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6. September 2020
„Kunden sollen Versicherung bei uns komplett neu erleben“

„Kunden sollen Versicherung bei uns komplett neu erleben“

Die Gothaer startet im Jahr ihres 200-jährigen Bestehens mit der Strategie Ambition 2025. Dazu gehört etwa, die Partnerschaft mit dem Mittelstand auszubauen, Kunden und Vertrieb zu unterstützen sowie die Produktwelt in neue Dimensionen zu überführen, wie Oliver Schoeller (l.), CEO, und Oliver Brüß (r.), Vertriebsvorstand der Gothaer Versicherungen, im Interview erläutern.

Herr Schoeller, die klassischen 100 Tage sind es noch nicht, aber wie waren denn die ersten 60 Tage als Gothaer CEO?

Oliver Schoeller: Sehr intensiv und sehr spannend. Zwei Themen standen im Fokus: zum einen die Corona-Krise. Hier hat sich gezeigt, wie schnell Risiken die Gesellschaft und Märkte verändern können. In dieser Situation hat die Gothaer einmal mehr bewiesen, wie wichtig eine solide Basis, aber vor allem auch Agilität und Unternehmertum sind, um dynamisch auf eine solche Situation zu reagieren. Zum anderen haben wir in den letzten Wochen unsere neue Strategie Ambition 2025 finalisiert und damit die Weichen für die kommenden fünf Jahre gestellt. Das waren intensive Diskussionen mit vielen kreativen Ideen, die die ersten 60 Tage stark geprägt haben.

Warum haben Sie auch das Kompositgeschäft übernommen?

Oliver Schoeller: Aktuell liegen die Verantwortung für den Konzern und den größten Risikoträger der Gothaer in der Tat in einer Hand. Diese Konstellation ist in diesen besonderen Zeiten sinnvoll. Die Gothaer Allgemeine ist einer der großen Gewerbe- und Mittelstandsversicherer in Deutschland. Unsere Kunden stehen gegenwärtig vor großen Herausforderungen. Da ist es von Vorteil, wenn die Kundenbedürfnisse an der Konzernspitze aufgehängt, verstanden und in Lösungen übersetzt werden. Wie wir uns in diesem Bereich langfristig aufstellen, entscheiden wir in den kommenden Monaten.

Nun zur neuen Strategie. In welche Richtung wird es gehen?

Oliver Schoeller: Wir setzen klar auf Wachstum. Dabei wollen wir unsere Position als Partner des Mittelstands weiter stärken und unsere Kunden in einer komplexer werdenden Welt begleiten. Wir werden dabei unsere Wertschöpfung deutlich erweitern. Kunden erwarten in der Zukunft nicht nur, dass wir Risiken decken, sondern dass wir helfen, sie zu verstehen, sie präventiv vermeiden und bei Risikoeintritt unterstützen, die Folgen zu bewältigen. Das Spektrum von Versicherungen wird damit viel größer. Hier werden wir unsere Stärken weiter ausbauen. Im gesellschaftlichen Zusammenhang geht es uns um Nachhaltigkeit und die Auswirkungen unseres Tuns auf künftige Generationen.

Herr Brüß, welche Weichenstellungen gibt es denn in der Strategie mit Blick auf den Vertrieb?

Oliver Brüß: Der Vertrieb und das gemeinsame Engagement für unsere Kunden sind Kernelemente unserer Strategie. Gemeinsam mit unseren Vertriebspartnern wollen wir uns noch stärker auf die Bedürfnisse unserer Kunden im Mittelstand ausrichten und ihnen ganzheitliche Lösungen für die künftigen Herausforderungen bieten – natürlich mit entsprechender digitaler Unterstützung in der Beratung, aber auch bei der Anbindung unserer Partner.

Zwingt Sie die Covid-19-Krise nicht bereits zu Anpassungen?

Oliver Brüß: Corona hat in der Tat einiges verändert und dem Thema Digitalisierung einen echten Schub gegeben. Viele Kunden und Vermittler haben ihre Scheu vor Instrumenten wie Videoberatung verloren. Gerade bei einfacheren Themen werden sich die entsprechenden Tools jetzt etablieren, da Termine viel flexibler und mit geringerem Zeitaufwand stattfinden können. Das Gleiche gilt für Online-Schulungen und Webkonferenzen mit unseren Partnern.

Was denken Sie, wie geht das Geschäftsjahr zu Ende?

Oliver Brüß: Eine genaue Prognose können wir seriös heute noch nicht abgeben. Die Pandemie wird sich sicher auf die Schadenquoten auswirken – insbesondere in der Sachversicherung im Bereich Veranstaltungsausfall- und Betriebsschließungsversicherungen haben wir umfangreiche Zahlungen an unsere Kunden geleistet. Gleichzeitig sehen wir Druck auf die Prämieneinnahmen, insbesondere die der Lebensversicherung. Kunden sind in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Gesamt­situation beim Neuabschluss verständlicherweise zurückhaltend. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass wir auch im Jahr unseres 200-jährigen Bestehens einmal mehr ein gutes Ergebnis erreichen werden.

