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10. April 2017
Gute Altersvorsorgeberatung braucht ein aussagekräftiges Risikoprofiling

Gute Altersvorsorgeberatung braucht ein aussagekräftiges Risikoprofiling

Welche Anlage- und Vorsorgeformen zum Kunden passen, muss ein Vermittler in der Altersvorsorgeberatung herausarbeiten. Diese Analyse ist facettenreich. Neue Materialien vom Arbeitskreis Beratungsprozesse (AKBP) bieten Vermittlern an dieser Stelle Hilfe für die kundengerechte Beratung.

Altersvorsorgeberatung ist anspruchsvoll. Gar nicht mal, weil tragfähige Lösungen allzu kompliziert wären – ein international gestreutes Anlage-Portfolio lässt sich heute kostengünstig aufbauen und managen. Kompliziert ist es zum einen, weil die Versicherungsbranche Produkte anbietet, die ausdrücklich das Langlebigkeitsrisiko absichern, und viele Kunden dies auch wünschen. Spätestens in solchen Fällen ist gute Beratung anspruchsvoll, denn sie muss sowohl auf dem Feld der Finanzanlagen als auch auf dem der biometrischen Versicherungslösungen zu Hause sein. Der Arbeitskreis Beratungsprozesse hat Anfang 2017 nach langer Vorarbeit neue Beratungshilfen veröffentlicht, die genau das unterstützen. Vermittler können die neuen Materialien von der Website www.beratungsprozesse.de kostenlos herunterladen und für ihre Zwecke einsetzen.

Der neue Analysebogen „Altersvorsorge und Geldanlage“ leistet zunächst all das, was auch konventionelle Beratungsbögen oder WpHG-Abfragen tun. Er kombiniert jedoch Aspekte der Geldanlage mit der expliziten Absicherung des Lang­lebigkeitsrisikos. Auch in einem weiteren Aspekt geht er über bestehende Ansätze hinaus und antwortet auf ein wichtiges Praxisproblem: Die systematische Erfassung der Kundensituation ist gesetzlich gefordert, aber leider in Theorie und Praxis noch ziemlich unausgegoren. Der Analysebogen setzt hingegen auf ein systematisches Profiling, das den Kunden in drei Dimensionen beschreibt:

  • Risikotragfähigkeit (meist auch: finanzielle Verhältnisse): Analyse des Kunden bzw. des Haushalts hinsichtlich seiner materiellen Risikobelastbarkeit. Hierzu gehört die Frage, ob die existenzzerstörenden Risiken (GAU-Risiken) hinreichend abgesichert sind und ggf. Total- oder Teilverluste von Anlagen aus dem Einnahmen-Ausgaben-Überschuss oder dem Vermögen getragen werden können.
  • Risikobewusstsein (meist: Kenntnisse und Erfahrungen): Analyse des Kunden hinsichtlich seiner fachlichen Risikobelastbarkeit. Diese steigt in dem Maße, wie der Kunde die infrage kommenden Anlageformen in ihrer Funktionsweise versteht und/oder bereits Erfahrungen damit gesammelt hat.
  • Risikobereitschaft (oft auch: Risikoneigung oder -toleranz): Analyse der Anlegerpersönlichkeit (Risikoaffinität bzw. -aversion). Sie gilt als weitgehend stabiles Persönlichkeitsmerkmal und verändert sich in der Regel nur nach sehr einschneidenden Erlebnissen sowie mit zunehmendem Lebensalter.

Alle Dimensionen beeinflussen sich. Jede kann den limitierenden Faktor enthalten, wenn es um die Frage geht, wie viel Risiko ein Kunde eingehen kann, will – oder sogar müsste, wenn er ein bestimmtes Anlageziel erreichen will. Einem Anleger zum Beispiel, der schon schlecht schläft, wenn nur Teile seines Vermögens im Feuer der Aktienmärkte stehen, setzt seine Persönlichkeit eine wichtige Grenze. Sie muss in der Beratung thematisiert werden, sei der Kunde auch materiell noch so gut gestellt und fachlich versiert.

Den Vorteil einer solch peniblen Betrachtung erkennt man, wenn man sich im Vergleich marktgängige WpHG-Bögen anschaut. Die allermeisten trennen die Dimensionen nicht sauber und sind schon bei den Begriffen uneins: Heißt es Risiko­bereitschaft, Risikoneigung oder Risikotoleranz? Und ist Risikotrag­fähigkeit identisch mit den „finanziellen Verhältnissen“? Einheitlichkeit findet man noch am ehesten bei „Kenntnissen und Erfahrungen“. Aber wie steht das alles zum Begriff des Anlageziels?

