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15. November 2021
Wer regelt grenzüberschreitende Wärmedämmung?

Wer regelt grenzüberschreitende Wärmedämmung?

Sind landesrechtliche Regelungen, die eine grenzüberschreitende nachträgliche Wärmedämmung von Bestandsbauten erlauben, mit dem Grundgesetz vereinbar? Dazu hat der BGH aktuell ein Urteil gefällt.

Die Eigentümer benachbarter Grundstücke in Nordrhein-Westfalen, die jeweils mit vermieteten Mehrfamilienhäusern bebaut sind, waren in Streit geraten, der bereits durch mehrere Instanzen ging und nun vom BGH abschließend beurteilt wurde. Strittig war dabei unter anderem, ob bei grenzüberschreitender nachträglicher Wärmedämmung landes- oder bundesrechtliche Regelungen zu gelten haben bzw. ob die einschlägige landesrechtliche Norm des § 23a NachbG NW verfassungswidrig ist oder nicht.

Im konkreten Fall steht die Giebelwand des vor mehreren Jahrzehnten errichteten Gebäudes der Klägerin direkt an der gemeinsamen Grundstücksgrenze, während das Gebäude der Beklagten etwa 5 m von der Grenze entfernt ist. Gestützt auf die Behauptung, eine Innendämmung ihres Gebäudes könne nicht mit vertretbarem Aufwand vorgenommen werden, verlangt die Klägerin von den Beklagten, dass diese eine grenzüberschreitende Außendämmung der Giebelwand der Klägerin gemäß § 23a NachbG NW dulden.

Bisheriger Prozessverlauf

Das Amtsgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der zugelassenen Revision.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Die Revision vor dem BGH hatte nun Erfolg. Das Urteil des Amtsgerichts, das der Klage in vollem Umfang stattgegeben hat, wurde wiederhergestellt. Die Beklagten müssen es nun also dulden, dass die Klägerin die Wärmedämmung anbringt.

Zu den Gründen des BGH-Urteils

Zu seiner Begründung führt der BGH Folgendes aus: Von seinem rechtlichen Standpunkt aus hätte das Berufungsgericht, das die einschlägige landesrechtliche Norm des § 23a NachbG NW für verfassungswidrig hielt, schon keine Sachentscheidung treffen dürfen. Gerichte sind dazu verpflichtet, Gesetze anzuwenden (Art. 20 Abs. 3 GG). Hält ein Gericht ein entscheidungserhebliches Gesetz für verfassungswidrig, so ist es gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dazu verpflichtet, das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Denn nur dieses hat das sogenannte „Verwerfungsmonopol“, das heißt, es ist allein dazu befugt, ein nachkonstitutionelles Gesetz für nichtig zu erklären.

Der BGH seinerseits hat aber keinen Anlass für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG gesehen, weil er § 23a NachbG NW für verfassungsgemäß hält. Die Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer für Regelungen dieser Art, die in mehreren Landesnachbargesetzen enthalten sind, ist laut BGH gegeben. Allerdings fällt das private Nachbarrecht als Teil des bürgerlichen Rechts gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG unter die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Für eine Gesetzgebung der Länder ist daher gemäß Art. 72 Abs. 1 GG nur Raum, wenn der Bund die Materie nicht erschöpfend geregelt hat. Aber selbst bei umfassender Regelung der Materie durch den Bund können die Länder Gesetze erlassen, soweit das Bundesgesetz Regelungsvorbehalte zugunsten des Landesgesetzgebers enthält.

Was das Nachbarrecht des Bundes regelt

Das Nachbarrecht des Bundes regelt in § 912 BGB, unter welchen Voraussetzungen ein rechtswidriger Überbau auf das Nachbargrundstück im Zusammenhang mit der Errichtung eines Gebäudes geduldet werden muss. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass ein vorsätzlicher Überbau im Grundsatz nicht hingenommen werden muss. Aber der in Art. 124 EGBGB enthaltene Regelungsvorbehalt erlaubt den Erlass neuer landesgesetzlicher Vorschriften, die das Eigentum an Grundstücken zugunsten der Nachbarn noch „anderen“ als den im Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmten Beschränkungen unterwerfen.

