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22. Juli 2021
Insolvenzen: Die Rechnung kommt zum Schluss

Insolvenzen: Die Rechnung kommt zum Schluss

Die Zahl der Insolvenzen ist in Deutschland im Jahr 2020 trotz der schwersten Rezession seit 2009 deutlich gesunken. Dieser Rückgang betrifft nicht alle Branchen und Bundesländer gleichermaßen und den rückläufigen Insolvenzzahlen steht ein massiver Anstieg von Forderungen gegenüber.

Von Christiane von Berg, Volkswirtin für Nordeuropa von Coface

Im Jahr 2020 wurden in Deutschland 15.840 Unternehmen zahlungsunfähig. Auch dank massiver staatlicher Unterstützung ist das der niedrigste Stand seit 1993 und mit einem Minus von 15,5% gegenüber 2019 der stärkste Rückgang seit 1975. Doch nicht jede Branche oder Region profitierte von dieser Situation. Um die Corona-Hilfen zu erhalten, mussten Unternehmen schließlich nachweisen, dass ihr Geschäftsmodell vor der Pandemie, also im Dezember 2019, funktionierte. Sowohl die Metall- als auch die Automobilbranche befanden sich jedoch seit Ende 2018 in der Rezession. Dadurch erfüllten einige Unternehmen diese Kriterien nicht und erhielten keine staatliche Unterstützung.

Gesamtstruktur bleibt unverändert

Folglich stiegen die Insolvenzen im Metallsektor im vergangenen Jahr um 7,1%, der Anstieg im Automobilsektor betrug 31,6%. Die Zuwächse in diesen Branchen haben die Gesamtstruktur der Insolvenzen in Deutschland jedoch nicht verändert: Der Großteil der Unternehmenspleiten kommt nach wie vor aus den Bereichen Unternehmensdienstleistungen, Bau, Gastgewerbe sowie Einzelhandel und Transport. Auf die Metallindustrie entfielen im Jahr 2020 nur 3% aller Insolvenzen, auf die Automobil­industrie gerade einmal 0,5%.

Auch in „Autoländern“ stottert der Motor

Fast alle Bundesländer meldeten einen Rückgang der Insolvenzen – mit Ausnahme des Stadtstaats Bremen. Dort stieg die Zahl der Unternehmenspleiten um 8% gegenüber 2019, was vor allem auf die Bereiche Unternehmensdienstleistungen, Verarbeitendes Gewerbe und Transport zurückzuführen ist. Unter dem Bundesdurchschnitt lagen die Rück­gänge auch in Hessen (–8,4%) und den beiden „Autoländern“ Baden-Württemberg und Niedersachsen mit jeweils –11,9%.

Unterschiedliche Entwicklungen konnten auch zwischen den verschiedenen Rechtsformen beobachtet werden: Einzelunternehmen und Freiberufler trugen mit rund 25% zur Gesamtzahl der Insolvenzen bei, während die GmbH, die meist von KMU genutzt wird, einen Anteil von 65% hatte. Die Insolvenzen von Einzelunternehmen gingen im Jahr 2020 überraschend stark um 33% zurück, während die Insolvenzen von GmbHs um rund 7% sanken. Eine Erklärung dafür könnte die Inanspruchnahme staatlicher Unterstützung sein, die sich stark auf kleine Unternehmen konzentriert.

