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5. Dezember 2019
„Digitalisierung muss auf einer ‚Sendung mit der Maus‘-Ebene vermittelt werden“

„Digitalisierung muss auf einer ‚Sendung mit der Maus‘-Ebene vermittelt werden“

Digitale Produktwelten sind aus Märkten und Branchen nicht mehr wegzudenken. Doch die digitale Fitness von Unternehmern, Führungskräften und Belegschaften hinkt häufig hinterher. Um Wissenslücken zu füllen und ein entsprechendes Mindset aufzubauen, bietet digitransform.de einen digitalen Führerschein an. Interview mit Christoph Bubmann, Geschäftsführender Gesellschafter der digitransform.de Gesellschaft für digitale Transformation mbH.

Herr Bubmann, wie sieht es mit der digitalen Fitness in deutschen Unternehmen aus?

Wir erleben branchenübergreifend immer wieder das gleiche Phänomen: Durchaus konkurrenzfähige digitale Produktwelten, aber unzureichende digitale Fitness in der Breite der Belegschaft. Dies liegt zum einen an den historisch gewachsenen Strukturen. Ein großer Teil der Belegschaften ist über Jahrzehnte „analog sozialisiert“ und hat bisher nicht genügend Berührungspunkte zu digitalen Innovationen. Privat nutzen fast alle E-Mail, WhatsApp und Co. Aber ein Gespür für die Relevanz des digitalen Wandels im eigenen Unternehmen ist meist unterentwickelt. Oft besteht eine diffuse Skepsis gegenüber der Digitalisierung, weil der persönliche Nutzen noch nicht erkannt wurde. Wir ändern unsere Haltung letztlich nur, wenn wir einen Mehrwert für unseren beruflichen oder privaten Alltag erkannt haben.

Wo steht hier die Versicherungswirtschaft, etwa auch im Vergleich mit Banken oder Kapitalanlagegesellschaften?

Was das digitale Produktangebot betrifft, haben die Finanzdienstleister einen Vorsprung. Das liegt natürlich auch an der Nutzungshäufigkeit. Denken Sie nur an den digitalen Zahlungsverkehr, insbesondere Online- und Mobile-Banking. Aber bei der Vermittlung der unternehmenseigenen digitalen Kompetenz im Kundenkontakt und der grundsätzlichen Fähigkeit, über digitale Themen zu sprechen, gibt es überall großen Nachholbedarf.

Wo gibt es denn die größeren Lücken oder den größeren Handlungsbedarf – auf der Führungsebene oder doch eher im Mitarbeiterstab?

Für alle gilt: Es findet viel Veränderung in kurzer Zeit statt und historisch erlangtes Wissen hilft nicht mehr wirklich weiter. Alle müssen neu lernen und Digitalverständnis entwickeln. Führungskräfte haben dabei zusätzlich die Herausforderung, die Zusammenhänge der digitalen Welt und des digitalen Angebots so zu durchdringen, dass Kolleginnen und Kollegen die Skepsis genommen wird. In Unternehmen erleben wir, dass die Menschen sich nicht trauen, digitale Wissensdefizite offenzulegen. Man glaubt, damit Schwäche zu zeigen und hinter den anderen, vermeintlich Wissenden zurückzuliegen.

Wir alle hören und lesen täglich die üblichen digitalen Buzzwords. Wenn wir aber in Workshops fragen: „Wer kann kurz erklären, was ein Algorithmus ist?“, bekommen wir in der Regel keine Antwort. Wenn wir dann deutlich machen, dass es nichts anderes als eine Aneinanderreihung von Befehlen ist, die dafür sorgt, dass eine bestimmte Aktion ausgeführt wird, also so etwas wie eine IKEA-Bauanleitung, hat die Gruppe mit einem Mal ein Bild vor Augen – ein Aha-Moment.

Und genau darum geht es. Digitalisierung muss auf einer „Sendung mit der Maus“-Ebene für Erwachsene vermittelt werden, sodass jeder sie versteht und da abgeholt wird, wo sie/er wissenstechnisch steht. Das konnten wir gerade auf der DKM in Dortmund wieder live erleben, wo die entsprechenden Vorträge auf unserem Digitalisierungskongress alle überfüllt waren.

