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2. Juli 2021
Pflichtteilsansprüche im Erbrecht und deren Vermeidung

Pflichtteilsansprüche im Erbrecht und deren Vermeidung

Im Rahmen der Ruhestandsplanung stoßen Versicherungsmakler auch immer wieder auf das Thema Erben und Vererben. Regelmäßig tauchen Fragen zu Pflichtteilsansprüchen auf. Was es dazu und zur Vermeidung solcher Pflichtteilsansprüche zu wissen gibt, erklärt Rechtsanwalt Stefan Skulesch.

Das Pflichtteilsrecht ist in erster Linie eine Besonderheit des romanischen Rechts, während dem anglo-amerikanischen Recht (mit Ausnahme einzelner US-Bundesstaaten wie zum Beispiel Louisiana) diese Einschränkung der Testierfreiheit fremd ist. Im deutschen Erbrecht ist durch das Pflichtteilsrecht sichergestellt, dass engste Angehörige wie Kinder (eheliche wie uneheliche) und Ehegatten im Erbfall nicht vom Vermögen des Erblassers ausgeschlossen sein können, sondern dass ihnen – quasi wie durch ein „Noterberecht“ – eine Mindestbeteiligung am Erbe garantiert wird.

Vom Erbe ausgeschlossene Pflichtteilsberechtigte werden zwar nicht mehr Teil einer Erbengemeinschaft, jedoch steht ihnen in Höhe der Hälfte ihrer gesetzlichen Erbquote ein Pflichtteilsanspruch zu. Plant beispielsweise ein Ehepaar im Güterstand der Zugewinngemeinschaft eines von zwei Kindern von der Erbfolge auszuschließen, so wäre das enterbte Kind nach dem ersten Erbfall berechtigt, ein Achtel des Nachlasswertes gegenüber der Erbengemeinschaft einzufordern, sowie nach dem Tod des überlebenden Ehegatten sogar ein Viertel.

Die testamentarische Zuweisung einer Erbquote unterhalb der Pflichtteilsquote hilft hier nicht weiter, da der Pflichtteilsberechtigte die Aufstockung seiner Quote im Wege eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs bis zum Erreichen der Pflichtteilsquote geltend machen könnte.

Ein Entzug des Pflichtteils im Rahmen einer letztwilligen Verfügung ist nur in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich und setzt ein massives Fehlverhalten des Pflichtteilsberechtigten voraus. Hierzu zählen beispielsweise das Trachten nach dem Leben des Erblassers oder die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, die es dem Erblasser unmöglich macht, den Pflichtteilsberechtigten am Nachlass teilhaben zu lassen.

Berliner Testament

Auch wenn die Möglichkeiten des Pflichtteilsentzugs untergeordnet sind, kann doch seitens eines Erblassers das Bedürfnis bestehen, den Erben oder die Erbengemeinschaft keinen Pflichtteilsansprüchen auszusetzen. Dies ist insbesondere der Fall bei sog. Patchwork-Konstellationen oder beim sog. „Berliner Testament“, bei dem sich Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben und die gemeinsamen Abkömmlinge zu Schlusserben nach dem Längerlebenden einsetzen.

In beiden Konstellationen dominiert regelmäßig der Wunsch, den überlebenden Ehegatten abzusichern und durch die Zuwendung des Nachlasses zu versorgen. Diese Lösung führt jedoch immer zu einer De-facto-Enterbung der direkten ehelichen und außerehelichen Abkömmlinge. Abhängig von der persönlichen Beziehung zwischen Erblasser- und Erbengeneration kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der überlebende Ehegatte Pflichtteilsansprüchen ausgesetzt ist, was vor allem beim Vorhandensein von einseitigen Kindern des Erblassers droht.

Einen Minimalschutz ermöglicht in solchen Fällen eine Pflichtteilsstrafklausel der Ehegatten im gemein­schaftlichen Testament. Diese sieht vor, dass im Falle der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen der Berechtigte auch nach dem Tod des Längerlebenden höchstens auf den Pflichtteil verwiesen wird. Dies kann insbesondere in Patchwork-Konstellationen bei einseitigen Kindern ein sehr scharfes Schwert darstellen, da mangels Pflichtteilsberechtigung nach dem Tod eines nicht-leiblichen Elternteils die komplette Enterbung droht. In solchen Fällen kann eine Teilhabe der einseitigen Kinder des Erstversterbenden am Nachlass des Stiefelternteils (entweder über eine Erbeinsetzung oder ein Quotenvermächtnis) ein verlockendes Angebot darstellen, auf die Geltendmachung des Pflichtteils zu verzichten.

