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25. September 2020
Corona: Diese Langzeitfolgen für die bAV sind zu befürchten

Corona: Diese Langzeitfolgen für die bAV sind zu befürchten

Kritischer als die kurz- oder mittelfristigen Belastungen der betrieblichen Versorgungssysteme durch Corona sehen Aktuare derzeit die langfristigen Wirkungen, die ein Zinstief auf unbestimmte Zeit mit sich bringen könnte. Gefragt seien eine Stärkung der Risikotragfähigkeit sowie ein generationengerechtes Ausbalancieren der bAV.

Die Mediziner machen sich zunehmend Gedanken über die gesundheitlichen Langzeitfolgen von Corona. Die Branchenexperten nehmen die langfristigen Wirkungen von Corona für die Assekuranz genauer unter die Lupe. Einer davon ist Dr. Friedemann Lucius, Vorstandsvorsitzender des Instituts der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung e.V. (IVS), Zweigverein der Deutschen Aktuarvereinigung e.V. (DAV).

Die Corona-bedingten Todesfälle sind nach Auffassung des IVS statistisch nicht signifikant genug, um sich auf die Einschätzung des Trends zur Verlängerung der Lebenserwartung aller Versorgungsberechtigten auswirken zu können. Durchaus schmerzlich für die Versorgungssysteme seien dagegen die extreme Volatilität an den Kapitalmärkten und mögliche Dividendenausfälle, die als vorübergehende Effekte insgesamt aber verkraftet werden können. „Die Systeme der betrieblichen Altersversorgung sind dadurch zwar belastet, aber in ihrer Funktionsfähigkeit nicht gefährdet“, fasst Lucius zusammen. „Sorge bereiten uns dagegen die langfristigen Wirkungen: Das 1,35 Bio. Euro schwere Anleihenankaufprogramm der Europäischen Zentralbank trifft auf einen Markt, in dem aufgrund des demografiebedingten Spar- und Vorsorgedrucks bereits eine hohe Nachfrage herrscht“, konstatiert Lucius. „Alles spricht dafür, dass dadurch die tiefen Zinsen auf unabsehbare Zeit zementiert werden“.

Mehr Risiko für mehr Erträge

Für die Versorgungsträger sieht das IVS zwei grundlegende und durchaus auch kombinierbare Strategien, um mit dieser Situation umzugehen: Entweder sie folgen den Niedrigzinsen oder sie versuchen, den Niedrigzinsen zu trotzen. Entscheidend sei die Kapitalanlage, so Lucius: „Ohne Risiko gibt es keine ausreichenden Erträge, ohne ausreichende Erträge müssen die Verpflichtungen mit entsprechend abgesenkten Zinserwartungen bewertet werden. Dadurch steigen die Rückstellungen und damit der Finanzbedarf, der allein aus Überschüssen in der Regel nicht mehr gedeckt werden kann.“ Eine Stärkung der Risikotragfähigkeit der Versorgungseinrichtungen könnte laut Lucius ein Ausweg aus diesem Dilemma sein. Denn dann könnten in der Kapitalanlage mehr Risiken eingegangen und langfristig Erträge erzielt werden, mit denen die Zinsanforderungen der Verpflichtungsseite wieder erfüllbar wären. Daher empfiehlt der IVS-Vorstandsvorsitzende den Trägerunternehmen, dem Vorbild vieler Firmen zu folgen und ihre Versorgungseinrichtung mit zusätzlichen Eigenmitteln oder Garantieerklärungen auszustatten damit es nicht zu weiteren Sanierungsfällen komme, die das Bild der hocheffizienten und leistungsfähigen bAV nachhaltig beschädigen könnten.

Flexibilität im Arbeits- und Aufsichtsrecht notwendig

Aber auch auf regulatorischer Ebene gebe es Handlungsbedarf, so die Aktuare vom IVS. Denn die Niedrigzinsen seien für erhebliche Mittelverschiebungen zwischen den unterschiedlichen Generationen Versorgungsberechtigter verantwortlich. Der ständig steigende Finanzbedarf für alte Zusagen mit hohen Leistungsversprechen und hohen (Zins-)Garantien müsse schließlich aus Überschüssen und zusätzlichen Mitteln gedeckt werden, die den jüngeren Generationen dann nicht mehr zur Verfügung stehen könnten. Um die jüngeren Generationen nicht dauerhaft zu benachteiligen, sei also ein generationenegerechtes Ausbalancieren der bAV-Systeme vonnöten. Dies erfordere aber mehr Flexibilität im Arbeits- und Aufsichtsrecht, beispielsweise wenn es darum gehe, notleidende Bestände zu sanieren, ohne gleich die ganze Pensionskasse in den Abgrund zu ziehen, erklärt Lucius und fügt an, dass in diesem Zusammenhang auch die Frage nach der Höhe von Mindestleistungen gestellt werden müsse. „Mittlerweile sind die Zinsen so niedrig, dass der Beitragserhalt aus aktuarieller Sicht nur mit Mühe, wenn überhaupt versicherungsförmig garantiert werden kann“, führt Lucius aus. „Das ist ein Riesenproblem. Denn die Beitragszusage mit Mindestleistung verlangt den Beitragserhalt. Das Arbeitsrecht muss hier dringend nachziehen, damit dem Arbeitgeber nicht Garantien aufgebürdet werden, die ein aufsichtsrechtlich regulierter Versorgungsträger so nicht mehr übernehmen kann.“

Garantieniveaus unterhalb des Beitragserhalts

Die IVS-Aktuare können sich in der bAV Garantieniveaus deutlich unterhalb des Beitragserhalts vorstellen. Nur dann sei es möglich, nennenswerte Teile des Beitrags risikoreicher, dafür aber mit Aussicht auf mehr Leistung anzulegen. Dass es eine gewaltige Herausforderung sei, diesen Zusammenhang glaubhaft zu vermitteln, gesteht Lucius ein. Nicht zuletzt die Makler, die bAV-Kunden zu begleiten haben, werden wohl damit zu kämpfen haben. Lucius sieht in dieser Krise aber auch gleichzeitig die Chance, die vorherrschende Garantiefixierung nach und nach aufzubrechen, damit sich der Gedanke ausbreiten kann, dass weniger Garantie auch Aussicht auf mehr Leistung bedeuten kann.“ (ad)

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