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Management & Vertrieb
6. November 2018
Versicherungen und Big Data: Aller Anfang ist schwer

Versicherungen und Big Data: Aller Anfang ist schwer

Die meisten Versicherer können derzeit viele Use Cases im Bereich Big Data nicht umsetzen, weil sie nicht über ausreichendes Datenmaterial sowie die nötige Datenqualität verfügen. Um dies zu ändern, sind ihrerseits wichtige Hausaufgaben zu erledigen. Vermittler dürfen dabei nicht vergessen werden, zumal auch sie von Big Data profitieren können, gibt Dr. Matthias Gröbner von der Managementberatung Detecon International GmbH zu bedenken.

Die Menge der weltweit generierten Daten wächst jährlich um etwa 30%. Verantwortlich dafür ist die immer größere Anzahl an datenerfassenden Geräten, zum Beispiel in den Bereichen Smart Home, Telematik oder E-Health, aber auch zahlreiche Smartphone-Apps.

Vor allem die großen amerikanischen Digitalkonzerne profitieren davon, dass viele Nutzer bereitwillig ihre Daten preisgeben, um Services und Apps kostenlos nutzen zu können. Verwendet werden die Daten, um gezielte Werbung zu präsentieren, zusätzliche Services anzubieten oder die Daten aufbereitet weiterzuverkaufen. Aber auch Hersteller von medizinischen bzw. Fitnessgeräten, Consumer Electronics oder Fahrzeugen sind dank des „Internet of Things“ (IoT) zu Datensammlern geworden und setzen die Daten zur Erweiterung ihres Geschäftsmodells ein.

Doch während Big Data für Digitalkonzerne und zunehmend auch Industrieunternehmen bereits Realität ist, fehlt den Versicherern die Grundlage für Big Data, nämlich die Daten. Die wesentliche Ursache dafür ist, dass das klassische Geschäftsmodell der Versicherer sehr wenige Kundenkontakte generiert und daher wenige Informationen gesammelt werden können. Ein Kunde hat mit Ausnahme des jährlichen Beitragseinzugs keine Schnittstellen zum Versicherer, von einer Schadenregulierung im Schadenfall abgesehen. Dabei fehlt es nicht an geeigneten Use Cases. Mit Kundendaten lassen sich zum Beispiel Marketing und Sales optimieren, Risiken besser bewerten oder Prozesse entlang der Geschäftsvorfälle in den Bereichen Antrag, Vertrag und Schaden bzw. Leistung automatisieren und beschleunigen.

Zusätzliche Services für mehr Datenschätze

Big Data beginnt daher für Versicherungsunternehmen mit der Erzeugung zusätzlicher Kontaktpunkte, um Informationen über das Verhalten und die Wünsche der Kunden oder den Status versicherter Objekte zu erhalten. Die meisten Versicherer stellen bereits ein eher spärlich genutztes Online-Kundenportal zur Verfügung, mit dem Kunden ihre bestehenden Verträge einsehen und verwalten sowie ggf. auch neue Verträge abschließen können. Es bietet sich an, dieses Portal als Plattform auszubauen, über die weitere Services angeboten werden. Die zusätzlichen Leistungen könnten im ersten Schritt in einem engeren Zusammenhang mit Versicherung stehen, zum Beispiel Tipps im Bereich Fitness und Gesundheit oder Sicherheit rund ums Haus. In jedem Fall muss das Angebot dem Kunden einen klaren Mehrwert bieten, um nicht schnell zur weit überwiegenden Anzahl von Apps zu gehören, die zwar installiert, aber nur einmal genutzt werden.

Eine weitere Möglichkeit, Daten von Kunden zu erhalten, ist der Ausbau des Produktportfolios mit zusätzlichen Leistungen auf IoT-Basis. Hierzu finden sich am Markt bereits Smart-Home-Hausratversicherungen, Telematiktarife oder Gesundheitsprogramme, die E-Health-Informationen nutzen. Ist ein solches Ökosystem erst einmal etabliert, lässt sich das Angebot dann um weitere Services ausbauen, zum Beispiel in den Bereichen Mobilität, Gesundheitsservices oder haushaltsnahe Dienstleistungen. Aus eigener Kraft können Versicherer solche Leistungen allerdings nicht anbieten, hier ist die Kooperation mit Unternehmen aus der Telekommunikations-, Automobil- und Gesundheitsbranche erforderlich. Schließlich können Kundeninformationen auch von Anbietern personenbezogener Daten wie Kreditauskunftsgesellschaften eingekauft werden.