Generell ist Digitalisierung ja aber eine Kernstrategie der Versicherer. Was wären denn überhaupt die wichtigsten Schritte für ein digitales Mindset in den Unternehmen?

Lassen Sie mich das aufzählen:

Schritt eins: die Haltung zur Digitalisierung positiv verändern. Dies gelingt beispielsweise, indem der persönliche Nutzen aufgezeigt wird und Menschen verstehen, weshalb sie sich mit der Thematik auseinandersetzen müssen.

Schritt zwei: Wissen aufbauen. Wer eine positive Haltung zu einem Thema entwickelt hat, möchte auch mehr dazu lernen. Durch den Aufbau von Wissen werden Menschen sprech- und handlungsfähig in der digitalen Welt.

Schritt drei: Umsetzung im Unternehmensalltag. Das Erlernte, und dazu zählt insbesondere auch das digitale Angebot des Hauses, muss im beruflichen Alltag verstanden und angewendet werden können. Jeder Mitarbeiter ist Botschafter des Hauses und sollte die digitale Unternehmensidentität und die Produktwelt an der Schnittstelle zum Kunden konsequent verinnerlicht haben.

Nur wenn diese grundlegenden Voraussetzungen erfüllt sind, können Digitalisierungsstrategien des Vorstands so umgesetzt werden, dass sie ihre volle Kraft entfalten. Andernfalls entsteht das sogenannte „Dilemma der letzten Meile“: Die Belegschaft setzt aufgrund mangelnden Wissens und der Frage nach Sinnhaftigkeit die geplanten Maßnahmen in letzter Instanz nicht konsequent um. Das kann sich ein Unternehmen in der heutigen Zeit einfach nicht mehr erlauben.

Kann man das auch auf kleinere Maklerbüros herunterbrechen?

Selbstverständlich. Zwar sind es hier nicht die groß angelegten Digitalisierungsstrategien wie auf Konzernseite, die es zu berücksichtigen gilt. Aber gerade kleine Maklerbüros leben doch vom engen Kundenkontakt. Es ist fatal, dem Kunden eine Krankenversicherung zu verkaufen, aber die Funktion der App zur Rechnungseinreichung nicht genau zu erklären. Jedes Teammitglied muss das verinnerlichen und sprechfähig zu digitalen Produkten sein. Und gerade in Zeiten schneller Veränderung kann der Makler vor Ort punkten, indem er als digitaler Lotse für seine Kunden auftritt. Und zwar weit über das Versicherungsgeschäft hinaus. Das schafft Vertrauen und Bindung.

Welche Technik hilft an welcher Stelle? Lassen Sie uns ein paar Stichwörter im Zusammenhang mit unserer Branche ansehen. Was ist mit Chatbots?

Helfen immer weiter, wenn ein Kunde ein konkretes Problem klären möchte oder nach einer bestimmten Information sucht. Chatbots haben das Potenzial, einen Großteil von wiederkehrenden Callcenter-Anliegen sofort zu beantworten. Aktive Chatbots erledigen heute schon ein gutes Drittel der Kundenanfragen. Mit steigender Tendenz. Auch in der Aufnahme von Schadenfällen sind Chatbots heute schon sehr weit.

Augmented Reality?

Sehr hilfreich bei der Ermittlung von Schadenhöhen oder auch zur Bestimmung der passenden Hausratversicherung. Wenn wir beispielsweise mit unserem Smartphone durch die Wohnung spazieren, die Kamera aktivieren und via AR alle Hausratgegenstände katalogisiert werden, ist das definitiv mehrwertig. Und zwar für Kunde und Versicherer.

Künstliche Intelligenz?

Siehe dazu die Antwort zu Chatbots. Da sehen wir schon den Einsatz von KI. Und wenn die KI meine Zahlungsverkehrsumsätze analysiert und über mein Kauf- und Nutzungsverhalten sinnvolle Versicherungstarife rechnet: Da liegt der Nutzen auch auf der Hand.

Jetzt haben wir vor allem von den Möglichkeiten gesprochen, es gibt aber an mancher Stelle große Ernüchterung: Kunden nutzen die Apps nicht, digitale Makler werden analog oder hybrid. Die Versprechen von Schnelligkeit und Einfachheit sind da, aber vieles geht nicht auf. Wie sehen Sie das?

