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4. Dezember 2023
Sustainable Finance: Dirigismus hat Priorität

Sustainable Finance: Dirigismus hat Priorität

Sustainable Finance hält zunehmend in Form von Regulierung Einzug in die Finanzwelt. Doch statt auf belastbaren Belegen basiert die Regulierung auf dem „Prinzip Hoffnung“. Noch dazu untergräbt sie marktwirtschaftliche Innovationsprozesse. Eine kritische Zwischenbilanz.

Ein Marktkommentar von Prof. (em.) Dr. Henry Schäfer, Universität Stuttgart

Aus den Empfehlungen des Ende 2017 vorgelegten Schlussberichts der High Level Expert Group on Sustainable Finance der Europäischen Kommission ging 2018 der EU-Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums hervor, der in der Europäischen Union (EU) eine Regulierungswelle entwickelte, die historisch ihresgleichen sucht. Die daraufhin bis heute folgenden Direktiven und Verordnungen haben Akronyme wie CSRD, SFDR, GAR, PAI etc. Einzug in die Finanzwelt halten lassen.

Neben der Taxonomie verkörpern diese Regulierungen massive Einschnitte nicht nur in die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit von Finanzinstituten, sondern strahlen in viele Wirtschafts- und Lebensbereiche in der EU aus und verursachen stetig wachsende Kosten für Datengewinnung, Reporting etc. bei Unternehmen sowohl im Real- als auch Finanzsektor. Das ganze Ausmaß dieser „Governance Costs“ ist in Anbetracht angekündigter, aber noch ausstehender Regulierungen und der (schwebenden) Sozialtaxonomie bislang nicht absehbar. Mittlerweile treten vor allem für mittlere Unternehmen und Finanzinstitute die betriebswirtschaftlichen Belastungen nicht nur der EU-Regulierungen, sondern zusätzlich auch die sie begleitenden finanz- und bankenaufsichtsrechtlichen Vorgaben und Gesetze immer deutlicher zu Tage.

Impact basiert auf „Prinzip Hoffnung“

Es ist in Anbetracht der ersten Erfahrungen mit diesen Regulierungen zu fragen, ob der dadurch verursachte Aufwand durch die Erreichung der gesteckten politischen Ziele gerechtfertigt ist. Entgegen zahlreicher Behauptungen und Darstellungen von EU-Kommission und -Parlament, zahlreichen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und einigen Wissenschaftlern ist längst nicht gesichert, dass die von der Regulierungsseite bedienten Hebel in der Banken- und Finanzwelt wie Taxonomie, CSRD u. a. eine zielgerichtete, wirkungsvolle und dauerhafte Änderung von Konsum und Investition, ja des gesamten wirtschaftlichen Verhaltens hin zu mehr Nachhaltigkeit bewirken.

Der sogenannte Impact, auf den die Strategien und Maßnahmen von EU-Kommission und -Parlament gründen, basiert immer noch mehr auf dem Prinzip „Hoffnung“ denn auf belastbaren empirischen Belegen. Der Glaube an den Finanz-Impact verhindert zudem, dass effektivere und effizientere wirtschaftspolitische Instrumente wie die Besteuerung von nicht-nachhaltigem Verhalten und vor allem der marktbasierte CO2-Emissionshandel wirtschaftspolitisch priorisiert werden.

Private Haushalte halten sich mit grünen Investments zurück

Mangelnder Impact der Regulierung wird begleitet von mangelndem Vertrauen in Wirtschaft und Gesellschaft gegenüber Sustainable Finance. Nicht zu übersehen ist dies vor allem bei Privathaushalten. Nach wie vor ist hier eine geringe Bereitschaft festzustellen, ökologische und soziale Ziele sowie gute Unternehmensführung in persönlichen Finanzdispositionen zu berücksichtigen.

So hat beispielsweise eine aktuelle Studie der Assekurata festgestellt, dass das Interesse von Privatpersonen an Nachhaltigkeit bei Versicherungen und Finanzen immer mehr abnimmt. Die Zurückhaltung in Sachen Sustainable Finance wird durch zahlreiche andere Marktforschungsstudien seit Längerem und wiederholt zu Tage gefördert. Nachhaltigkeit im privaten Bereich gerade in Zeiten hoher Inflation, politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen sowie wachsender Unsicherheiten in vielen Lebenslagen scheint Menschen mehr zu beschäftigen als die unbestimmte Möglichkeit, mit ihren Versicherungsverträgen und Ersparnissen Umwelt- und Sozialzielen zu dienen.

