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Sonderthema Erschließung von Kundengruppen
19. Februar 2016
„Nachhaltigkeit wird zunehmend zum breiten Lebensstil“

„Nachhaltigkeit wird zunehmend zum breiten Lebensstil“

Nachhaltige Geldanlagen bewegen sich aus der Nische und erreichen breitere Gesellschaftsschichten. Dazu zählt der Hipster genauso wie der Biobauer. Als nachhaltiger Finanzvertrieb setzt die MehrWert GmbH auf eine hohe Empfehlungsbereitschaft innerhalb dieser facettenreichen Gruppen.

Interview mit Gottfried Baer, Geschäftsführer der MehrWert GmbH für Finanzberatung und Vermittlung

Herr Baer, wie und wo findet ein nachhaltiger Finanzvertrieb seine Kunden?

Nachhaltig orientierte Menschen bewegen sich viel im Internet – sie informieren sich auf speziellen nachhaltig ausgerichteten Plattformen, nehmen an Diskussionsforen speziell zu nachhaltigen Themen teil, kaufen im Internet nachhaltige Produkte, lesen Blogs zu unterschiedlichen nachhaltigen Themen. Social Media ist ein zentraler Bereich, in dem der nachhaltige Finanzvertrieb Zugang zu seinen Kunden findet. Überdies bewegen sich nachhaltig interessierte oder bewusst lebende Menschen bei den entsprechenden politischen Parteien, Naturschutz- und Umweltvereinen und -organisationen sowie im kirchlichen Umfeld.

Eine klare Kundengruppe sind die Unternehmen, die sich grün positionieren – wie etwa die Biolebensmittelbranche, Bioland- und Erneuerbare-Energien-Wirtschaft, Holz- und Niedrigenergiehaushersteller – oder auch der medizinische Bereich wie etwa Homöopathen und Heilpraktiker. Das Spannende hierbei ist, dass im nachhaltigen Bereich viele Kontakte über Empfehlung zustande kommen; Qualität spricht sich im wahrsten Sinne des Wortes herum: Wer fundiert „grün“ berät, der wird innerhalb der Netzwerke, innerhalb der persönlichen Bekannten- und Freundeskreise, die in der Regel ähnlich ticken, empfohlen.

Eine Zeit lang war oft die Rede von den LOHAS, der Personengruppe also, die einen gesunden und nachhaltigen Lebensstil pflegen. Bleibt dies ein Trend oder verschwindet der Nachhaltigkeitsgedanke wieder aus dem Blickfeld?

Keineswegs – ganz im Gegenteil. Gerade die jüngere Generation der 25- bis 35-jährigen Akademiker – mitunter viele, die sich als Hipster identifizieren – ergänzt die Gruppe der 40- bis 60-jährigen LOHAS. Sie zeichnen sich mitunter durch ein Faible für Nachhaltigkeit aus. Das bedeutet: Fahrrad statt Auto, Einkaufen im Biomarkt, Essen beim Bioasiaten, vegetarisch oder vegan leben – eben weil es einfach dazugehört. Nachhaltiges Leben wird selbstverständlicher, ist cool. Nachhaltigkeit ist mittlerweile in einer breiteren Schicht keine Nische mehr, sondern ist modern, wird zunehmend zum breiten Lebensstil, wird zu einem wichtigen Aspekt des Dazugehörigkeitsgefühls. Sogar konventionelle Metzgereien werben mit regionalem Fleisch, Direktvermarktung ist gefragt.

Nachvollziehen zu können, wo was wie produziert wird oder, im Falle der Geldanlage, wo welches Geld wie investiert wird und was damit bewirkt wird, liegt im Trend. Je nachvollziehbarer, desto besser, je sinnvoller eine Geldanlage gestaltet ist und in der Gesellschaft und Umwelt als Add-on neben dem reinen monetären Ertrag wirkt, desto besser ist sie. Wenn die Menschen erfahren, dass konventionelle Aktienfonds auch Rüstungsunternehmen, Tabakkonzerne, Atomstromproduzenten usw. enthalten, dann führt dieses Bewusstsein rasch dazu, dass eben diese Menschen derartige Unternehmen nicht mit ihrer Geldanlage unterstützen wollen.

Wie schätzen Sie dann das Potenzial dieser Zielgruppe ein?

Das Potenzial dieser Zielgruppe schätze ich in mehrerlei Hinsicht recht groß ein. Wie bereits oben erwähnt, handelt es sich um eine breite Gruppe, die meist im akademischen Umfeld beheimatet ist oder sich in passenden Berufsbildern bewegt. Also Menschen, die ein gutes Einkommen erzielen und sich somit auch ein nachhaltiges Leben leisten können, oder Menschen, die aus tiefer Überzeugung nachhaltig leben wollen. Wenn wir von den 25- bis 45-jährigen an der Nachhaltigkeit Interessierten sprechen, dann umfasst es die Gruppe unserer Gesellschaft, von denen viele sukzessiv erben oder auf deren Generation durch Schenkung Vermögen übertragen wird. Diese Menschen wünschen eine vernünftige, intelligente und auch sinnvolle Beratung sowie Geldanlagen, die „fair trade“ sind, die ökologisch zu ihnen passen, die den Erhalt der Umwelt fördern und die sich, wenn möglich, jenseits der Konvention bewegen.

