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20. März 2015
„Den Arbeitnehmern, denen geholfen werden soll, würde man mit der Nahles-Rente einen Bärendienst erweisen“

„Den Arbeitnehmern, denen geholfen werden soll, würde man mit der Nahles-Rente einen Bärendienst erweisen“

Die Versicherungswirtschaft ist seit der Veröffentlichung von Details zur geplanten „Nahles-Rente“ in Alarmbereitschaft. Versicherer und Makler befürchten mit dem neuen „tariflichen“ Durchführungsweg in der bAV eine Verdrängung aus dem Markt der betrieblichen Vorsorge. Nachgefragt bei den Maklern Christian Zorn und Udo Kraus von der SCIMUS Pensionsmanagement GmbH.

Herr Zorn, Herr Kraus, das Bundesarbeitsministerium begründet die Tarif-Rente unter anderem damit, dass aufgrund von Haftungsproblematiken beim Arbeitgeber die bAV nicht die gewünschte und gebotene Durchdringung erreicht. Was sind Ihre Erfahrungen aus der Praxis? Scheuen Arbeitgeber die bAV wirklich aus Haftungsgesichtspunkten?

Christian Zorn: Nein, dieser Punkt trifft aus unserer Erfahrung meist nur bei den so genannten Pensionszusagen nach § 6a EStG zu, bei denen der Arbeitgeber direkt für die Leistungen einstehen muss. Die modernen Durchführungswege der bAV, insbesondere die Direktversicherung nach § 3 Nr. 63 EStG, sehen zwar de jure eine Haftung des Arbeitgebers vor, diese ist aber faktisch ausgeschlossen, solange nicht die gesamte Versicherungsbranche und damit auch die Sicherungseinrichtung PROTECTOR ausfällt.

Woran liegt die mangelnde Verbreitung also dann?

Udo Kraus: Diese Antwort ist nicht so einfach zu beantworten. Die mangelnde Verbreitung liegt einerseits daran, dass über Jahre die Probleme insbesondere unseres gesetzlichen Rentensystems durch die Politik kleingeredet wurden. Wenn Sie einen Blick auf die gesetzliche Renteninformation werfen, stellen Sie auf den ersten Blick fest, dass die Leistungen doch ganz gut zu sein scheinen. Insbesondere wenn Sie die Werte inklusive 1% Rentensteigerung betrachten. Die Arbeitnehmer sehen also vielfach keine Veranlassung tätig zu werden. Die brisanten Informationen zu den Themen Besteuerung, Krankenversicherungspflicht und Auswirkung der Inflation stehen nur in Worten auf der Information, nicht in Zahlen! In der Tat sieht es heute, berücksichtigt man diese Effekte, so aus, dass ein Arbeitnehmer mit einer Rente von maximal 50% seines heutigen NETTOEINKOMMENS rechnen kann. In unseren Beratungen erleben wir immer wieder ungläubiges Staunen, wenn diese Informationen dargestellt werden.

Andererseits werden die Menschen auch immer wieder durch die Presse verunsichert. Wir können ihnen viele Artikel zeigen, in denen vor Altersarmut gewarnt wird. Aber es gibt genauso viele Artikel die behaupten, sparen lohnt sich nicht. Was soll der Arbeitnehmer nun glauben, wenn auch die bAV durch die Presse immer wieder als schlecht eingestuft wird? Es liegt also insbesondere an der mangelhaften und teilweise falschen Information.

Hier ein Beispiel: Ein Arbeitnehmer, der heute 1.500 Euro netto verdient kann mit einer Rente von 750 Euro (nach Steuer, KV und Inflation) rechnen. Welche Fixkosten hat dieser Arbeitnehmer im Ruhestand? Miete: 400 Euro, Kleidung: 50 Euro, Telefon: 25 Euro, Mobilität: 100 Euro, Gesundheit 50 Euro (wenn die gesetzliche KV nicht mehr alles zahlt). Das ergibt in Summe: 625 Euro. Was bleibt dann noch für die Ernährung, Ersatzinvestitionen im Haushalt und andere Dinge des täglichen Bedarfes übrig? Diese Ausgaben hat dieser Rentner aber LEBENSLANG. Wie viel Kapital er dafür benötigt steht aber erst dann fest, wenn er stirbt. Und wer kann mit absoluter Sicherheit ausschließen, dass er nicht 90 Jahre alt oder älter wird?

Viele Arbeitgeber bieten zwar eine bAV an, diese wird von den Arbeitnehmern aber oft nicht angenommen. Arbeitnehmer befürchten, dass sich die bAV aufgrund der vielen Abzüge nicht lohne. Müsste hier nicht der Gesetzgeber ansetzen?

Christian Zorn: Auch hier liegt im Wesentlichen ein Informationsdefizit vor, verursacht eben durch die vielen widersprüchlichen Pressemeldungen. Wenn ich davon ausgehe, dass ich im Ruhestand ein gewisses Einkommen LEBENSLANG benötige, dann stellt sich nicht die Frage ob, sondern nur wie ich hierfür vorsorge. Ansonsten verlagere ich das Problem gegebenenfalls auf meine Kinder. Die bAV ist nachweislich am besten geeignet um mit überschaubarem Aufwand eine ordentliche Zusatzrente zu erzielen. Ich spare heute aus meinem Bruttoeinkommen und wenn wir die Beratung durchführen, gibt es immer einen Zuschuss vom Arbeitgeber. Mindestens in Höhe der Sozialversicherungsersparnis des Arbeitgebers, oftmals sogar mehr. Wir stellen uns hier jeder Diskussion um die Sinnhaftigkeit einer solchen Maßnahme, aber eine genaue Beleuchtung würde den Rahmen hier sprengen.

