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23. Juli 2014
Versicherungen im digitalen Wandel

Versicherungen im digitalen Wandel

Der digitale Transformationsprozess ist in aller Munde. Auch in der Versicherungsbranche stellt er Unternehmen vor vielfältige Herausforderungen vor allem in Bezug auf Service, Organisation und Prozesse. Nachgefragt bei der Social-Media-Expertin Claudia Hilker:

Frau Hilker, welche Stationen müssen Unternehmen durchlaufen, die sich auf den Weg der digitalen Transformation machen?

In meinen Beratungsprojekten bei Finanzdienstleistern stelle ich immer wieder fest, dass die Veränderungen im Medien-Nutzungsverhalten von Kunden bei vielen Unternehmen noch nicht angekommen sind. Da wird im Marketing die Corporate Website relauncht, im Vertrieb eine App entwickelt und die Kommunikation richtet eine Facebook-Fanpage ein. All diese Aktionen werden isoliert gestartet, ohne dass es eine übergreifende Strategie für das digitale Business gibt.

Die Digitalisierung bietet Unternehmen nicht nur Risiken, sondern auch neue Chancen, um die Geschäftsmodelle entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu optimieren. Dazu bedarf es einer übergreifenden Strategie zum Eintritt ins digitale Business. Es geht um die Herausforderung, wie sich Unternehmen wandeln, um den digital vernetzen Kunden zu bedienen. Das erfordert neue Strategien, Konzepte und Tools. Dabei es geht auch um die Einstellung zum Wandel und Change Management.

Was hat sich durch die digitale Transformation verändert?

Kunden erwarten heute eine konsistente, transparente und offene Kommunikation mit einer hohen Geschwindigkeit. Viele Kunden sind immer online und erwarten crossmediale Echtzeit-Kommunikation von Unternehmen. Versicherungen, die überzeugend in der digitalen Welt auftreten wollen, müssen beweisen, dass sie sich mit dem Kunden auf eine neue Art und Weise vernetzen, ihm zuhören und ihm auf jeden Kanal antworten. Es geht also nicht um „Oberflächen-Kosmetik“ oder phrasenhafte Lippenbekenntnisse. Es geht um neue Strategien fürs digitale Business, übergreifende Fachkonzepte und durchgängige Prozesse, um Leadership im digitalen Transformationsprozess zu beweisen. Wenn Versicherungen ihre Marktposition erhalten oder gar wachsen wollen, dürfen sie die neuen Rahmenbedingungen nicht ignorieren, sondern müssen diese Herausforderungen meistern.

Was will der digital vernetzte Kunde?

Der digital vernetze Kunden hat komplexe und individuelle Bedürfnisse. Er ist für Unternehmen immer weniger kalkulierbarer, er ist beispielsweise auch ungeduldiger in der Redaktionszeit ist und beschwert sich bei Problemen schnell online. Beschwerden im Netz oder gar Shitstorms gefährden die Reputation von Versicherungen. Der Kunde 2.0 erwartet konsistente angenehme Service-Erlebnisse off- und online und möchte überall als Kunde erkannt werden, unabhängig vom Kanal. Es geht nicht mehr darum, einzelne Kanäle zu optimieren, sondern um eine, effiziente und angenehme Kundenreise (Customer Journey) über alle Kontaktpunkte hinweg. Mit Touchpoint-Marketing erkennen Brands, an welchen Kontaktpunkten der Kunde welche Erfahrungen macht.

Wo stehen die Versicherer auf dem Weg der digitalen Transformation?

Die meisten europäischen Versicherer haben noch keine digitale Strategie. Dabei geht es um die gesamte Wertschöpfungskette: von der Produkt-Entwicklung über Marketing und Kommunikation bis hin zum Service. Wer in der digitalen Transformation untergeht, zeigt die Studie „Digital Readiness Index“. Sie misst anhand 150 Kriterien den „digitalen Reifegrad“ und bewertet, wie erfolgreich Unternehmen den digitalen Transformationsprozess meistern, bzw. ob sie den Wandel überhaupt überleben. Laut DRI-Studie hinken Versicherungen im Branchenvergleich weit hinterher. Die Versicherungsbranche wird neben Gesundheit und Industrie als unterdurchschnittlich bewertet. Circa 25% der Versicherungen zählen zum unteren Drittel.

Was sollten Versicherungen tun?

