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03/2015
3. März 2015
Haftungsfalle: kein Versicherungsschutz durch Nachversicherer

Haftungsfalle: kein Versicherungsschutz durch Nachversicherer

Versichererwechsel sind für Vermittler mit einigen Risiken verbunden. Bei der Produkt- und Rückrufkosten-Haftpflichtversicherung sollten Vermittler insbesondere die soge­nannte „Vorumsatzklausel“ im Blick haben. Denn diese kann dazu führen, dass bei einem Wechsel eine Versicherungslücke entsteht.

Ein Quell von Missverständnissen ist beim Versichererwechsel die sogenannte „Vorumsatzklausel“, die gleichlautend in den üblichen Deckungskonzepten des Produkthaftungsmodells (1) wie auch der Rückrufversicherungen für Händler und Hersteller sowie für Kfz-Zulieferer (2) enthalten ist. Sie besagt, dass mangels besonderer Vereinbarung kein Versicherungsschutz besteht für Schäden durch Erzeugnisse, die vor Inkrafttreten des Versicherungsvertrages ausgeliefert wurden.

Beispielhafter Schadenfall

Ein Versicherungsnehmer stellt in der 30. bis 39. Kalenderwoche 2012 Drucksensoren her, die umgehend nach Lieferung in Sitzheizungen verbaut werden, die dann in den Monaten November 2012 bis Februar 2013 in Kraftfahrzeuge montiert werden. Diese Sensoren fallen mangelbedingt aus, ohne dass Personenschäden drohen. Aus Gewährleistungsgesichtspunkten tauscht der Kfz-Hersteller bei knapp 50.000 Fahrzeugen ausgefallene Sensoren (Feldaustausch) aus, und bei weiteren 260.000 Fahrzeugen werden die Sensoren der kritischen Produktionscharge nach Weisung des Kfz-Herstellers vom Oktober 2013 vorsorglich (Kundenaktion) ausgetauscht. Der Versicherungsnehmer unterhielt bis 31.12.2012 bei dem Versicherer A Versicherungsschutz und wechselte zum 01.01.2013 zum Versicherer B. Dem Sachverhalt liegt jeweils die Kfz-RR-Police auf Basis der unverbindlichen GDV-Empfehlung unter Einschluss von Vorfeldschäden und Schäden außerhalb der Gefahrenabwehr zugrunde.

Differenzierung zwischen ­Feldaustausch und Kundenaktion

Den Deckungskonzepten und dem implementierten Produkthaftungsmodell folgend ist zwischen Feldaustausch und Kundenaktion zu differenzieren, da Ersterer abweichend von Ziffer 8.2 der Kfz-RR-Police nicht auf den Rückruf bzw. die an dessen Stelle tretende innerbetriebliche Weisung des Kfz-Herstellers, sondern analog Ziffer 8.2 Produkthaftungsmodell auf den Verbau der Sensoren in den Sitzheizungen und dieser Sitzheizungen in den Kfz zu datieren ist. Somit wird man die Aufwendungen für den Feldaustausch grundsätzlich den beiden Verträgen von Vor- und Nachversicherer zuordnen, je nachdem, wann welche Weiterverarbeitung durch den Einbau erfolgte. Dabei ist der Schadenzeitpunkt für den Austausch der Sitzheizungen deren Einbau in die Kfz (Differenzierung nach Produktionszahlen zwischen Versicherer A und Versicherer B), für den Austausch der Drucksensoren aus den Sitzheizungen deren Bestückung mit den Drucksensoren (Versicherer A). Versicherer A treffen also aus dem Feldaustausch die Aufwendungen für den Austausch der Drucksensoren aus den Sitzheizungen sowie teilweise der Sitzheizungen aus den Kfz, soweit dieser Einbau vor dem 31.12.2012 datiert, die übrigen Aufwendungen wären Versicherer B zuzuordnen.