Allerdings gibt es ein Thema, das gerade bei Geringverdienern die bAV hemmt: Die bAV wird auf die Grundsicherung angerechnet. Somit haben vor allem Menschen mit geringem Einkommen keine Motivation etwas zu tun. Derjenige, der eine bAV hat, hat nach allgemeiner Annahme nicht mehr als derjenige, der nichts tut. Weshalb dann heute auf etwas verzichten? Hier ist der Gesetzgeber gefordert.

Die Komplexität der bAV ist nicht von der Hand zu weisen. Sorgt ein neuer Durchführungsweg nicht für noch mehr Verwirrung?

Udo Kraus: Richtig angewandt, ist die bAV gar nicht so komplex. Das wird immer wieder behauptet, stimmt aber in der Realität nicht. Weshalb sonst sollten mittlerweile 11 Millionen Arbeitnehmer die Direktversicherung und die Pensionskasse nutzen. Dort wo Beratung stattfindet, wird auch die Notwendigkeit zum Handeln, sowohl seitens der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer, erkannt.

Richtig ist, dass ein neuer Durchführungsweg nicht gebraucht wird. Die sogenannte „Nahles-Rente“ würde die Komplexität in der Tat nur erhöhen, ohne zusätzlichen Nutzen. Nach unserer aktuellen Einschätzung ist aber auch nicht davon auszugehen, dass dieses System so kommt. Frau Nahles möchte hier die Probleme der Gesetzlichen Rentenversicherung auf die Tarifpartner abwälzen, die dann eigene Pensionskassen (sogenannte gemeinsame Einrichtungen) gründen sollen und die den Arbeitnehmern dann die eingezahlten Beiträge garantieren (sogenannte Beitragszusage mit Mindestleistung). Der Arbeitgeber leistet nur noch eine Beitragszusage („pay and forget“). Ohne näher hierauf eingehen zu wollen, kristallisiert sich heraus, dass die zu beglückenden Arbeitgeberverbände (zum Beispiel BDA) und auch die Arbeitnehmervertretungen (DGB) kein Interesse an einer solchen Vorgehensweise haben. Hier liegen uns mittlerweile verschiedene Stellungnahmen vor, die das eindeutig belegen.

Was sind Ihrer Ansicht nach die fünf wichtigsten unmittelbaren Folgen der „Nahles Rente“ in der derzeitigen Ausgestaltung?

Udo Kraus: Wenn die „Nahles-Rente“ so käme würde das ...

  • ... die Verunsicherung der Arbeitnehmer und Arbeitgeber steigern, ob ihr bestehendes bAV System richtig ist.
  • ... die Beratungsqualität verschlechtern, denn die Tarifpartner haben gar nicht das nötige Personal hierfür (es sei denn der Arbeitnehmer braucht dann keine Beratung mehr über seine Versorgungslücke).
  • ... im Falle des Zwanges durch allgemein verbindliche Tarifverträge zu Ausweichreaktionen, gerade bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen führen. Dies würde den gewünschten Effekt konterkarieren.
  • ... die Leistungen verschlechtern, denn die Garantie, dass ich nur meine eingezahlten Beiträge (ohne Inflationsausgleich) in beispielsweise 30 Jahren zurückerhalte, ohne klar kalkulierbare Rentenfaktoren, hilft mir bei der Planung meines lebenslangen Ruhestandseinkommens nun wirklich nicht weiter.
  • ... gerade bei Geringverdienern nur zusätzliche Lasten aber keinen Nutzen (Anrechnung an die Grundversorgung) bringen. Das heißt, den Arbeitnehmern, denen geholfen werden soll, erweist man einen Bärendienst.
Die bAV wird den Medien nicht gerade mit Lob überschüttet. Ein Beispiel: der Bericht des Bayerischen Fernsehens* „Wahnsinn – Betriebliche Altersvorsorge“. Reagieren Ihre Kunden auf solch eine Berichterstattung bzw. wie gehen Sie damit um?

Christian Zorn: Ja, die Kunden reagieren darauf mit Verunsicherung. Und Menschen die verunsichert sind tun dann erst mal ... NICHTS! Dieses Vorgehen der Presse halte ich vor dem Hintergrund der Dramatik der Situation für unverantwortlich. Wir als Makler haften für unsere Beratung. Die Presse und auch viele sogenannte Verbraucherschützer empfahlen den Menschen implizit nichts zu tun. Wer zahlt dann aber eine auskömmliche Rente? Wer haftet für solche „Ratschläge“? Auch hier bekräftigen wir nochmals unser Angebot zum Dialog mit jedem Pressevertreter und „Verbraucherschützer“.

Wir versuchen hierauf mit möglichst transparenten Informationen an die betroffenen Gruppen zu reagieren. Dazu gehört auch die klare Darstellung des Nutzens der bAV aber auch die immer wieder auftauchende Frage nach unserer Vergütung. Dies schafft Vertrauen und so entscheiden sich viele Arbeitnehmer dann doch dazu zu handeln. (kb)

*Den Bericht des Bayerischen Fernsehens finden Sie hier.