Notarieller Pflichtteilsverzicht

Ein höheres Maß an Sicherheit kann durch einen notariellen Pflichtteilsverzicht des Berechtigten noch zu Lebzeiten des Erblassers erreicht werden. Der Pflichtteilsverzicht erfolgt in diesen Fällen in der Regel gegen Gewährung einer entsprechenden Gegenleistung. Zeigt sich der Pflichtteilsberechtigte jedoch nicht kooperativ, muss über Alternativen nachgedacht werden.

Lebzeitige Zuwendungen

Gerade bei Patchwork-Konstellationen könnte erwogen werden, dass der leibliche Elternteil des außerehelichen Kindes sein potenzielles Nachlassvermögen, das die Bemessungsgrundlage für den Pflichtteilsanspruch darstellt, durch lebzeitige Zuwendungen schmälert. Hier ist jedoch auf zwei Dinge besonders zu achten:

Erstens sind lebzeitige unentgeltliche Zuwendungen, die innerhalb von zehn Jahren vor dem Erbfall erfolgen, dem Nachlassvermögen zuzurechnen, sodass die Bemessungsgrundlage für die Pflichtteilsberechnung nicht mit letzter Sicherheit reduziert werden kann. Für eine gewisse Erleichterung aufseiten des Erblassers kann aber hier sorgen, dass sich der hinzuzurechnende Zuwendungsbetrag jährlich um ein Zehntel reduziert. Verstirbt der Erblasser also zum Beispiel acht Jahre nach der Zuwendung, sind nur noch zwei Zehntel der Zuwendung bei der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen.

Zweitens kann die Zehnjahresabschmelzung nicht bei Zuwendungen an den Ehegatten zur Anwendung kommen. In diesen Fällen beginnt die Zehnjahresfrist erst mit Beendigung der Ehe, was im Falle des Todes des Ehegatten dazu führt, dass selbst Zuwendungen, die deutlich länger als zehn Jahre vor dem Tod des Zuwendenden vorgenommen wurden, ungeschmälert in die Berechnungsgrundlage des Pflichtteils einfließen. Dieser Nachteil lässt sich aber durch eine sogenannte Güterstandschaukel beheben, deren rechtliche Zulässigkeit von den Zivil- und Finanzgerichten in der Vergangenheit bereits mehrfach bestätigt wurde. Dabei wechseln die Ehepartner kurzfristig von der Zugewinngemeinschaft in die Gütertrennung und im Anschluss wieder zurück in die Zugewinn­gemeinschaft. Rechtsfolge ist, dass der Ehepartner mit dem niedrigeren Zugewinn einen Ausgleichs­anspruch gegenüber dem anderen Ehegatten erhält. Diese Forderung stellt einen gesetzlichen Anspruch dar, sodass dessen Erfüllung nicht als unentgeltliche Zuwendung zu qualifizieren ist. Daher kann in diesen Fällen auch durch eine Vermögensverschiebung zwischen den Ehegatten eine Reduzierung der Pflichtteilsbemessungsgrundlage erreicht werden.

Zusätzliche Alternativen

Daneben bestehen noch weitere Möglichkeiten, um die Bemessungsgrundlage für einen Pflichtteils­anspruch zu reduzieren. Gängige Mittel sind die Nutzung von Lebensversicherungen, wobei auf die unwiderrufliche Einräumung des Bezugsrechts zu achten ist, oder in eingeschränktem Maße gesellschaftsrechtliche Strukturierungen. Bei besonders problematischen familiären Konstellationen ist auch eine Volljährigenadoption kein ungewöhnliches Mittel, um die gesetzliche Erbquote des Pflichtteilsberechtigten zu verwässern.

Fazit

Jedoch gilt für die Fälle der Pflichtteilsvermeidung und -reduzierung das Gleiche wie für den Bereich der Nachfolgeplanung insgesamt: Eine frühzeitige Planung zu Lebzeiten ist unabdingbar, um unerwünschte Streitigkeiten und unerfreuliche finanzielle Folgen nach dem Tod des Erblassers zu vermeiden.

Über den Autor

Stefan Skulesch ist Rechtsanwalt, Notar, Steuerberater und Partner der SKW Schwarz Rechtsanwälte Steuerberater Wirtschaftsprüfer Partnerschaft mbB

Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 06/2021 und in unserem ePaper.

Bild oben: © Stockfotos-MG – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Stefan Skulesch