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Steuern & Recht
28. März 2017
BGH-Beschluss: Was muss in einer Patientenverfügung stehen, damit man sterben darf?

BGH-Beschluss: Was muss in einer Patientenverfügung stehen, damit man sterben darf?

Immer wieder steht in Zweifel, wie eine Patientenverfügung formuliert sein muss, damit sie für den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen bindend ist. Jetzt hat sich der BGH erneut des Themas angenommen.

Der Bundesgerichtshof hat sich erneut mit den Anforderungen befasst, die eine bindende Patientenverfügung im Zusammenhang mit dem Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen erfüllen muss. Im verhandelten Fall befindet sich eine Frau seit einem im Jahr 2008 erlittenen Schlaganfall im Wachkoma. Sie wird über eine Magensonde künstlich ernährt und mit Flüssigkeit versorgt. Bereits im Jahr 1998 hatte die Betroffene eine Patientenverfügung unterschrieben. Darin stand, dass „lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben“ sollten, wenn keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht oder aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibe.

Betroffene sagte „Ich möchte sterben“

Die Betroffene hatte vor dem Schlaganfall mehrfach angesichts zweier Wachkoma-Patienten aus ihrem Umfeld geäußert, sie wolle nicht künstlich ernährt werden, sie wolle nicht so am Leben erhalten werden, lieber sterbe sie. Im Juni 2008 erhielt die Betroffene in der Zeit zwischen dem Schlaganfall und dem späteren Herz-Kreislaufstillstand einmalig die Möglichkeit zu sprechen. Bei dieser Gelegenheit sagte sie: „Ich möchte sterben.“ Der Sohn und der Ehemann der Betroffenen sind zu jeweils alleinvertretungsberechtigten Betreuern bestellt worden. Der Sohn ist der Meinung, die künstliche Ernährung solle eingestellt werden, da dies dem Willen seiner Mutter laut Patientenverfügung entspreche. Ihr Ehemann lehnt dies ab.

Will man die Einwilligung in die künstliche Ernährung widerrufen, bedarf es einer betreuungsgerichtlichen Genehmigung, wenn dadurch der Tod droht. Diese ist allerdings nicht erforderlich, wenn der Betroffene einen eigenen Willen in einer bindenden Patientenverfügung nach § 1901a Abs. 1 BGB niedergelegt hat und diese auf die konkrete Lebens- und Behandlungssituation zutrifft. Eine schriftliche Patientenverfügung ist aber nur dann bindend, wenn sie konkrete Entscheidungen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte ärztliche Maßnahmen enthält.

BGH: Benennung ärztlicher Maßnahmen kann weniger detailliert sein

In seinem Beschluss vom 06.07.2016 (XII ZB 61/16) hatte der BGH bereits entschieden, dass die Äußerung, „keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ zwar nicht hinreichend konkret ist. Es genüge jedoch, gegebenenfalls bestimmte ärztliche Maßnahmen zu benennen oder auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen Bezug zu nehmen. Diese Rechtsprechung hat der BGH nun weiter präzisiert. Im Einzelfall genüge für die Konkretisierung auch eine weniger detaillierte Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen durch die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen.

Auch frühere Äußerungen und Wertvorstellungen müssen einbezogen werden

Auf dieser rechtlichen Grundlage hat der BGH die angefochtene Entscheidung aufgehoben, weil das Beschwerdegericht sich nicht ausreichend mit der Frage befasst hat, ob die Patientenverfügung eine wirksame Einwilligung in den Abbruch der künstlichen Ernährung enthält. Denn die Betroffene hat darin ihren Willen zur Behandlungssituation u. a. an die medizinisch eindeutige Voraussetzung geknüpft, dass bei ihr keine Aussicht besteht, dass sie das Bewusstsein wiedererlangt. Zudem hat sie die ärztlichen Maßnahmen näher konkretisiert: Behandlung und Pflege sollen auf Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein. Und zwar selbst dann, wenn dadurch eine Lebensverkürzung nicht auszuschließen ist. Ob das Wachkoma auf diese konkret bezeichnete Behandlungssituation zutrifft, hat das Beschwerdegericht bislang nicht festgestellt. Falls nicht, muss es erneut prüfen, ob es dem mutmaßlichen Willen der Frau entspricht, dass die künstliche Ernährung abgebrochen wird. Hier müssen dann auch frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen oder sonstige persönlicher Wertvorstellungen der Betroffenen einbezogen werden. Entscheidend ist dabei, wie die Betroffene selbst entschieden hätte. (tos)

BGH, Beschluss vom 08.02.2017, Az.: XII ZB 604/15