Ziel der Digitalisierungsstrategie sollte sein, eine durchgängige Kundensicht zu erhalten – über alle Kanäle hinweg, also mit Social-Media-Integration im CRM-System. Weitere digitale Aufgaben liegen in der effizienten Verschlankung der internen Prozesse sowie im Aufbau eines digital kompetenten Kundenservice. Dazu gehört das Social-Media-Monitoring und -Marketing mit -Kommunikation. Zudem ist Reputationsmanagement wichtig, auch zur Früherkennung von Krisen im Internet wie Shitstorms u. Ä.

Versicherungen, die die digitalen Möglichkeiten nur als Risiken bewerten, verschenken viele Chancen. Die Veränderungsresistenz blockiert den Wandel. Für Marketing, Vertrieb und Kundenservices bieten digitale Lösungen Chancen zum Wachstum. Im Hinblick auf tragfähige Strategien für die Zukunft muss die Versicherungswirtschaft in Strategien, Konzepte, Fähigkeiten und Ressourcen investieren. Die Wirksamkeit der bisherigen Marketingansätze sollte geprüft werden. Neue Ansätze wie Customer Journey und Customer Experience, Touchpoint- und Content-Marketing sollten integriert werden.

Was ist denn gerade jetzt bei diesem Thema aktuell?

Die Digitalisierung erhöht die Bedeutung des Kundenservices. Service-Mitarbeiter müssen in der Lage sein, crossmediale Kundenbeziehungen aufzubauen. Sie müssen gut zuhören, gekonnt beraten und empathisch kommunizieren können. Service-Mitarbeiter müssen dafür geschult werden, Kunden entlang der gesamten Kundenreise hilfreiche Antworten zu geben – auch wenn es um Beratung oder Beschwerden geht. Dabei steht weniger die Effizienz im Vordergrund, sondern die Qualität der Kundenbeziehung. Es reicht also nicht aus, digitale Kanäle einzurichten. Vielmehr müssen alle Serviceprozesse geprüft werden und der Fokus auf nachhaltige Kundenbindung und positive Kundenerlebnisse (Customer Experience) gelegt werden.

Sind einige digitale Tools mehr Zeitfresser als Erleichterung?

Mit der digitalen Vernetzung hat sich eine Eigendynamik im Tempo entwickelt. Deshalb gilt es kritisch zu überprüfen, welche digitale Lösung wirklich zielführend ist. In Zeiten von Big Data und innovativen Technologien haben wir mehr Optionen, als wir nutzen können. Für den technischen Kontext gilt: Wir müssen lernen, gezielte Filter zu setzen und die Selektion durch Ausschlussverfahren zu begrenzen, um die Qualität im Ergebnis zu erhöhen. Für Menschen im gesunden Arbeitsumfeld gilt, auch mal „Nein“ sagen zu können und digitale Grenzen zu setzen, z. B. Offline-Zeiten im Team zu definieren und zu kommunizieren. Denn wir können nicht alle Gelegenheiten wahrnehmen, sondern müssen unsere Energie und Aufmerksamkeit konzentrieren. Wir sollten uns nicht der Technik unterordnen, vielmehr sollte die Technik unsere Ziele unterstützen. Die Menschen müssen die digitale Steuerung lernen.

Wie lohnenswert sind die Investitionen für Versicherungen in das Change Management zum digitalen Wandel?

Laut Accenture Studie 2013 könnte der Jahresabsatz von Sach-, Unfall- und Lebensversicherungen über digitale Kanäle in Europa bis 2016 auf bis zu 25 Mrd. Euro ansteigen. Dies entspricht mehr als einer Verdopplung des Niveaus von 2012 (12 Mrd. Euro). Demnach wird der Anteil digital vertriebener Policen von 11% in 2013 auf bis zu 18% des Neugeschäftsvolumens bis 2016 steigen. In meinen Kunden-Projekten bei Versicherungen und Banken stelle ich immer wieder fest: Nur wenn Unternehmen wie Banken und Versicherungen nachhaltige Beziehungen im digitalen Business aufbauen und positive Erlebnisse durch offene, glaubwürdige und transparente Echtzeit-Kommunikation zu ihren Stakeholdern schaffen, dann ergibt sich ein Return on Investment für Unternehmen. Mehr Infos gibt es in unserer Studie „Social Media für Versicherungen“. (sg)