jedoch nie beim Landgericht an.

Gericht lehnt Wiedereinsetzung ab

Nachdem die Frist abgelaufen war, teilte das Landgericht dem Anwalt mit, dass keine Berufungsbegründung vorliege. Das Urteil des Amtsgerichts erlange somit Rechtskraft. Der Rechtsanwalt beantragte daraufhin schnellstmöglich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und erneuerte sein Ersuchen um Fristverlängerung.

Rechtsbeschwerde beim BGH

Innerhalb des Zeitraums, den er als Fristverlängerung beantragt hatte, reichte der Anwalt seine Berufungsbegründung schließlich auch ein. Nach Ansicht des Landgerichts jedoch zu spät. Das Landgericht Berlin wies die Wiedereinsetzung zurück und erklärte die Berufung für unzulässig. Dagegen erhob der Anwalt im Namen seines Mandanten Rechtsbeschwerde beim BGH.

Rechtsanwalt darf sich auf Postlaufzeiten verlassen

Die Bundesrichter entschieden zugunsten des Anwalts und seines Mandaten. Die Berufungsbegründungsfrist sei ohne eigenes Verschulden versäumt worden. Dem Wiedereinsetzungsantrag hätte das Landgericht stattgeben müssen. Da der Anwalt den Antrag auf Fristverlängerung sechs Tage vor Fristende in den Briefkasten werfen ließ, habe er sich darauf verlassen können, dass der Brief vor Ablauf der Frist beim Landgericht eingehe. Der Anwalt sei darüber hinaus nicht verpflichtet gewesen, sich beim Gericht darüber zu erkundigen, ob seinem Antrag stattgegeben wurde oder nicht. Er habe vielmehr darauf vertrauen dürfen, dass die üblichen Postlaufzeiten eingehalten würden und das Gericht einer ersten Verlängerung wegen akuter Arbeitsüberlastung zustimme.

Kein Nachweis erforderlich

Der Anwalt sei nach Überzeugung des BGH auch nicht dazu verpflichtet gewesen, einen Nachweis darüber zu erbringen, dass der Brief tatsächlich in den Briefkasten eingeworfen wurde. Vielmehr reiche eine verständliche und schlüssige Schilderung der Abläufe bis zur Postaufgabe des Antrags.

Verfahren zurückverwiesen

Der BGH hat die Entscheidung des Berufungsgerichts dementsprechend aufgehoben und die Sache zur weiteren Verhandlung zurückverwiesen. (tku)

BGH, Beschluss vom 22.06.2021 – VIII ZB 56/20

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