Unklare Begrifflichkeiten

Rechtsrahmen und Rechtsprechung sind – rein fachlich – keine große Hilfe. WpHG (§ 31 Abs. 4) und analog die FinVermV (§ 16 Abs. 1) legen fest: Zu erheben sind „Kenntnisse und Erfahrungen in Bezug auf Finanzanlagen“, „Anlageziele“ sowie die „finanziellen Verhältnisse“. Der Begriff Risiko­bereitschaft taucht hier nicht auf. Ganz anders beim BGH: Dieser spricht ausdrücklich von Risiko­bereitschaft (Beispiel: Spread-Ladder-Swap-Urteil 2011), und zwar im Zusammenhang mit dem Anlageziel. Wie kann der Vermittler haftungssicher ein Kundenprofil heraus­arbeiten, das die Beratung unterstützt, wenn es so viel Wirrwarr bei den wichtigsten Begriffen gibt?

Der neue Analysebogen vom Arbeitskreis Beratungsprozesse schafft Klarheit und rüstet alle Vermittler, die kundengerecht beraten wollen. Sie erarbeiten damit ein fundiertes Kundenprofil, das den Kunden in seiner Individualität greifbar macht: Der eine ist materiell belastbar und mit Geldanlagen erfahren, von seiner Persönlichkeit aber risiko­avers. Der nächste ist vielleicht ein risiko­freudiger Draufgänger, hat aber wenig Ahnung von Geldanlagen und nur einen geringen finanziellen Risikopuffer im Hintergrund. Mit diesen Erkenntnissen kann man arbeiten.

Die Materialien vermeiden auch ein weiteres Problem: Die unglückliche Vermischung von Anlegerprofil und Anlageziel. Neben dem BGH betrachten auch viele WpHG-Bögen das Anlageziel als Teil der „Risikobereitschaft“ oder setzen es sogar damit gleich. Übertragen auf einen anderen Lebensbereich wäre das in etwa so, als würde das Reiseprofil eines Kunden der Deutschen Bahn mit Stammdaten, Sitzplatzvorlieben oder Benachrichtigungsvoreinstellungen u. Ä. bei jeder Online-Buchung neu entstehen. Das ist natürlich nicht der Fall. Ein Kunde fährt heute nach Köln und morgen vielleicht nach München. Trotzdem bleibt er derselbe Kunde mit dem gleichen Reiseprofil.

Ziele gehören nicht ins Profil

 

 Gute Altersvorsorgeberatung braucht ein aussagekräftiges Risikoprofiling

Für die schlüssige Arbeit mit dem Kunden bietet sich also die Trennung zwischen Profil und Ziel an, wie es der Lebenspraxis entspricht. Zum Profil gehören diejenigen Informationen, die zum Kunden als Person mit seinem spezi­fischen Hintergrund vorliegen. Vieles davon verändert sich nicht oder nur langsam (siehe oben). Ein solches Kundenprofil muss daher nur ab und zu aktualisiert werden.

Ganz anders ist das beim Anlageziel, wie es bei der konkreten Beratung angetroffen wird: „Altersvorsorge“ vielleicht oder „Vermögensaufbau für die Ausbildung der Kinder“. Diese Kundenangaben sind situationsgebunden.

Nur Profil und Anlageziel zusammen ergeben eine überzeugende Basis für die Einstufung des Kunden in eine Risikoklasse (wobei sich diese eigentlich auf das Portfolio als Ganzes beziehen sollte und nicht auf Einzelanlagen – aber das ist ein anderes Thema). Insofern können die neuen Materialien des Arbeitskreis Beratungsprozesse auch der Debatte um die „richtige“ Altersvorsorgeberatung neue Impulse geben.

Den Text lesen Sie auch in AssCompact 04/2017, Seite 82 f.

Von Marco Habschick, Experte für digitale Beratung zu Versicherungen und Finanzen, und Arndt Stiegeler, selbstständiger Finanzplaner. Beide Autoren sind Mitglied im Lenkungsausschuss des Arbeitskreis Beratungsprozesse.

 
Ein Artikel von
Arndt Stiegeler
Marco Habschick