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6. Juni 2016
„Der Euro ist ein kapitaler Fehler“

„Der Euro ist ein kapitaler Fehler“

Mit „Kapitalfehler“ haben Matthias Weik und Marc Friedrich gerade ihren dritten Bestseller veröffentlicht. Das Duo sieht für das aktuelle Finanz- und Wirtschaftssystem weiterhin schwarz. Nach wie vor sehen sie gleich mehrere Kapitalfehler im aktuellen System – wie etwa den Euro an sich.

Herr Friedrich, Ihr neues Buch hat den Titel Kapitalfehler. Was ist der größte Kapitalfehler im aktuellen Finanz- und Wirtschaftssystem?

Marc Friedrich: Das ist leider nicht nur einer, sondern mehrere. Das fängt mit dem Euro an. Er ist ein kapitaler Fehler, der sich gerade aber auch schon wieder im Niedergang befindet. Auch die EU in ihrer jetzigen Form ist ein Fehler, weil die Menschen sich nicht mehr abgeholt fühlen und dadurch zu extremen Parteien neigen, was gefährlich für die Demokratie ist. Dass Banken aus dem nichts Geld schöpfen können, ist ein weiterer kapitaler Fehler. Das ist brandgefährlich und bringt das System immer wieder an den Rand des Abgrunds. Zudem begehen die Notenbanken einen kapitalen Fehler nach dem anderen.

Welche Fehler macht sie denn?

Matthias Weik: Wir erleben gerade ein Notenbankexperiment par excellence. Die Notenbanken kreieren eine Finanzmarktblase nach der anderen um das Geldkarussell am laufen zu halten. Eine Nullzinsphase hat es so noch nie gegeben. Bald gibt es vielleicht auch eine Negativzinsphase. Die letzte große Krise entstand aber doch durch zu niedrige Zinsen und somit zu viel billigem Geld. Gelöst werden soll sie mit noch mehr billigem Geld in Form von Nullzinsen oder gar negativen Zinsen. Wer wirklich glaubt, dass eine solche Homöopathie an den Finanzmärkten funktioniert, ist von allen guten Geistern verlassen.

Was wäre die Alternative? Zinsen anheben und dafür eine Rezession in Kauf nehmen?

MF: Ja natürlich. Die Rezession kommt so oder so. Das einzige was die Notenbanken erreichen, ist, sich teuer Zeit zu erkaufen. Jeden Tag an dem wir den Markt manipulieren wird die Fallhöhe nach oben justiert und die Kollateralschäden steigen parallel. Wenn die EZB die Zinsen jetzt erhöht, wären die Südländer Europas sofort bankrott. Die niedrigen Zinsen erhalten Südeuropa am Leben. Der Euro ist für Italien, Griechenland oder auch Portugal viel zu stark und für uns viel zu schwach. Es war von Anfang an ein kapitaler Fehler volkswirtschaftlich unterschiedlich starke Staaten in ein Zins- und Währungskorsett zu zwingen. Das ist noch nie gut gegangen und wird auch heute nicht gut gehen.

Von der Schuldenkrise in Europa oder gar einem Crash hört man derzeit aber wieder relativ wenig. Bleibt der Crash nicht vielleicht doch aus?

MW: Nein, denn die Krise wurde ja nicht gelöst. Man hat sich nur mit billigem Geld Zeit erkauft. Seit 2008 haben sich die weltweiten Schulden mehr als verdoppelt auf mehr als 200 Bio. Dollar. Verdoppeln wir bei der nächsten Krise die Schulden einfach auf 400 Bio. Dollar? Geld ist heute nur noch mit Vertrauen gedeckt. Wenn wir aber so weiter Schulden machen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Menschen das Vertrauen in den Wert des Geldes verlieren.

Die mathematische Lebenszeit des aktuellen Finanzsystems ist 2008 nachweislich abgelaufen. Seitdem wird der Patient nur künstlich am Leben gehalten – auf Kosten der Bürger. Wer kann bei einem Zinsumfeld von 0% schließlich noch adäquat fürs Alter vorsorgen? Da kommt eine Welle der Altersarmut auf Deutschland zu, die auch der Exportweltmeister nicht stemmen kann. Noch schlimmer ist die Lage der Millionen Arbeitslosen in Südeuropa, die absolut nichts in die Altersvorsorge einzahlen können. Und an der finanziellen Situation der südeuropäischen Länder hat sich doch auch nichts verändert. Griechenland ist zwar im Moment etwas von der Flüchtlingskrise verdrängt, aber kommt allmählich auch wieder auf den Schirm. Das Land kommt ohne die lebensverlängernden Spritzen schließlich nicht mehr aus. Spanien hat immer noch eine Arbeitslosenquote von über 20% und in Frankreich gehen die Menschen in großen Mengen auf die Straße.

Währungsgemeinschaften sind immer gescheitert. Und das hat nicht nur finanzielle, sondern auch politische und soziale Folgen. Das politische Spektrum hat sich nicht grundlos oder nur wegen der Flüchtlingskrise verschoben. Ich bin überzeugter, freiheitsliebender und liberaler Demokrat, aber was wir momentan erleben, zeigt starke Parallelen zu den 20er-Jahren auf – und da sollten eigentlich bei allen die Alarmglocken läuten.

Wie hätte man diese Entwicklung verhindern können?