Vielfältige Potenziale locken

Aber letztendlich lohnt sich die Mühe für Versicherungsunternehmen, da sie die Daten für hilfreiche Analysen nutzen können. Klassisches Analytics-­Anwendungsgebiet sind Marketing und Sales mit Kundensegmentierung, Kundenwertanalyse sowie Ermittlung von Cross- und Up-Selling-Potenzialen. So können den Kunden, die anhand von Big-Data-Analytics-Ergebnissen ein größeres Sicherheitsbedürfnis haben, umfangreichere Policen oder teurere Tarife angeboten werden. Mit zusätzlichen Daten des Kunden lassen sich auch Geschäftsvorfälle im Antrags- und Bestandsgeschäft optimieren. Zum Beispiel können auf Basis von Gesundheitsdaten eines Antragstellers die Krankheitsrisiken zuverlässiger eingeschätzt und ein individuelles Pricing automatisiert durchgeführt werden. Zudem kann die Stornoquote reduziert werden, wenn auf Basis des Zahlungsverhaltens oder der Kreditfähigkeit Kündigungsrisiken rechtzeitig erkannt werden.

Einige Versicherer setzen bereits Analytics-Verfahren zur Erkennung von Versicherungsbetrug oder im Schadenmanagement ein. So kann anhand von Fotos der Schäden die Schadenhöhe oder der Zeitwert eines Objekts ermittelt und so dem Kunden insbesondere bei Kleinschäden eine schnelle Schadenregulierung angeboten werden. Aus Big Data gewonnene Informationen können Versicherungsunternehmen auch nutzen, um die Bewertung von Risiken zu verbessern und damit ein risikoadäquates Pricing durchzuführen. Beispiele hierfür sind Kfz-Tarife, die das Fahrverhalten des Kunden berücksichtigen, oder Bonusprogramme für gesundheitsbewusstes Verhalten.

Hürden und Hausaufgaben

Diesen Ansätzen sind allerdings Grenzen gesetzt, da die risikoadäquate Bepreisung im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsüberprüfung durch die Versicherungsaufsicht betrachtet wird. Letztendlich muss die Kalkulation nachvollziehbar sein, was bei einigen statistischen Analytics-Verfahren schwer möglich ist. Weitere regulatorische Restriktionen ergeben sich aus den Vorgaben der DSGVO, die die Möglichkeiten der Speicherung und Verwertung von Kundendaten einschränken.

Zusätzlich haben die Versicherungen eine ganze Reihe von „Hausaufgaben“ zu machen, bevor sie Big Data tatsächlich einsetzen können. So haben die Versicherer in der Vergangenheit ihre Daten meist in Silos und schlechter Qualität verwaltet. Es fehlen daher Datenarchitekturkonzepte, die eine übergreifende Vernetzung und Verwertbarkeit der Daten ermöglichen. Erschwerend kommt hinzu, dass entsprechende Experten, die auch Know-how in den gängigen Analytics- und KI-Verfahren mitbringen, am Markt derzeit knapp sind.

Vermittler in Datenstrategie einbinden

Ein wichtiger und zuverlässiger Partner im Zusammenhang mit Kundendaten wird meist vergessen: der Vermittler. Letztendlich kennt er den Kunden am besten, weil er eine persönliche Beziehung zu ihm aufgebaut hat. Die Informationen in der Kundenkontakthistorie der Vermittler sind daher mindestens genauso wertvoll für Analysen wie die Daten der Fitness-App oder Telematik-Anwendung. Das Problem ist allerdings, dass Versicherungsvertreter und erst recht Makler kaum ein Interesse haben, ihre Kundeninformationen dem Versicherer zur Verfügung zu stellen, da sie Grundlage ihres Geschäftsmodells sind. Und selbst wenn Vermittler ihre Daten bereitstellen würden, lägen sie meist nicht in standardisierter Form vor, was die Nutzbarkeit für Analytics erschwert.

Eine Big-Data-Strategie muss daher immer auch die Vermittler einbeziehen, denn insbesondere von den Use Cases im Bereich CRM und Sales können diese genauso profitieren wie die Versicherung selbst. Auch wenn der Vermittler den Kunden gut kennt, kann eine passende Empfehlung zur „next best action“ den Verkaufserfolg steigern oder Hinweise geben, dass der Kunde möglicherweise kündigen will und damit die Bestands­provision gefährdet ist. Wenn die Vermittler einen Mehrwert aus Big Data erkennen, indem sie wertvolle Hinweise vom Versicherer erhalten oder Bearbeitungsprozesse beschleunigt werden, sind sie eher bereit, sich am Information-Sharing zu beteiligen. Dass Daten das neue Öl sind, hat sich auch bei Vermittlern bereits herumgesprochen. Versicherer sollten vermeiden, dass Vermittler es an InsurTechs oder Digitalkonzerne verkaufen.

Den Artikel lesen Sie auch in AssCompact 11/2018, Seite 94 f.
 
 
Ein Artikel von
Dr. Matthias Gröbner