Betrachtet man die nachhaltigen Branchen direkt, so wachsen diese gemäß Bedarf an, zudem nehmen Unternehmer in konventionellen Bereichen immer mehr nachhaltige Produkte und Angebote in ihr Sortiment auf und setzen sich so bereits mit der Nachhaltigkeit auseinander. Es gibt aus unserer Erfahrung kaum Kunden, die, sobald man über die Sinnhaftigkeit und Transparenz von Geldanlagen gesprochen hat, nicht selbstverständlich in nachhaltige Anlagen investieren und zugleich Abstand von konventionellen Anlagen nehmen.

Wie muss sich ein Finanzvertrieb aufstellen, um die Erwartungen der Kundengruppe zu erfüllen?

Nur nebenbei ein paar „grüne“ Produkte anzubieten, ist sicher eine Möglichkeit, den Erwartungen einiger Kunden gerecht zu werden. Wenn man sich jedoch als Berater differenzieren möchte und sich klar positionieren will, dann gehört freilich mehr dazu.

Es sind meiner Ansicht nach vor allem vier Aspekte, die eine überzeugende Grundlage schaffen. Wichtig ist ein glaubhafter Rahmen, den beispielsweise die Ausbildung zum Fachberater für nachhaltiges Investment schaffen kann. Eine nachhaltige Finanzberatung im Bereich Sustainability hebt sich von einer konventionellen Finanzberatung ab. Weiterhin wichtig ist eine herausragende Produktkenntnis, mit einem grünen Portfolio angefangen, mit grünen Sachversicherungen über grüne Rentenversicherungen bis hin zu grünen Geldanlagen, etwa in Form einer grünen Vermögenverwaltung und weiteren Anlageformen. Eine überzeugende Marketingsprache ist ein weiterer wesentlicher Aspekt. Möchte man mit einer nachhaltigen Finanzberatung überzeugen, so muss die nachhaltig grüne Positionierung nach außen klar und eindeutig sein. Ein paar grüne Produkte nebenbei sind hier wenig zielführend. Die professionelle Finanzberatung muss mit dem Selbstverständnis nachhaltiger Finanzproduktlösungen eindeutig und überzeugend gekoppelt sein. Nicht zuletzt ist das eigene Vorleben, die eigene nachhaltige Überzeugung eine relevante Größe: In welchen Bereichen lebe ich persönlich bereits nachhaltig?

Wo sind die Knackpunkte in der Beratung?

Im Grunde gibt es zwei sehr wesentliche Knackpunkte: erstens, mit Empathie und Verständnis das Werte- und Nachhaltigkeitsverständnis mit dem Kunden herausarbeiten und verstehen und zweitens die eigene Kenntnis der grünen Produkte und deren Funktionsweise, deren Ansatz und deren Wirkung.

Wenn ich als Berater versuche, den Kunden in seinem Nachhaltigkeitsverständnis nachzuvollziehen, dann sprechen wir über Werte, wir sprechen über Sinn als ergänzenden Mehrwert zu einer ökonomischen Rendite. Wenn man als Berater nachhaltige Finanzprodukte und Investitionsoptionen bespricht, dann spricht man neben den allgemeinen Kennzahlen vor allem über die positive Wirkung von Geld, man spricht über die weitergreifende Konsequenz, die eine Geldanlage bewirkt. Ein Mikrofinanzfonds beispielsweise zeichnet sich eben nicht allein durch ökonomische Kennzahlen aus, sondern auch dadurch, dass Kredite an Kleinunternehmer in benachteiligten Ländern ausgegeben werden, die damit einen Zugang zu einer modernen Wirtschaftsweise erhalten. Nachhaltige Geldanlagen bieten immer auch einen Zusatznutzen, bieten einen positiven Sinn neben einem rein materiellen Kapitalzuwachs.

Gibt es spezielle Marketingmaßnahmen, die hier besonders erfolgsversprechend sind?

Recht gute Erfahrungen machen wir zum Beispiel mit Kundenforen und Vorträgen zu grünen Finanzthemen, Leads-Gewinnung mit grünen Themen, gezielter Ansprache nachhaltiger Unternehmen speziell zum Thema grüner bAV oder nachhaltiger Geldanlagen, mit persönlichen Beratervideos und der Bitte an die Kunden, selbige an ihre Kontakte weiterzuleiten, sowie Anzeigen in grünen Verbandsnachrichten oder Kirchenblättern zum Thema Mikrofinanz.

Das Interview lesen Sie auch in AssCompact 02/2016, Seite 84f.

 
Ein Artikel von
Gottfried Baer