Wenn wir die Strategie etwas herunterbrechen, welche Produkte und Neuerungen werden im Fokus stehen?

Oliver Brüß: Der Schwerpunkt Mittelstand spiegelt sich auch in unseren Produktneuheiten wider: Vor Kurzem haben wir in der Sachversicherung unseren modular aufgebauten Versicherungsschutz für KMU Gothaer GewerbeProtect umfangreich erweitert. Beispielsweise wurden die Grunddeckungen erweitert und mit Umsetzung der E-Unterschrift der Beratungsprozess weiter digitalisiert. Ebenso haben wir unser Angebot im Bereich bAV optimiert und beispielsweise eine 100%-ige Beitragsgarantie für alle Konstellationen eingeführt.

Aktuell stehen wir vor dem Launch eines Portals, das unsere Vertriebspartner bei der Beratung von Unternehmen zum Thema bAV und Arbeitgeber bei der Verwaltung der bAV- und bKV-Verträge ihrer Mitarbeiter unterstützt. Damit haben wir noch eine Alleinstellung im Markt. Und in der bKV führen wir gerade einen arbeitgeberfinanzierten Budget-Tarif für weniger als 10 Euro monatlich ein, der ab fünf Personen ohne Gesundheitsprüfung abgeschlossen werden kann.

Sie haben erwähnt, dass Produkte über den Versicherungsschutz hinausgehen werden.
Was wird man hier sehen?

Oliver Brüß: Die Branche ist klar im Umbruch. Über das reine Produkt ist eine Differenzierung immer schwieriger. Unser Ziel ist es, dass unsere Kunden die Kraft unserer Gemeinschaft spüren und Versicherung komplett neu erleben – durch ein hohes Maß an Einfachheit in unseren Produkten, Convenience in unseren Services und ganz klar Menschlichkeit in der Interaktion. Wir setzen auf unsere Vertriebspartner als zentralen Wert in der Kundenbeziehung. Klar ist aber, dass wir uns nicht auf den reinen Risikotransfer reduzieren können. Hier kommen Ökosysteme ins Spiel – Services mit Partnern neu vernetzen.

Aber wie können Vertriebspartner daran partizipieren?

Oliver Brüß: Über diese umfassende Hilfestellung, die Oliver Schoeller gerade beschrieben hat, können sich auch unsere Vertriebspartner noch besser als Partner ihrer Kunden positionieren und haben dadurch ebenfalls ein Alleinstellungsmerkmal. Und sie werden von der noch stärkeren Digitalisierung unserer Prozesse profitieren. Die Anbindung wird einfacher, Schnittstellen werden standardisiert, Prozesse beschleunigt. Hier gehen wir unseren Weg konsequent weiter, bei BiPRO sind wir ja schon länger einer der Vorreiter.

Nachhaltigkeit haben Sie als gesellschaftliches Thema angesprochen. Ist es auch ein willkommenes Thema?

Oliver Brüß: Nachhaltigkeit gehört zu den existenziellen Fragen unserer Zeit. Wenn wir das Thema heute nicht angehen, werden zukünftige Generationen fragen, warum. Für die Gothaer ist die Frage nach unserem Beitrag für die Gemeinschaft Teil unserer 200-jährigen Geschichte. Wir haben in den 1990ern begonnen, Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zu versichern, und sind in diesem Bereich die Nummer eins in Europa. Wir haben parallel 1 Mrd. Euro in diesem Segment investiert und haben schon 2018 damit begonnen, unsere Kapitalanlage auf ESG-Kriterien auszurichten. Zudem gehen wir als Unternehmen gerade deutliche Schritte in Richtung Klimaneutralität. Unsere Hauptverwaltung in Köln ist seit Mitte des Jahres CO2-neutral, die übrigen Standorte werden folgen. Nachhaltigkeit wird auch zu einem wichtigen Entscheidungskriterium für Kunden und für junge Talente.

Wo wird das Thema die Branche und die Gothaer hinführen?

Oliver Brüß: Wir haben beim Thema Nachhaltigkeit mehrere Hebel: als großer Kapitalanleger, als Unternehmen mit 4.800 Mitarbeitern, aber auch als Partner unserer Kunden. Erste Ansätze haben wir mit einer klimaneutralen Kfz-Versicherung und Rabatten für Elektro- und Hybridfahrzeuge gemacht, aber da gibt es noch viel Raum für größere Ideen und Konzepte.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 09/2020 und in unserem ePaper.