Vorsicht Versicherungslücke

Allerdings wird der Nachversicherer B bezüglich der auf seinen Versicherungszeitraum entfallenden Aufwendungen für den Austausch der Sitzheizungen aus den Kfz teilweise wie der Drucksensoren aus den Sitzheizungen vollständig einwenden, dass die Schäden durch Erzeugnisse (hier: Produkte Dritter, die Erzeugnisse des VN enthalten) verursacht sind, die vor Inkrafttreten seines Vertrages ausgeliefert waren.

Für die Kundenaktion, die einem Rückruf gemäß Ziffer 8.1 der Kfz-RR-Police gleichgestellt ist, ist Schadenzeitpunkt die innerbetriebliche Weisung im Oktober 2013. Sie ist also während der Wirksamkeit der Versicherung mit dem Versicherer B zu datieren. Versicherer A ist davon somit nicht betroffen. Allerdings wird sich Versicherer B auch hier auf den Ausschluss aller Kosten berufen, da diese durch am 31.12.2012 schon ausgelieferte Erzeugnisse des Versicherungsnehmers verursacht sind (Ziffer 12 Abs. 2 Kfz-RR-Police). Dieser Einwand würde gleichermaßen erhoben werden, wenn für Feldaktion oder Kundenaktion Deckungsschutz nach dem Produkthaftungsmodell bestünde (etwa nach Streichung des Ausschlusses von Kfz-Zulieferung in Ziffer 4.4.4.2 Produkthaftungsmodell). Da allerdings kein Austausch zur Meidung nicht anders beherrschbarer Risiken von Personenschäden erfolgt ist, greift der Rückrufausschluss (Ziffer 6.2.8 Produkthaftungsmodell) nicht.

Im Ergebnis hat also der Kunde keinen Versicherungsschutz durch den Nachversicherer, auch wenn sich die Schadenfälle nach landläufigem Verständnis wie nach den Definitionen des Schadenereignisses während dessen Versicherungszeit ereignet haben. Es liegt hier also eine markante Versicherungslücke vor. Auf die damit verbundenen Risiken eines Versichererwechsels muss der Versicherungsnehmer hingewiesen werden.

 kein Versicherungsschutz durch Nachversicherer

Haftungsfalle für Vermittler

Zwar ist die gängige Klausel der AVB BHV in A3–11.2 unter Gesichtspunkten der Transparenz nicht unproblematisch: Sie steht eindeutig und ausschließlich im Zusammenhang mit der fakultativen Deckungserweiterung für das erweiterte Produktrisiko nach AVB BHV A3–7, also für bestimmte Vermögensschäden aus dem Erfüllungsbereich. Dennoch ist die Klausel nicht dort geregelt, sondern erst deutlich später und ohne inhaltlichen Zusammenhang mit den übrigen Regelungen zum erweiterten Produktrisiko. Sie ist damit möglicherweise „versteckt“ und – weil daher intransparent – unwirksam gemäß § 305c Abs. 2 BGB. Diese Unwirksamkeit wird sich aber bei Vermittlern nicht unbedingt zugunsten des Kunden auswirken, da die Hinweispflicht auf diese versteckte Deckungslücke und abweichende Gestaltungsmöglichkeiten den Vermittler und nicht primär den Versicherer trifft. Dies gilt umso mehr, als zahlreiche Versicherer auch standardmäßig rückwirkende Deckungserweiterungen für bislang unbekannte Schadenfälle anbieten, wenn die Umsätze binnen einer bestimmten Anzahl von Jahren vor dem Versicherungsbeginn datieren.

1 Ziffer 7.1 Abs. 2 Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Produkthaftpflichtversicherung von Industrie- und Handelsbetrieben (Produkthaftpflicht-Modell – ProdH-Modell); A3–11.2 Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Betriebshaftpflichtversicherung (AVB BHV).

2 Ziffer 10 Abs. 2 Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Rückrufkosten-Haftpflichtversicherung für Hersteller- und Handelsbetriebe; Ziffer 12 Abs. 2 Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Rückrufkosten-Haftpflichtversicherung für Kfz-Zulieferer (Kfz-RR-Police).

 
Ein Artikel von
Alexander Kuhn