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6. Oktober 2015
„Die Finanzberatung muss sich den Frauen anpassen“

„Die Finanzberatung muss sich den Frauen anpassen“

Wenn es um Geschlechterfragen geht, wird meist erwartet, dass sich die Frauen den Männern anpassen. Dass dies in Sachen Vorsorge und Vermögensaufbau nicht so ist und es vor allem darauf ankommt, dass Frauen deutlich machen, was sie brauchen, erklärt Heide Härtel-Herrmann, Gründerin und Geschäftsführerin des Frauenfinanzdienstes.

Frau Härtel-Herrmann, wie der Name „Frauenfinanzdienst“ schon sagt, beraten Sie überwiegend Kundinnen. Warum braucht es eine eigene Beratung für Frauen und was zeichnet diese Beratung aus?

Frauen lassen sich gerne von Frauen beraten und wir merken, dass sich unsere Kundinnen bei uns wohlfühlen. Das besondere an unserer Art der Beratung ist unsere Unabhängigkeit und Transparenz. Viele Kundinnen heben als besonders angenehm hervor, dass sie bei uns unabhängig beraten werden, dass wir keine Vorgaben haben und nicht gezwungen sind, unbedingt etwas verkaufen zu müssen. Außerdem schätzen sie es, dass wir uns genügend Zeit nehmen und die Beratung individuell gestalten. Wir schauen genau auf die Situation der Kundinnen, auf ihr Einkommen und ihre Familienverhältnisse. Es kommt uns darauf an, dass die Kundin als Person im Mittelpunkt steht und eine Beratung bekommt, die zu ihr passt – übrigens bekommen auch Männer bei uns eine solche Beratung. Unser Slogan ist „Wir beraten Frauen und nette Männer.“ Das Verhältnis unter unseren Kunden ist ungefähr ein Drittel zu zwei Dritteln.

Außer diesem Slogan kann man auf Ihrer Internetseite auch die Bemerkung lesen, dass Frauen keine „defizitären Wesen“ sind, die endlich lernen müssen, Vorsorge und Vermögensaufbau wie die Männer zu betreiben. Was meinen Sie konkret damit?

Wann immer es um Geschlechterfragen geht, wird erwartet, dass Frauen sich anpassen und so werden wie Männer. In Gelddingen geht es meiner Meinung nach aber nicht darum, dass Frauen sich anpassen müssen. Sie müssen also beispielsweise nicht lernen, risikofreudiger zu werden oder gut mit Geld umzugehen – denn das können sie oftmals schon sehr gut. Wichtig ist, dass die Männer nicht zum Maßstab erklärt werden. Frauen müssen nicht so werden, wie Männer – Frauen sollen selbst herausfinden, was zu ihnen passt und sich entsprechend verhalten bzw. entsprechende Beratung suchen. Was zu Frauen passt kann entweder etwas ganz anderes sein, als das, was zu Männern passt – oder auch genau dasselbe.

Sie haben gerade das Stichwort „risikofreudig“ genannt. Wie risikofreudig sind Frauen?

Auch das kann man nicht am Geschlecht festmachen. Es gibt zwar verschiedene Untersuchungen, die immer wieder das Ergebnis präsentieren, dass Männer risikofreudiger seien als Frauen. Meiner Meinung nach sind diese Untersuchungen aber nicht sehr seriös.

Die Bereitschaft, ein Risiko einzugehen, hat auf jeden Fall viel damit zu tun, was an Vermögen, Sparmöglichkeiten oder Rente vorhanden ist. Ein Mann, der viel Geld hat und ein bisschen spekuliert ist in einer anderen Situation, als eine Frau, die lange Teilzeit gearbeitet und daher keine große Rente hat. Wenn diese Frau kein Risiko eingehen möchte, ist das vernünftig.

Wie steht es um die Belegbarkeit des Klischees, dass Frauen mehr an nachhaltigen und sozial-ethischen Investments interessiert sind?

