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3. Juni 2016
Beratungsdokumentation 2.0

Beratungsdokumentation 2.0

Wer zukünftig als Versicherungsvermittler zu einem Versicherungsanlageprodukt Beratungsleistungen erbringt, ist nach Maßgabe der neuen Versicherungsvertriebsrichtlinie verpflichtet, dem Kunden vor Vertragsabschluss eine umfangreiche Geeignetheitserklärung zur Verfügung zu stellen. Die Dokumentation der Beratung von Versicherungsanlageprodukten wird komplexer und die Versicherungsvermittler stehen vor neuen Herausforderungen.

Wer zukünftig als Versicherungsvermittler zu einem Versicherungsanlageprodukt Beratungsleistungen erbringt, ist nach Maßgabe der neuen Versicherungsvertriebsrichtlinie verpflichtet, dem Kunden vor Vertragsabschluss eine Geeignetheitserklärung zur Verfügung zu stellen, in der die erbrachte Beratungsleistung und die Art und Weise, in der diese den Präferenzen, Zielen und anderen kundenspezifischen Merkmalen entspricht, auf­geführt sind. Damit zeichnet sich ab, dass die Dokumentation der Beratung von Versicherungsanlageprodukten komplexer wird und die Versicherungsvermittler vor neue Herausforderungen stellt. Dabei bleibt es abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber diese europäische Vorgabe in deutsche Rechtsvorschriften umsetzen wird.

Unsicherheit bei Vermittlern

Auch neun Jahre nach der Einführung der Dokumentationspflicht für Versicherungsvermittler besteht bei den meisten Versicherungsvermittlern immer noch Unsicherheit darüber, wie eine „richtige“ Beratungsdokumentation auszusehen hat. Vermittler suchen zudem in der Regel „Muster“ oder „Vorlagen“, mit denen sie Haftung vermeiden oder ausschließen können. Diese Erwartungshaltung ist trügerisch und geht von einem falschen Grundverständnis aus. Wer als Vermittler einen Beratungsfehler begeht, kann ihn nicht per Beratungsdokumentation kaschieren. Im Gegenteil wird eine richtige und vollständige Beratungsdokumentation den Beratungsfehler schonungslos offenlegen. Umgekehrt führt eine fehlerhafte oder fehlende Beratungsdokumentation nicht automatisch zur Haftung des Vermittlers, weil durch eine fehlerhafte oder fehlende Beratungsdokumentation beim Kunden kein Schaden entstehen kann.

Vorgaben des Gesetzgebers

Die gesetzliche Vorgabe ist umständlich formuliert und enthält zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe. Gemäß § 61 Abs. 1 VVG hat der Versicherungsvermittler den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben und dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags zu dokumentieren. Strukturell enthält die Vorschrift vier Elemente: Befragung nach Wünschen und Bedürfnissen, Beratung, Angabe der Gründe für jeden Rat, Dokumentation. Danach muss jede Dokumentation die Elemente Befragung, Beratung, Angabe der Gründe für jeden Rat enthalten. Das ist nicht mehr als eine grobe Struktur oder Grobgliederung.

Umsetzung in der Praxis

Das Gesetz verhält sich aber nicht darüber, wie und was der Vermittler fragen, beraten und begründen muss. Dies ist von der individuellen Situation abhängig. Insoweit eröffnet sich dem Vermittler ein von fachlichen Kriterien begleiteter Ermessensspielraum, seine Befragung und Beratung der individuellen Situation anzupassen. Insoweit verbieten sich vorgefertigte Beratungsdokumentationen mit Kästchen zum Ankreuzen, die ebenso wenig Rückschlüsse auf die individuelle Beratung zulassen wie schlichte, aber inhaltsleere Dokumentationen, nach denen ein Versicherungsvertrag empfohlen worden sei, weil der Kunde ihn so gewollt habe oder er seinem Bedarf entspreche. Idealiter gibt die Beratungsdokumentation eine Beratung so wieder, dass sich ein Dritter einen Überblick über den Ablauf der Beratung verschaffen kann. Eine gute Beratungsdokumentation entlarvt aber wie dargestellt auch Be­ratungsfehler.

