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26. Oktober 2017
Dr. Norbert Lammert: „Die Demokratie steht und fällt mit dem Bürgerengagement“

Dr. Norbert Lammert: „Die Demokratie steht und fällt mit dem Bürgerengagement“

Eben ist seine zwölfjährige Amtszeit als Bundestagspräsident zu Ende gegangen, da steht der CDU-Politiker Dr. Norbert Lammert schon in der Speaker’s Corner der DKM und legt seinen Zuhörern zum Start in den zweiten Messetag seine Sicht auf den Zustand der Demokratie in Deutschland und Europa dar.

Auf die Eingangsfrage von AssCompact-Chefredakteurin Brigitte Horn, wie es sich anfühle, eine Plenarsitzung von der Tribüne aus zu erleben, entgegnet Dr. Norbert Lammert zunächst, dass dies so sei wie im Fußballstadion: Diejenigen, die in den Zuschauerrängen sitzen, glauben immer den besseren Überblick und die besseren Lösungen parat zu haben als diejenigen, die unten auf dem Platz stehen. Und dann wendet sich Lammert für seinen Vortrag „Wie steht es um die Demokratie in Deutschland und Europa?“ dem Begriff der Demokratie zu.

Systembezeichnung sagt nicht immer etwas aus über die tatsächliche Systembeschaffenheit

Die Schwierigkeit mit Begriffen wie „Demokratie“, „Freiheit“ oder „Gerechtigkeit“ sei, was unter solchen Begriffen verstanden werde und dass sie umso weniger greifbar und glaubwürdig seien, je mehr unterschiedlichen Sachverhalten die Begriffe „aufgeklebt“ würden. Dass eine Systembezeichnung nicht zwangsläufig auch deutlich über die Systembeschaffenheit Auskunft gibt, erläuterte Lammert in diesem Zusammenhang an den Beispielen der „Deutschen Demokratischen Republik“, der „Fünften Republik“ in Frankreich, dem „Vereinigten Britischen Königreich“ – oder den „Vereinigten Staaten von Amerika“, bei denen es im Moment tatsächlich vielleicht klug scheine, so Lammert, dass sie keine „nähere“ Beschreibung in ihrem Namen trügen.

Sechs Kriterien als Krisensymptome?

Dass in seinem Vortragstitel die Frage gestellt werde, wie es um die Demokratie in Deutschland und Europa stehe, zeige schon einen leisen Zweifel, so Lammert, sonst müsse die Frage nicht gestellt werden. Im Verlauf seines Vortrags, in dem er auch kurz auf die Ursprünge der Demokratie und die Grundpfeiler des modernen Demokratieverständnisses einging, forderte Lammert dann aber wie sein Amtsnachfolger Wolfgang Schäuble Gelassenheit. Es gelte, weder mit Euphorie noch mit Hysterie auf aktuelle Veränderungen zu reagieren. Anhand der sechs Kriterien Wahlbeteiligung, Zersplitterung des Parteiensystems, (In-)Stabilität von Regierungen oder Koalitionen, Bindungskraft von politischen Institutionen, Handlungsfähigkeit von staatlichen Institutionen sowie Populismus erläuterte Lammert, inwieweit diese eben nicht zwingend Krisensymptome sein müssen, wie oft angenommen werde. Vieles sei eine Frage der Betrachtungsweise, zeigte Lammert auf und führte seinem Publikum manchen Perspektivwechsel vor Augen:

So habe Deutschland beispielsweise im Jahr 1990 bei der Wahl zum ersten gesamtdeutschen Parlament die niedrigste Wahlbeteiligung seit 1949 erlebt, was wohl kaum mit einem fehlenden Willen zur Demokratie erklärbar sei. Eine niedrige Wahlbeteiligung sei also kein Krisensymptom per se. Was die Zersplitterung des Parteiensystems angehe, habe es im ersten Deutschen Bundestag 1949 insgesamt elf Parteien gegeben, also deutlich mehr als die heutigen sieben Parteien in sechs Fraktionen. Und Lammert erinnerte, von Lachen im Publikum begleitet, lebhaft an den Einzug der Grünen in den Bundestag 1983, gegen den sämtliche nachfolgenden Veränderungen im Plenarsaal ein „laues Lüftchen“ gewesen seien. In puncto Bindungsfähigkeit der politischen Parteien erinnerte Dr. Norbert Lammert daran, dass es den Parteien hier heutzutage nicht anders ergehe, als anderen Institutionen, wie beispielsweise der Kirche („Glaube ist nicht gleich Kirchenzugehörigkeit“) oder Sportvereinen („Lieber ein Abo in der Muckibude als Mitglied in einem Sportverein“). Was den Populismus angehe, schloss Lammert seine Betrachtung der sechs genannten Kriterien, so wolle er das momentane „Ausfransen an den Rändern“ nicht banalisieren, sondern relativieren: Deutschland habe quasi nun „europäischen Normalzustand“ erreicht, sei das 20. von 28 EU-Ländern, in denen eine rechtspopulistische Partei im Parlament vertreten sei.

Bürgerengagement gefragt

Zum Abschluss seines Vortrages bediente sich Dr. Norbert Lammert eines Zitates von George Bernard Shaw: „Die Demokratie ist die einzige Staatsform, die sicherstellt, dass wir nicht besser regiert werden, als wir es verdient haben.“ Oder um es mit Dr. Norbert Lammerts eigenen Worten zu sagen, mit denen er seine Zuhörer in den weiteren Messetag entließ: „Die Demokratie steht und fällt mit dem Bürgerengagement.“ (ad)