MF: Der größte Fehler war, dass 2008 nicht die richtigen Lehren gezogen wurden. Jahrzehntelang wurde dem Neoliberalismus gehuldigt. Man hat aber doch gesehen wohin das führt. Man hat die Finanzmärkte dereguliert und so dafür gesorgt, dass uns das globale Finanzsystem fast um die Ohren geflogen wäre. Seither wird es mit Billionen von Steuergeldern am Leben gehalten statt mit einer Regulierung für Ordnung im Bankensystem zu sorgen. Wir müssen die Finanzbranche strikt regulieren, ansonsten wird das Ganze in einem Desaster enden.

Das klingt aber ganz und gar nicht nach liberaler Grundhaltung…

MF: Es bringt nichts ein Dogmatiker zu sein. Es ist wichtig Brücken zu bauen zwischen den verschiedenen Denkrichtungen, um ein langfristig funktionierendes System aufzubauen. Die Finanzmärkte können alles. Aber sie können sich nicht selbst regulieren. Zudem ist die Finanzbranche für unser System so gefährlich wie keine andere Branche. Sie nicht zu regulieren endet immer in einem beinahe-Kollaps. Das muss durch eine knallharte Regulierung verhindert werden – auch wenn es einer liberalen Grundhaltung widerspricht. Das in den 30er-Jahren eingeführte Trennbankensystem hat zum Beispiel sieben Jahrzehnte lang gut funktioniert. Seine Wiedereinführung hat man 2008 verpasst.

Der aktuelle Raubtierkapitalismus führt immer zu Ungerechtigkeiten und zur Konzentration von Vermögen. 62 Menschen auf der Welt besitzen mittlerweile so viel Vermögen wie 3,5 Mrd. Menschen. Das geht langfristig nicht gut. Irgendwann gehen die Leute auf die Straße oder auf die Flucht. Flucht hat ja nicht nur Kriegsgründe, sondern auch wirtschaftliche. Wenn Menschen keine Arbeit haben oder für Hungerlöhne billige T-Shirts oder Turnschuhe produzieren müssen, muss man sich nicht wundern wenn sie an einen besseren Ort flüchten.

Profiteur sind in der Regel die westlichen Unternehmen, die kaum Steuern zahlen und in Steueroasen flüchten. Wenn jeder Handwerker ordnungsgemäß alles versteuern muss, Großkonzerne aber durch internationale Steuersparmodelle nur in homöopathischen Dosen zahlen, kann man das doch keinem Menschen mehr erklären. Das ist auch kein fairer marktwirtschaftlicher Wettbewerb. Der richtige Kapitalismus würde funktionieren. Aber nicht, wenn ständig interveniert und manipuliert wird, sodass die Großen immer größer werden und die Armen immer ärmer. Wir sehen eine ungesunde Abhängigkeit der Politik von der Finanzindustrie. Alle Staaten der Welt müssen sich bei Banken und Versicherungen verschulden. Solange sich daran nichts ändert, wird die Finanzbranche bestimmen wo es lang geht.

Dabei beschweren sich auch Banken und Versicherungen über den Niedrigzins…

MW: Aber wer schimpft denn? Es sind die Sparkassen und Volksbanken. Ich habe noch nicht gehört, dass sich eine deutsche oder internationale Großbank beklagt. Leidtragende sind vor allem die ordentlich aufgestellten Sparkassen und Volksbanken. Bei der Recherche für das neue Buch sind wir auf den Trichter gekommen, dass die Krisen gewollt sind. Die Profiteure versuchen den Ball solange wie möglich im Spiel zu halten. Die großen Banken sind von den Krisenverursachern zu den Krisengewinnern geworden. Durch das viele billige Geld haben sie sich weiter aufgepumpt und sind noch systemrelevanter geworden. An ihrer Politik haben sie nichts geändert. Sie spekulieren und zocken munter weiter.

Werden die niedrigen Zinsen durch die niedrige Inflation oder sogar eine Deflation nicht ausgeglichen?

MF: Im Supermarkt, am Aktienmarkt oder bei Immobilien sehe ich keine Deflation. Natürlich gibt es aufgrund des Ölpreises und des Preisverfalls bei Technik derzeit eine gewisse Deflation. Das liegt aber an der Zusammenstellung des statistischen Warenkorbes. Dinge des täglichen Konsums und Mieten sind in den letzten Jahren stark gestiegen.

Bei aller Skepsis wollen Sie in Ihrem Buch aber auch aufzeigen, wie ein vernünftiger Kapitalismus möglich ist. Was braucht es dafür, dass das Wirtschafts- und Finanzsystem nachhaltig funktioniert?

MF: Vor allem bräuchte man zunächst tugendhafte Politiker, die sich den Menschen verpflichtet fühlen und nicht nur ein verlängerter Arm der Wirtschaft sind.

Wir benötigen ein neues Geldsystem. Wir plädieren für ein gedecktes Vollgeldsystem und demokratisch gewählte und politisch unabhängige Notenbanken. Die Giralgeschöpfung der banken muss beendet werden und der destruktive Euro endlich ad acta gelegt werden. Dann kann man den südeuropäischen Ländern wirklich aus der Krise helfen. Im Anschluss stellt sich die Frage, wie es mit der EU weiter geht, um den Extremisten den Nährboden zu entziehen. Zusätzlich brauchen wir mehr Volksabstimmungen um die Bürger wieder in den Entscheidungsprozess mit einzubinden und somit den extremen Kräften den Nährboden zu entziehen. Warum lässt man nicht das Volk über die EU abstimmen? Meines Erachtens reicht eine wirtschaftliche Union vollkommen aus – und wäre am Ende des Tages sogar stabiler. (mh)