Staatliche Hilfe gerade von kleinen Unternehmen genutzt

Von den staatlichen Hilfsmaßnahmen waren die Förderkredite das Instrument, das am meisten im ersten Pandemie-Jahr genutzt wurde – mit einer Auszahlungssumme von fast 49 Mrd. Euro (1,5% am BIP für rund 120.000 Unternehmen). Die Zuschüsse der Regierung in Form von beispielsweise Überbrückungshilfen erreichten jedoch die meisten Unternehmen (rund 2 Millionen Unternehmen mit einer Summe von fast 28 Mrd. Euro), da sie vor allem für kleine Unternehmen gedacht waren, die unmittelbar von den Lockdown-Regelungen betroffen waren. Entsprechend erhielten Unternehmen des Gastgewerbes den größten Anteil der Zuschüsse (30%), 12% gingen an kleine Dienstleistungsunternehmen wie Frisöre, 10% an den Einzelhandel, 9% an Kunst- und Kulturschaffende und der Rest an alle übrigen Branchen. Daneben spielte der vereinfachte Zugang zu Kurzarbeit eine tragende Rolle. Auf dem Höhepunkt der Rezession im April 2020 hatten knapp 610.000 Unternehmen für umgerechnet 18% der deutschen Belegschaft Kurzarbeit angemeldet.

Insolvenzforderungen: Der Schein trügt

 

Insovenzen: Die Rechnung kommt zum Schluss

 

Angesichts der niedrigen Insolvenzzahlen und der massiven staatlichen Stützungsmaßnahmen könnte man meinen, dass Deutschland im Hinblick auf Unternehmenspleiten sehr gut dasteht. Doch der Schein trügt, denn die reine Zahl gibt keine Auskunft über den wirtschaftlichen Schaden. So schätzt das Statistische Bundesamt, dass sich die zu erwartenden Forderungen aus Insolvenzen im Jahr 2020 auf 44,1 Mrd. Euro summieren. Das wäre der höchste Stand seit 2009 und im Vergleich zu 2019 eine Steigerung um 65%. Einige Sektoren stechen bei diesem Vergleich hervor, insbesondere die Informations- und Kommunikationsbranche. Sie meldete einen Anstieg um 2.767% im Vergleich zum Vorjahr. Das erscheint auf den ersten Blick einigermaßen überraschend, ist allerdings mit der Pleite des Abrechnungsdienstleisters AVP zu erklären, der mit vielen Apotheken zusammengearbeitet hat. Am anderen Ende des Spektrums stiegen die Schäden im Baugewerbe um 7%, im Transportwesen gingen sie gar um 84% zurück.

Bis zu 4.030 Pleiten in der Pipeline

Viele Unternehmen haben nach den Wirtschaftskrisen 2002 und 2009 mehr Eigenkapital aufgebaut und gingen dadurch stabiler in die Krise. Jedoch sind diese Reserven irgendwann aufgebraucht. Für viele hat der „Dauer-Lockdown“ 2021 zu lange angedauert. Darauf deutet auch die Zahl der Anmeldungen für ein Regelinsolvenzverfahren hin. Seit April 2020 war sie rückläufig, der Trend änderte sich im Oktober 2020. Seitdem steigen die Zahlen – mit einer Ausnahme im Januar 2021 – wieder. Im Februar 2021 registrierte das Statistische Bundesamt 30% mehr Insolvenzanträge als im Vormonat, im März wurde mit +37% der höchste Stand seit März 2017 erreicht. Im April gingen die neuen Anträge etwas zurück, blieben aber auf hohem Niveau.

Laut einer Simulation des Kreditversicherers Coface hätten die Gesamtinsolvenzen im Jahr 2020 auf Grundlage des Konjunktur­einbruchs um 6% gegenüber 2019 ansteigen müssen. In der Realität sind sie um 15,5% gesunken. Daher könnte ein Anteil von bis zu 21,5% (bzw. 4.030 Insolvenzen) in der Pipeline stecken und sich noch 2021 bzw. 2022 materialisieren. Das Gros dürfte aus dem Gastgewerbe kommen, wo Coface bis zu 660 „versteckte“ Insolvenzen erwartet, gefolgt von Transport und Bau mit jeweils bis zu 420, dem Verarbeitenden Gewerbe (230) und dem Einzelhandel (190).

Den Artikel lesen Sie auch in AssCompact 07/2021, Seite 74 f., und in unserem ePaper.

Bild: © chinnarach– stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Christiane von Berg