Wir sollten uns hier die Fragen stellen, weshalb manche Kunden digitale Services nicht nutzen. Haben wir sie aus Kundensicht entwickelt? Sind sie wirklich mehrwertig? Aber, und das ist mindestens genauso wichtig: Sind unsere Mitarbeiter digital sprech- und handlungsfähig? Kann jeder Mitarbeiter unseren Kunden und auch seinem Bekanntenkreis unsere Apps mit ihren Funktionen vorstellen und den konkreten Nutzen aufzeigen? Und das Ganze bitte nicht deskriptiv, sondern mit einer klaren, verständlichen Nutzenargumentation.

Was können Sie Unternehmen an dieser Stelle bieten?

Bisher haben wir über 30.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen etablierter Unternehmen mit unserem Konzept der Digitalen Mobilisierung fit für den digitalen Wandel gemacht. Es gilt, die Haltung zur Digitalisierung positiv zu verändern, Wissen aufzubauen und die Umsetzung im Unternehmensalltag zu vollziehen. Das branchenübergreifende Feedback ist mit 98% zufriedener Nutzer herausragend.

Wie kann das Konzept dazu aussehen?

„Digitalisierung muss auf einer ‚Sendung mit der Maus‘-Ebene vermittelt werden“

Am Anfang machen wir mit der gesamten Führungsmannschaft Workshops – die sogenannten DigiDays. Hier geht es primär um die Veränderung der Haltung zur Digitalisierung. Wir zeigen ganz konkreten Nutzen auf, wecken Lust darauf, Dinge auszuprobieren, aber machen auch klar, dass ein Wegducken vor digitalen Themen im beruflichen und privaten Umfeld nicht weiterhilft. Und natürlich reden wir über die Branchentrends und darüber, wie man als Führungskraft buchstäblich morgen digitale Themen in den Arbeitsalltag integrieren kann, ohne dass es peinlich wird.

Der zweite Schritt ist eine Auftaktveranstaltung mit der gesamten Belegschaft. Die zentralen Inhalte aus den DigiDays werden in diesem Format in komprimierter Form vermittelt. Am Ende der zwei Stunden hat jeder verstanden, weshalb er nicht um die Digitalisierung herumkommt, und hat Lust, gezielt Wissen aufzubauen.

Danach erhält jeder im Haus Zugang zum Digitalen Führerschein und kann direkt mit dem Lernen loslegen. In sechs bis acht Stunden werden in kleinen Lernschritten von maximal vier Minuten allgemeine Grundlagen, branchenspezifisches Wissen zur Digitalisierung und digitale Tipps & Tricks am Arbeitsplatz vermittelt. Am Ende des Digitalen Führerscheins wird das Erlernte innerhalb eines Abschlusstests abgefragt. Für die Absolvierung des Digitalen Führerscheins lassen sich IDD-Weiterbildungszeiten anrechnen.

Lassen Sie uns zum Schluss noch einen Ausblick in die Zukunft wagen: Wie wird sich die Gesellschaft weiter verändern?

Wir befinden uns gerade in der vierten industriellen Revolution. Wenn wir in der Geschichte zurückschauen, ist die Entwicklung, die wir gerade erleben, gar nicht so neu. Sie vollzieht sich nur aufgrund des Technologiewandels schneller. Und das macht uns zu schaffen. In den nächsten Jahren werden wir als Gesellschaft neue Normen und Wertegerüste etablieren. Welchen Schutz erhält unsere Privatsphäre im Netz? Welche ethischen Standards setzen wir bei der Nutzung von künstlicher Intelligenz? Wie gehen wir mit der Tatsache um, dass das Internet keine geografischen Grenzen kennt?

Die gute Nachricht ist: Wenn wir wieder in ruhigere Fahrwasser kommen, will keiner den Wandel zurückdrehen, denn die Gesellschaft wird sich auf einem höheren Fortschritts- und Wohlstandsniveau wiederfinden.

Das Interview lesen Sie auch in AssCompact 12/2019 auf Seite 120 ff. und in unserem ePaper.

Der Digitale Führerschein bei DMA und DVA

Die Deutsche Makler Akademie und die Deutsche Versicherungsakademie haben den digitalen Führerschein von digitransform.de in ihr Angebot aufgenommen. Hier (DMA) und hier (DVA) kann das Angebot abgerufen werden.

Bild: © ulza – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Christoph Bubmann