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8. August 2023
Reiserücktritt vom Versicherer empfohlen: Muss er leisten?
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Reiserücktritt vom Versicherer empfohlen: Muss er leisten?

Die telefonische Stornoberatung eines Versicherers hat im Rahmen einer Reiserücktrittsversicherung der Versicherten empfohlen, die Reise zu stornieren, wollte dann jedoch die Stornokosten nicht tragen. Der Fall ging vor das Amtsgericht München.

Im Streit um Leistungen aus einem Reiserücktrittsversicherungsvertrag verurteilte das Amtsgericht München eine Versicherung zur Zahlung der für die Stornierung einer Pauschalreise angefallenen Kosten in Höhe von 1.128 Euro. Vorausgegangen war ein Telefonat mit der Stornoberatung des Versicherers, die der an Morbus Basedow erkrankten Versicherten empfohlen hatte, aufgrund eines kurz vor der Reise anstehenden Termins zu verschieben. Zahlen wollte der Versicherer die Stornokosten anschließend jedoch nicht.

Das Amtsgericht München hat im Februar 2023 zu dem Fall ein Urteil gefällt und dieses Ende Juli öffentlich gemacht.

Reiserücktrittsversicherung für Pauschalreise

Die Freundin der Klägerin hatte für sich und die Klägerin eine fünftägige Pauschalreise nach Ibiza für September 2021 zu einem Gesamtpreis von 1.410 Euro gebucht und bei der Beklagten für beide eine Reiserücktrittsversicherung abgeschlossen. In den Versicherungsbedingungen der Beklagten ist das „Service-Plus in der Stornokosten-Versicherung“ aufgelistet. Dieses beinhaltet eine telefonische Stornoberatung des Versicherers, die bei der Entscheidung unterstützen soll, ob und wann die Reise storniert werden solle, falls sie durch Krankheit, Unfall oder aus anderen Gründen gefährdet und man sich unsicher sei. Weiterhin wird vorgegeben, dass man verpflichtet sei, die Reise unverzüglich zu stornieren, wenn die medizinische Stornoberatung eingeschaltet wurde und diese empfiehlt, die Reise zu stornieren.

Die Klägerin leidet seit 2017 an Morbus Basedow. Kurz vor Reisebeginn war ein Knoten im Bereich der Schilddrüse festgestellt und als frühester Termin für die medizinische Abklärung der Tag vor der geplanten Abreise angeboten worden. Die Ärztin der von der Klägerin daraufhin in Anspruch genommenen medizinischen Stornoberatung der Beklagten riet telefonisch zur Stornierung der Reise, was beide umgehend taten. Die Beklagte verweigerte den von der Klägerin geltend gemachten Ersatz der Stornokosten und vertrat die Auffassung, die von ihr angebotene medizinische Stornoberatung würde nur in Bezug auf den Zeitpunkt der Stornierung beraten. Über die grundsätzliche Frage, ob überhaupt ein versichertes Ereignis vorläge, würde jedoch erst im Rahmen der Schadenbearbeitung befunden und entschieden.

Gericht urteilt im Sinne der Klägerin

Das Amtsgericht München ist jedoch der Meinung, dass die Klägerin Anspruch auf Erstattung der Stornokosten hat. Denn die Beklagte müsse sich nach dem Grundsatz des „venire contra factum proprium“ an dem festhalten lassen, was die Ärztin der medizinischen Stornoberatung der Klägerin in dem Telefongespräch geraten hat. Eine Partei dürfe zwar ihre Rechtsansicht ändern, missbräuchlich sei aber solch widersprüchliches Verhalten dann, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand entstanden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen.

Mit ihrer Beratung habe die Beklagte gegenüber der Klägerin einen solchen Vertrauenstatbestand geschaffen, nämlich dass die Stornierung der Reise den vertraglichen Voraussetzungen der Reiserücktrittsversicherung entspricht. Die Klägerin habe also darauf vertrauen können, dass die medizinische Stornoberatung nicht nur in Bezug auf den Zeitpunkt der Stornierung berät, sondern auch darüber, ob überhaupt ein Stornierungsgrund im Sinne einer unerwarteten schweren Erkrankung gegeben ist. Dies werde auch dadurch gestützt, dass es sich explizit um eine medizinische Stornoberatung handle, auf die bei Unsicherheit über das Eintreten des Versicherungsfalls von der Beklagten selbst verwiesen werde.

Wenn dagegen die medizinische Stornoberatung, wie von der Beklagten vorgetragen, keine Entscheidung darüber treffen kann, ob tatsächlich ein versichertes Ereignis vorliegt, dann müsse dies gegenüber dem Versicherungsnehmer in der Beratung offengelegt werden und auf das Risiko einer abweichenden späteren Entscheidung der Beklagten über den Eintritt des Versicherungsfalls hingewiesen werden. (mki)

AG München, Urteil vom 16.02.2023 – Az. 122 C 7243/22

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