Die bislang umstrittene Frage, wann eine solche „andere“ Beschränkung vorliegt, sodass die Gesetzgebungskompetenz der Länder besteht, lässt sich, wie der BGH nun grundsätzlich geklärt hat, nur auf der Grundlage einer vergleichenden Gesamtwürdigung der bundes- und landesrechtlichen Regelungen bestimmen. Das Landesrecht darf Beschränkungen vorsehen, die dieselbe Rechtsfolge wie eine vergleichbare nachbarrechtliche Regelung des Bundes anordnen, aber an einen anderen Tatbestand anknüpfen und einem anderen Regelungszweck dienen; allerdings muss dabei die Grundkonzeption des Bundesgesetzes gewahrt bleiben.

Landesrechtliche Regelungen zur nachträglichen Wärmedämmung sind „andere“ Beschränkungen

Daran gemessen sind die landesrechtlichen Regelungen zur nachträglichen Wärmedämmung als „andere“ Beschränkung anzusehen, sodass die Gesetzgebungskompetenz der Länder gegeben ist. Zwar besteht die Rechtsfolge wie bei § 912 BGB in der Pflicht zur Duldung eines Überbaus. Aber obwohl die landesrechtlichen Regeln einen vorsätzlichen Überbau erlauben, beziehen sie sich tatbestandlich auf eine spezifische bauliche Situation, die sich von der in § 912 BGB geregelten Errichtung des Gebäudes unterscheidet. Sie setzen nämlich voraus, dass die Dämmung eines an der Grenze errichteten Gebäudes erst im Nachhinein erforderlich wird, und zwar durch neue öffentlich-rechtliche Zielvorgaben oder jedenfalls durch die Veränderung allgemein üblicher Standards infolge der bautechnischen Fortentwicklung.

Landesrechtliche Normen dieser Art ändern gerade nichts daran, dass Neubauten – der Grundkonzeption des § 912 BGB entsprechend – so zu planen sind, dass sich die Wärmedämmung in den Grenzen des eigenen Grundstücks befindet. Dementsprechend unterscheiden sich die jeweiligen Regelungszwecke.

Das Überbaurecht des § 912 BGB soll die Zerstörung wirtschaftlicher Werte verhindern, und zwar nicht nur im Individualinteresse des Überbauenden, sondern auch im volkswirtschaftlichen Interesse. Die Beseitigung eines versehentlichen Überbaus bei der Errichtung eines Gebäudes lässt sich nämlich häufig nicht auf den überbauten Teil beschränken und soll nicht den Abriss eines Gebäudes bzw. Gebäudeteils nach sich ziehen.

Dagegen geht es bei den Regelungen zur nachträglichen Wärmedämmung nicht darum, ob im Nachhinein ein Abriss erfolgen soll oder nicht. Sie setzen früher an und sollen dem Grundstückseigentümer von vornherein einen bewussten und geplanten Überbau zu dem spezifischen Zweck der nachträglichen energetischen Gebäudesanierung ermöglichen, wenn die Grenzbebauung die Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks erforderlich macht. Damit werden ebenfalls öffentliche Interessen verfolgt, aber andere als im Rahmen des § 912 BGB: Die energetische Gebäudesanierung soll zur Energieeinsparung führen, die schon wegen der nunmehr durch das Klimaschutzgesetz vorgegebenen Verminderung von Treibhausgasemissionen im allgemeinen Interesse liegt.

BGH: Auch in materieller Hinsicht keine verfassungsrechtlichen Bedenken

Auch in materieller Hinsicht bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 23a NachbarG NW. Der Landesgesetzgeber hat den ihm bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) zustehenden Gestaltungsspielraum eingehalten, indem er differenzierte Vorgaben zu Inhalt und Grenzen der Duldungspflicht vorgesehen hat. Die Regelung, so der BGH, erweist sich insbesondere als verhältnismäßig. Die Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks ist erforderlich, wenn eine vergleichbare Wärmedämmung auf andere Weise mit vertretbarem Aufwand nicht vorgenommen werden kann. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne wird schon dadurch gewahrt, dass die Überbauung die Benutzung des Nachbargrundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen darf und ein finanzieller Ausgleich erfolgen muss.

Dass die § 23a Abs. 1 NachbarG NW genannten Voraussetzungen für die Duldungspflicht in der Sache vorliegen, hatten bereits die Vorinstanzen – von den Parteien unbeanstandet – festgestellt.

BGH, Urteil vom 12.11.2021 – V ZR 115/20

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