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12. April 2024
„Am Ende zählt: ‚Produktwahrheit, Produktklarheit‘“

„Am Ende zählt: ‚Produktwahrheit, Produktklarheit‘“

ESG, SRI, PAB ... was ist wirklich nachhaltig? Wie vermeidet man nicht nur Greenwashing, sondern erzielt mit seinen Investitionen auch eine tatsächlich nachhaltige Wirkung? Niklas Krämer, selbst Anlageberater und 2023 auch Teilnehmer des Jungmakler Awards, hat sich auf genau diese Fragen spezialisiert.

Interview mit Niklas Krämer, Partner bei WertWende und Gründer von Finance 4Future
Niklas, du hast dich mit Finance 4Future und auch mit deinem Engagement bei WertWende der nachhaltigen Anlageberatung verschrieben. Was genau sind da deine Schwerpunkte und deine Ziele?

Mein Ziel ist, dass das Thema der persönlichen Finanzen von jedem als der Hebel erkannt wird, der es ist. Ob bei unserer eigenen Geldanlage oder Versicherungen – mit der Wahl unserer Finanzprodukte haben wir eine Wirkung auf die Welt und die Gesellschaft.

Dafür sensibilisiere ich in meiner Beratung, versuche aber auch, mich darüber hinaus zu multiplizieren: durch den Finance-4Future-Podcast, Vorträge an Universitäten und Schulen und für Finanzberatende zur Weiterbildung. Bei unserer Beratungsfirma WertWende verantworte ich den Aktienteil unserer Anlagestrategien und das Nachhaltigkeitsreporting.

Einfach in nachhaltig gebrandete, „grüne“ Fonds zu investieren, reicht deiner Meinung nach nicht. Warum?

Im Bereich Nachhaltigkeit gibt es für mich zwei grundlegende Dimensionen: Das Exposure zu Kontroversen und die (positive) Wirkung durch das Investment. Beides sind berechtigte Perspektiven. Aber es sollte Anleger:innen bewusst sein, dass es diese voneinander unterschiedlichen Perspektiven gibt. Es ist sehr wohl möglich, ohne eine tatsächliche Wirkung „dunkelgrün“ zu investieren. Im Gegenteil ist es sogar möglich, „braun“ zu investieren mit einer positiven Wirkung. Beispiel hierfür sind Aktionärsinitiativen bei Unternehmen wie dem Ölkonzern Exxon – so schaffte es der amerikanische Anbieter „Engine No. 1“ im Jahr 2020, drei Plätze im Aufsichtsrat neu zu besetzen, damit sich das Unternehmen besser gegen Klimarisiken wappnet.

Insgesamt würde ich sagen, dass der Aspekt der Aktionärsrechte und Stimmrechtsnutzung absolut vernachlässigt wird. Vielen Anlegenden und Anlageberatern ist nicht bewusst, dass sie bei der Wahl von Fonds und ETFs von BlackRock/iShares, Vanguard oder Dimensional ihre Stimmrechte an Institutionen übertragen, die diese, wie in Studien belegt, gegen Klimaschutz und Menschenrechte nutzen.

Siehst du Nachhaltigkeits- bzw. ESG-Ratings folglich eher kritisch?

Ratings sind gut, sofern sie als Datengrundlage verstanden werden, nicht als fertige Filter, nach denen man gedankenlos Entscheidungen treffen kann. Hier ist es genauso wie mit klassischen finanziellen Ratings. Kein kompetenter Anlageberater würde einen Fonds ausschließlich anhand eines Morningstar-­Ratings auswählen.

Leider beziehen sich die meisten Nachhaltigkeitsratings auf die erste der beiden vorhin genannten Dimensionen – das Exposure zu Kontroversen. Die Wirkung von nachhaltigen Geldanlagen ist auch weniger greifbar und selbst in der Forschung noch diskutiert. Nichtsdestotrotz gibt es dort Grundlagen, auf denen ein kompetenter Berater für nachhaltige Geldanlagen aufbauen sollte.

Vor allem aber gilt es das wohl größte Missverständnis in diesem Themenfeld zu vermeiden: Der Begriff „ESG“ bezeichnet einen Risikomanagement-Ansatz, in dem es im Wesentlichen um die Auswirkungen von Nachhaltigkeitsthemen auf die finanzielle Performance eines Unternehmens geht, nicht darum, wie grün ein Unternehmen ist.

Wie stellst du dann sicher, dass die Anlagen, die du vermittelst, auch wirklich nachhaltig sind?

Am Ende zählt der Grundsatz „Produktwahrheit, Produktklarheit“. Anleger:innen müssen verstehen, worin sie eigentlich investieren. Dazu nutze ich diverse Quellen. Zur Stimmrechtnutzung kann ich die jährlich aktualisierte Studie „Voting Matters“ der britischen NGO „ShareAction“ empfehlen. Dort werden zumindest die 69 größten Vermögensverwalter der Welt anhand ihrer Stimmrechtsnutzung zu Nachhaltigkeitsthemen ausgewertet.

Darüber hinaus bin ich mit Fondsgesellschaften direkt im Kontakt – mindestens einmal im Jahr, wenn ich im April/Mai den „Investor Impact-Report“ für die Anleger:innen unserer wirkungsorientierten Anlagestrategie schreibe. Da lasse ich einen Datenerhebungsbogen ausfüllen, in dem ich die theoretischen Grundlagen für die Wirkung unserer Strategie mit Daten aus der Praxis füllen lasse. Wer das genauer sehen möchte, kann diesen Report kostenfrei auf der WertWende-Website abrufen.

