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11. November 2016
Behandlungsfehler: Augenarzt muss kein Blindengeld erstatten

Behandlungsfehler: Augenarzt muss kein Blindengeld erstatten

Ein Augenarzt, der einem Patienten nach fehlerhafter Behandlung Schadenersatz schuldet, muss ein an den Patienten gezahltes Blindengeld nicht erstatten. Das hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden. Das Verfahren ist nun vor dem Bundesgerichtshof anhängig.

Im Streitfall hat sich der Patient in den Jahren 2006/2007 von dem beklagten Augenarzt wegen Augenschmerzen und Dunkelsehen behandeln lassen. Der Augenarzt diagnostizierte eine Bindehautentzündung, die er mit Augentropfen behandeln ließ. Eine weitere diagnostische Abklärung im Hinblick auf einen grünen Star unterblieb, obwohl die Beschwerden fortbestanden. Ende 2007 suchte der Patient eine andere Augenarztpraxis auf, in der ein fortgeschrittener grüner Star an beiden Augen diagnostiziert wurde. Trotz durchgeführter Operationen verlor der Patient seine Sehschärfe, erlitt eine Gesichtsfeldeinengung und ist heute so gut wie blind. Vom klagenden Landschaftsverband als Sozialhilfeträger bezieht er seit dem 01.01.2009 Blindengeld.

Haftpflichtversicherung springt ein

Ausgehend von einer grob fehlerhaften Behandlung durch den Beklagten regulierte dessen ärztliche Haftpflichtversicherung die Schadenersatzansprüche des Patienten mit einer Abfindung in Höhe von 475.000 Euro. Weiter verlangt der Landschaftsverband vom Beklagten die Erstattung des an den Patienten im Jahr 2009 gezahlten Blindengeldes in Höhe von ca. 30.000 Euro und die Feststellung, dass der Beklagte dem Kläger auch weitere Blindengeldzahlungen zu ersetzen hat. Aus Sicht des Sozialhilfeträgers habe gemäß § 116 Abs. 1 Sozialgesetzbuch X ein Forderungsübergang stattgefunden.

Keine Kongruenz zwischen Blindengeld und Schadenersatzanspruch

Die Klage ist vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamm erfolglos geblieben. Der in § 116 Abs. 1 Sozialgesetzbuch X geregelte gesetzliche Forderungsübergang setze – so das Gericht – eine sachliche Kongruenz zwischen der Ersatzpflicht des Schädigers und der Leistungsverpflichtung des Sozialhilfeträgers voraus, die nach der obergerichtlichen Rechtsprechung dann vorliege, wenn die Leistung des Sozialhilfeträgers und der vom Schädiger zu leistende Schadenersatz dem Ausgleich derselben Einbuße des Geschädigten dienten. Eine solche Kongruenz bestehe zwischen dem Blindengeld und dem Schadenersatzanspruch des Patienten, der auch den Ausgleich von durch die Erblindung entstandenen Mehraufwendungen umfasse, nicht. Das auf der Grundlage des nordrhein-westfälischen Gesetzes über die Hilfen für Blinde und Gehörlose gezahlte Blindengeld werde unabhängig von Einkommens- und Vermögensverhältnissen und auch von einer Erforderlichkeit aus Seiten des Blinden pauschal gezahlt. Das Gesetz solle Nachteile der Behinderung mildern, die Teilhabe am Leben der Gesellschaft ermöglichen und ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben erleichtern sowie die Pflegbedürftigkeit vermeiden oder zumindest vermindern. Es werde abstrakt berechnet und nehme für sich gar nicht in Anspruch, jeglichen Mehraufwand abzudecken. Beim zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch, auf den der gesetzliche Forderungsübergang anzuwenden sei, werde demgegenüber nach haftungsrechtlichen Gesichtspunkten allein auf den tatsächlich entstandenen blindheitsbedingt entstandenen Mehrbedarf abgestellt.

Keine doppelte Entschädigung

Im Falle eines Anspruchsübergangs würde der Blinde zudem schlechter gestellt, weil er vom Schädiger nur die über das gezahlte Blindengeld hinausgehenden Mehraufwendungen verlangen könne und Aufwendungen in dieser Höhe zunächst auch schlüssig darlegen müsse. Dass er auch nicht „doppelt“ entschädigt werde, regele das Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose dadurch, dass er sich gezahlte Entschädigungsleistungen wegen Mehraufwendungen auf das Blindengeld anrechnen lassen müsse. (kb)

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 09.09.2016, Az.: 26 U 14/16, nicht rechtskräftig, BGH, Az.: VI ZR 454/16