Bei meinen Kundinnen und Kunden kann ich das insofern nicht sagen, als auch die Männer, die ich berate, das Thema Nachhaltigkeit fast immer gut finden. Aber ich habe vor einigen Jahren selbst zu dieser Frage recherchiert und Produktgeber befragt, die ethisches und ökologisches Investment anbieten. Einige haben mir gesagt, es gebe da eine Quote von 50:50. Andere haben von einer Quote von 60:40 gesprochen. Wenn es Unterschiede gab, sind die Zahlen den befragten Produktgebern zufolge immer zugunsten der Frauen ausgefallen. Allerdings sind meine Recherchen schon eine Weile her und natürlich auch nicht repräsentativ.

Wie gestaltet sich Ihre Zusammenarbeit mit den Produktanbietern allgemein? Hat sich durch die neuen Compliance-Regeln und die Kodizes der Versicherer etwas verändert?

Ich merke diesbezüglich keine Unterschiede, ethische Richtlinien waren schon immer ein Thema für uns. Ich habe aber das Gefühl, dass sich Produktgeber und Geschäftspartner sehr um uns bemühen, weil sie unsere gute Arbeit wertschätzen. Durch unser auf Fairness, Transparenz und Seriosität ausgerichtetes Geschäftsmodell sind wir für unsere Geschäftspartner gute Kunden und sehr angesehen. Dies hat sich in letzter Zeit etwas verstärkt.

In den Vorständen der Versicherungsgesellschaften und Kapitalanlagegesellschaften sind etwas mehr Frauen eingezogen. Werten Sie dies als Wandel?

Dass Frauen gefördert werden finde ich gut. Aber das sind aus meiner Sicht sehr geringe Zuwächse, die auch teilweise wieder verloren gehen und sich nicht wirklich bemerkbar machen. Erst wenn es richtig viele Frauen sind und sie sich so verhalten und arbeiten können, wie sie es selbst wollen, kann sich etwas ändern. Wie viele Jahre das noch dauern wird, ist allerdings fraglich. Ich bin diesbezüglich nicht sehr optimistisch. Die Versicherungsbranche ist ja auch nicht unbedingt Vorreiter in Sachen Geschlechtergleichheit. Daran wird sich meiner Meinung nach auch so schnell nichts ändern.

Was müsste sich tun, damit es zu einer merklichen Änderung kommen könnte?

Änderung müsste zuerst aus der Politik kommen. Ich finde natürlich die Quotenregelung gut und befürworte es, dass Frauen wichtige Positionen innehaben. Aber ich sehe nicht, dass sich hier wirklich etwas tut und ich kann mir nicht vorstellen, wann hier ein ernsthafter Schritt erfolgt – und ob dies dann auch uns etwas bringt, die wir sozusagen an der „Beratungsfront“ tätig sind.

Ich bin in diversen Netzwerken engagiert – beispielsweise bei der Kampagne „Equal Pay Day“ oder im Verein „Schöne Aussichten für selbstständige Frauen“. Dieses Engagement in Netzwerken ist sehr hilfreich, heißt aber nicht, dass man unbedingt schnelle Fortschritte in Sachen Geschlechtergleichheit erwartet.

Würden Sie sich als Frau andere Formen der Unterstützung oder vielleicht andere Produkte wünschen?

Nein, es gibt genug Produkte. Ich begehe im nächsten Jahr mit dem Frauenfinanzdienst mein dreißigjähriges Firmenjubiläum und ich habe immer die These vertreten, dass wir keine frauenspezifischen Produkte brauchen. Oft kommen dabei nur Marketing-Gags heraus oder lediglich die Verpackung des Produkts wird anders gestaltet. Die Altersarmut hat nichts damit zu tun, dass es nicht genügend oder nicht die richtigen Produkte gibt, sondern sie hat tiefer liegende Gründe. Dinge, die frauenspezifisch angegangen werden müssten, sind eher in der Sozial- oder Steuerpolitik zu finden: Das Ehegatten-Splitting, die 450-Euro-Jobs und viele andere Dinge müssten abgeschafft werden.

Ganz wichtig ist für mich aber, dass sich die Beratung den Frauen anpasst und dass Frauen deutlich machen, was sie brauchen. (ad)