Jeder Vermittler muss deshalb dafür sorgen, dass seine Beratung kundengerecht und fehlerfrei erfolgt. Dann kann Haftung gar nicht erst entstehen. Zur Fehlervermeidung gehört es, dass der Vermittler nur Beratungen durchführt, für die er fachlich qualifiziert ist und die er inhaltlich beherrscht. Die Beratungsdokumentation sorgt dafür, die kundengerechte Beratung im Streitfall zu belegen. Macht ein Kunde einen Beratungsfehler geltend, kommt es gegebenenfalls zu einer gerichtlichen Überprüfung der Beratung. Das ist nicht unproblematisch, weil die Gerichte über einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt urteilen müssen bzw. können, in dem der Kunde einen wie auch immer ver­ursachten Schaden behauptet. Die Gerichte haben dann die Möglichkeit, die im Verfahren festgestellte Beratung des Versicherungsvermittlers an einer nach den Erkenntnissen des Gerichts „idealtypischen“ Beratung zu messen. Und im Nachhinein fällt es leichter zu erkennen, was man in der streitbefangenen Beratung möglicherweise besser gemacht hätte bzw. wie eine „richtige“ Beratung ausgesehen hätte. Es ist also für Versicherungsvermittler wichtig, dies zu antizipieren. Das bedeutet, die wesentlichen Beratungselemente im Vorfeld zu durchdenken und dabei die wichtigsten Punkte zu identifizieren, auf sie im Beratungsgespräch einzugehen und dies zu dokumentieren. Zu den wichtigsten Punkten zählen nach der Rechtsprechung auch die Aufklärung über Nachteile einer Umdeckung oder die Kosten einer Nettopolice im Stornofall. Mit der Dokumentation kann der Vermittler im Streitfall den vorgeworfenen Beratungsfehler widerlegen. Das ist die wesentliche Funktion der Beratungsdokumentation aus Vermittlersicht.

Beweislastumkehr

Ist eine Beratungsdokumentation nicht vollständig oder fehlt sie ganz, hat der Vermittler ein Haftungsproblem, auch wenn er keinen Beratungsfehler begangen hat. In einem aktuellen Urteil hat der BGH Ende letzten Jahres entschieden, dass die Nichtbeachtung der Dokumentationspflicht des Versicherungs­vermittlers zu Beweiserleichterungen des Versicherungsnehmers bis hin zu einer Beweislastumkehr führen kann. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt war zwischen den Parteien streitig und entscheidungserheblich, ob der beklagte Versicherungsvertreter den Kläger über die nachteiligen Folgen und Risiken der „Umdeckung“ einer bestehenden Lebensversicherung aufgeklärt hatte. Grundsätzlich müsse – so der BGH – der den Schadenersatz begehrende Versicherungsnehmer darlegen und beweisen, dass der Versicherungsvermittler seine Beratungspflicht verletzt habe. Allerdings treffe den Versicherungsvermittler eine sekundäre Darlegungslast. Insoweit sei erheblich, dass der beklagte Vertreter im vorliegenden Fall die Beratung nicht dokumentiert habe. Dies habe Auswirkungen auf die Beweislastverteilung. Die Nichtbeachtung der Dokumentationspflicht des Versicherungsvermittlers könne nämlich Beweiserleichterungen zugunsten des Versicherungsnehmers bis hin zu einer Beweislast­umkehr nach sich ziehen. Die Funktion der vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Dokumentationspflicht liege vornehmlich darin, dass der Versicherungsnehmer mit einer Beratungsdokumentation die wesentlichen Inhalte der Beratung vor Augen geführt und an die Hand bekomme. Hierdurch werde er in die Lage versetzt, seine Entscheidung des Näheren zu überprüfen und den ihm sonst kaum möglichen Nachweis über den Inhalt der Beratung zu führen. Werde ihm diese Nachweismöglichkeit durch das Fehlen einer Dokumentation abgeschnitten, so habe dies Auswirkungen auf die Verteilung der Beweislast. Sei ein erforderlicher Hinweis von wesentlicher Bedeutung wie im vorliegenden Fall nicht, auch nicht im Ansatz, dokumentiert worden, so müsse grundsätzlich der Versicherungsvermittler beweisen, dass dieser Hinweis erteilt worden sei. Gelinge ihm dieser Beweis nicht, so sei zugunsten des Versicherungsnehmers davon auszugehen, dass der betreffende Hinweis nicht erteilt worden sei, der Versicherungsvermittler mithin pflichtwidrig gehandelt habe.

Fazit

Es ist für Vermittler mehr als fahrlässig, auf die häufig als lästig empfundene Dokumentation ihrer Beratungsge­spräche zu verzichten, weil dadurch ihre Beweissituation im Streitfall wesentlich verschlechtert wird. Aber keine noch so gute Beratungsdokumentation kann einen Beratungsfehler ungeschehen machen.

Den Artikel lesen Sie auch in AssCompact 05/2016, Seite 110 f.

 

Leserkommentare

Comments

Gespeichert von Marco Meyer (511435) am 13. September 2016 - 10:07

Dokumentationspflicht - und wer bezahlt mir diesen Mehraufwand!?!