Kein Wunder, dass die durch die jüngste MifID II-Novelle in der EU vorgeschriebene Nachhaltigkeitsberatung das Interesse an „grünen“ Finanz- und Versicherungsprodukten kaum erhöhen konnte. Dazu beigetragen haben dürften auch die Greenwashing-Vorfälle, die Umklassifizierungen von SFDR-Artikel 9– in Artikel 8-Investmentfonds und das Beharrungsvermögen von Artikel 6-Investmentfonds, denen die European Securities and Market Authority in ihrem jüngsten EU-Gutachten einen Hang zu „Greenbleaching“ oder „Green Hushing“ unterstellt. Letztgenannte Investmentfonds zeichnet aus, dass sie zwar eine nachhaltige Anlagepolitik praktizieren, diese aber nicht nach außen kenntlich machen, wohl um Regulierungsauflagen nach Artikel 8 oder 9 oder rechtliche Risiken zu vermeiden.

Regulierung untergräbt Innovationsprozesse

Abseits der zahlreichen operativen Hürden im täglichen Bankgeschäft bedroht vor allem die EU-Taxonomie-Verordnung viele Kapitalgeber und -nehmer in ihren individuellen Entscheidungsfreiheiten zu bestimmen, welche Wertschöpfung und welche Produkte sie individuell als nachhaltig erachten. Damit untergraben wird auch der wichtige Innovationsprozess zum Aufspüren von für die Transformation so zentralen neuen, oftmals sogenannten disruptiven Technologien. Stattdessen wird mittels der Taxonomie und der EU-Finanzwelt immer mehr staatlich bestimmt, was als „grün“, also ethisch gut gilt und (im Umkehrschluss) welches Wirtschaften und Konsumieren „braun“ ist. Da Nachhaltigkeit aber im Kern ein ethisches Konzept ist, steht gerade die Taxonomie im Geruch einer politisierten Deutungshoheit von Ethik. Seitens der Kommission wird dies gerne zurückgewiesen, indem auf eine „neutrale Objektivierung“ ihrer Maßnahmen durch wissenschaftliche Begleitung verwiesen wird. Ein großes Missverständnis: Ethik unterliegt dem persönlichen und gesellschaftlichen Diskurs und nicht wissenschaftlicher Bevormundung.

Wirtschaftspolitischer Dirigismus hat Priorität

Mehr ökonomischer Sachverstand und ein regulatorisches „Abrüsten“ wäre in den politisch auf EU- und nationaler Ebene gewollten Maßnahmen für die Green Economy zu wünschen – auch weil mit den Regulierungen zu Sustainable Finance immer mehr „ordnungspolitische Schleifspuren“ sichtbar werden. Vorhandene, wirkungsvollere wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Erreichung von Klimaschutz- und Nachhaltigkeitszielen werden bislang in der EU immer noch vernachlässigt.

Priorisiert wird nach wie vor ein wirtschaftspolitischer Dirigismus mit Fokus auf den Finanzsektor. Ein oft juristisch geprägtes Verständnis von Wirtschafts- und Nachhaltigkeitspolitik in nationalen und im EU-Parlament, das massive Lobbying von NGOs, aber auch neue Marktpotenziale für Dienstleister wie Wirtschaftsprüfer, Berater, Medienhäuser, Ratingagenturen etc. durch die komplexen und vielfach widersprüchlichen Sustainable-Finance-Regulierungen der EU-Kommission haben eine von Versicherungs- und Finanzinstituten viel beklagte staatlich verordnete Nachhaltigkeit-Unordnung geschaffen.

„Regulierungswut“ der EU-Kommission und wachsende Geschäfts- und Ertragsmöglichkeiten auf Sustainable Finance spezialisierter Dienstleister gehen dabei faktisch Hand in Hand. Es steht zu erwarten, dass dies ein zunehmendes Beharrungsvermögen der Regulierungswelle in Sustainable Finance in der EU begünstigen dürfte. Derweil laufen klimatische und geopolitische Bedrohungen aus dem Ruder – ganz ohne irgendeinen Impact von Sustainable Finance der EU.

Bild: © Prof. Dr. Henry Schäfer