Da ist die Frage nach dem „Greenwashing“ nicht weit. Viele Fondsgesellschaften, aber auch Berater klagen über unklare Standards und Definitionen beim Thema Nachhaltigkeit. Wie siehst du das?

Gibt es denn in der finanziellen Perspektive klare Standards? In meinen Augen ist die Aufgabe der Regulatorik lediglich, Transparenz sicherzustellen. Wird die Taxonomie eines Tages tatsächlich mit den realwirtschaftlichen Daten befüllt, sind Taxonomie-Quoten sicher großartige Informationen. Aber es gibt auch jetzt schon zahlreiche Informationen wie die bereits erwähnte Studie zur Stimmrechtsnutzung.

Zu Beratern würde ich sagen: Arbeiten Sie mit dem, was Sie haben. Der Ecoreporter bietet eine super Weiterbildung, wenn man sich dazu schulen lassen möchte. Ansonsten kann man natürlich auch in den Finance-4Future-Podcast reinhören. Wir als WertWende überlegen sogar, auch einen Kurs zu entwickeln – aus der Praxis für die Praxis.

Kann man denn auch bei der Anlage in ETFs eine nachhaltige Wirkung erzielen? Haben hier nicht die Fondsanbieter, also BlackRock, Vanguard und Co. die Stimmrechte in den Unternehmen?

Natürlich und ja, bei der Wahl eines Fonds wandert das eigene Stimmrecht an den Fondsanbieter. Aber warum nicht einfach die Fondsanbieter wählen, die die Stimmrechte nachweislich positiv nutzen? BlackRock hat in 2023 in 92% aller Fälle der untersuchten Stichproben im Voting-Matters-­Report von ShareAction gegen Nachhaltigkeit gestimmt; Vanguard sogar in 97 % aller Fälle. Für mich ist das ein klares Kriterium zum Ausschluss dieser Gesellschaften. Im Gegensatz dazu nutzen z. B. Amundi und BNP Paribas ihre Stimmrechte sehr positiv – und bieten ja oft die gleichen Anlageprodukte an.

Direkt gefragt: Unterscheidet sich eine Anlageauswahl anhand deiner Kriterien auch wirklich von denen, die sich an ESG-Siegeln orientieren?

Absolut. Ein ESG-Siegel gibt es in der Form ja nicht. Wer z. B. ein maximales ESG-Rating von 30 nach dem Rating von MSCI in seinem Anlageprodukt fordert, kann leicht bei einem Fonds von BlackRock landen, der in den Ölkonzern TotalEnergies investiert (ESG-Score 27,1/100, Stand 10.02.2024).

Wer sich am geläufigen FNG-Siegel orientiert, dem wird zumindest das nicht passieren. Aber auch dort plädiere ich dafür, das Siegel nicht als finale Entscheidungsmetrik zu nutzen, sondern auch in die umfassenderen FNG-Nachhaltigkeitsprofile hineinzuschauen. Dort ist Stimmrechtnutzung rudimentär ebenfalls ein Teil.

Gibt es für dich als Berater im Bereich Impact Investing besondere Pflichten?

Im Endeffekt verspreche und verkaufe ich neben finanzieller Rendite noch eine positive Wirkung der Geldanlage. Damit geht einher, dass ich ehrlich und seriös bleiben muss. Nicht jede Aktionärsinitiative wird direkten Erfolg haben – und wenn, ist der schwierig zu erfassen, erst recht quantitativ.

Ebenso muss ich sicherstellen, dass unsere Anlageempfehlungen dauerhaft unseren Ansprüchen gerecht werden. Das Angebot nachhaltiger Anlagemöglichkeiten wächst stark. Da wir unsere Anlagestrategien nach moderner Portfolio-Theorie aufbauen, arbeiten wir in manchen Segmenten auch mit unperfekten Lösungen – gerade wenn wir im Rentenversicherungsmantel eingeschränkte Fonds­auswahl haben. Um diese laufende Pflege sicherstellen zu können, arbeiten wir mit Musterportfolios, die wir zentral für alle investierten Mandant:innen pflegen können.

Nachhaltigkeit ist ein komplexes Feld. Würdest du mit deinem jetzigen Wissen in deiner bisherigen Laufbahn etwas anders machen?

1. Gar nicht erst Fonds von Anbietern wie den oben genannten anfassen, die ihre Stimmrechte so destruktiv einsetzen. Gerade von Dimensional habe ich anfänglich viel gehalten aufgrund ihres empirisch fundierten Ansatzes mit Value- und Small-Cap-Prämien.

2. Keinen Alleingang machen. Entweder direkt die Weiterbildung zum Eco-Anlageberater vom Ecoreporter machen, die ich anfangs gar nicht kannte, oder mich von Anfang an in meiner täglichen Arbeit mit entsprechender Kompetenz umgeben. Leider kann ich die Beratungsfirmen und Solo-Beratenden, die das bieten, an einer Hand abzählen. Wir von der WertWende freuen uns natürlich über Zuwachs, ansonsten kann ich auch den Verein Ökofinanz-21 empfehlen. Dort kommen zweimal im Jahr unabhängige Beratende zusammen, um sich auszutauschen und Erfahrungen zu teilen.

Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 04/2024 und in unserem ePaper.

Bild: © Niklas Krämer, Finance 4Future

 
Ein Interview mit
Niklas Krämer