Interview mit René Schoenauer, Director of EMEA Product Marketing bei Guidewire Software
Herr Schoenauer, Sie feierten vor Kurzem das 15-jährige Jubiläum des Münchner Standorts. Welche Bedeutung hat denn der deutsche Markt für Guidewire?
Deutschland ist ein strategischer Markt für Guidewire. Für unsere globale Wachstumsstrategie ist der Standort in München ein zentraler Baustein, von welchem wir unsere zwölf Kunden in der DACH-Region optimal bedienen können. Wir haben im deutschen Markt eine sehr aktive lokale Nutzergruppe. Im Hinblick auf unsere Produktstrategie ist dieser Austausch sehr wertvoll, da wir diese ständig global im engen Austausch mit unseren Kunden weiterentwickeln.
Der Hauptsitz von Guidewire befindet sich im kalifornischen San Mateo. Worin liegen die größten Unterschiede zwischen dem Versicherungsmarkt in den USA und in Deutschland?
Die Unterschiede zwischen beiden Märkten sind relativ stark ausgeprägt. Mit Bezug auf die Versicherungsdichte, also die Prämien pro Kopf, liegt die USA vor Deutschland, das heißt, die Verbraucher geben pro Kopf mehr Geld für Versicherungen aus. Außerdem gibt es regulatorische Hintergründe, die Gesetzgebung ist schlichtweg anders – zumal in Deutschland auch die europäische Rechtsprechung berücksichtigt werden muss.
Es gibt auch Unterschiede im Bereich der Versicherungsprodukte und internen Abläufe, aber eben auch global sehr viele Gemeinsamkeiten. Dies ist einer der Gründe, weshalb wir unsere Position als globaler Marktführer mit über 500 Versicherern in mehr als 37 Ländern als unsere Kunden stetig ausbauen können. Unsere Kunden profitieren dabei vom globalen Austausch untereinander im Bereich Standardisierung, Innovation und Best Practices.
Clouds und Datenschutz werden in Deutschland anders gesehen. Welche Erfahrungen machen Sie hier?
In Deutschland ist in Sachen Datenschutz und Cloud die Gesetzgebung strikt – aber marktspezifische Anforderungen an Technologie und Datenverarbeitung sind für Versicherer nichts Neues. Jedoch zeichnet sich langsam ab, dass im Rahmen der digitalen Transformation der einzig logische nächste Schritt für Versicherer in die Cloud führt.
In Deutschland sind viele Unternehmen verständlicherweise verunsichert, die Anforderungen an den Datenschutz sind hoch und Richtlinien und Gesetzgebung kommen gleich von mehreren Quellen: BaFin, deutsche Gesetzgebung und Gesetzgebung der EU. Die Zusammenarbeit mit erfahrenen Servicepartnern hat hier den klaren Vorteil, dass ein Versicherer die Verantwortung, die nicht unbedingt seinen Kernaufgaben entspricht, in die Hände eines spezialisierten Anbieters legen kann – vom Betrieb des Systems über Updates und Compliance bis hin zum Thema Datensicherheit.
Sie sind auf den Bereich Schaden und Unfall spezialisiert. Was sind für Sie aktuell die Hauptthemen?
Die Themen Embedded Insurance und Nachhaltigkeit begleiten uns schon seit Jahren und werden uns auch allzu schnell nicht wieder loslassen, was unsere jährliche Guidewire-Verbraucherumfrage bislang bestätigt. Abseits davon sind es aber die schwierige wirtschaftliche Gesamtsituation, aber auch eine sich verändernde Risikolandschaft wie z. B. vermehrt Cyberrisiken oder die Folgen des Klimawandels, die Schaden- und Unfallversicherer derzeit viel beschäftigen. Die Inflation erhöht die Schadenkosten und häufigere, größere Umweltkatastrophen wie die Flut im Ahrtal führen zu einer langfristig erhöhten Elementarschadenbelastung. Wie man mit dieser Entwicklung umgeht, ist derzeit ein großes Thema für Schaden- und Unfallversicherer.
Gerade die Schadenregulierung gilt als Einsatzgebiet von KI. Welche Rolle spielt sie schon und wie setzen Sie diese ein?
KI und Machine Learning sind bei Versicherern schon seit Jahren im Einsatz. Zum Beispiel wären Telematik-Tarife wie bei manchen Kfz-Versicherungen ohne KI gar nicht möglich. Der Einsatz von Data Analytics wurde durch KI revolutioniert und wesentlich beschleunigt. Heute ist dieser Bereich schon so weit ausgereift, dass sogenannte Predictive Analytics genutzt werden können – diese Methodik beinhaltet eine KI, die auf Basis der Analyse historischer Daten konkrete Handlungsschritte für die Zukunft empfiehlt. In Bezug auf das Schadenmanagement lässt sich sagen, dass intelligente, cloudbasierte Kernsysteme die Automation der Schadenbearbeitung unterstützen und sich somit die Effizienz des ganzen Prozesses, aber auch am Ende die Kundenzufriedenheit durch Geschwindigkeit und Transparenz steigern lassen.
Die Realität bei den Versicherern sieht aber auch so aus: Verschiedene IT-Systeme, ungeordnete Datenfülle, hemmende Regulierung – klaffen hier Anspruch und Wirklichkeit nicht oft auseinander?
Aufgrund von Übernahmen und anderen Faktoren haben Versicherer häufig eine historisch gewachsene, heterogene IT-Landschaft. Das ist oftmals ein Umstand, an dem sich die Versicherer selbst stören, denn Altsysteme und deren Wartung lösen oft hohe Kosten aus. Aber die Zusammenarbeit mit einem Softwarepartner und dessen Cloud-Lösungen, Plattformen und Ökosystemen können Wartungskosten und -aufwand sowie Komplexität reduzieren, während sich Versicherer auf diese Weise mehr auf ihr Kerngeschäft und vor allem kontinuierliche Innovation fokussieren können.
Auch die BaFin hat Versicherer mit mangelhaften IT-Systemen zunehmend im Visier und in gravierenden Fällen mit Kapitalzuschlägen gedroht. Können Sie dies nachvollziehen und sind Unternehmen wie Guidewire hier auch gefordert?
Dass regulatorisch sichergestellt werden muss, dass Versicherer Schwachstellen im eigenen IT-System schließen und Kundendaten dadurch schützen, ist nachvollziehbar. Als SaaS-Anbieter mit Lösungen zur digitalen Transformation unterstützen wir bei Guidewire unsere Kunden dabei, den BaFin-Anforderungen zu entsprechen.
Nun sind immer mehr Player in die Abläufe der Versicherer digital eingebunden, zum Beispiel Werkstätten oder Wetterdienste, aber natürlich auch Makler. Wie geht es denn hier voran?
Prinzipiell stärkt eine bessere Vernetzung das ganze System. Mehr Daten machen Risikoanalysen und Data Analytics insgesamt genauer. Für Versicherer gibt es keine bessere Entscheidungsgrundlage als datengestützte Erkenntnisse. Und die Eingliederung mehrerer Beteiligter in digitale Abläufe kann die Schadenbearbeitung weiter beschleunigen. Daher sind diese Entwicklungen zu begrüßen. Es bedeutet aber gleichzeitig, dass die allgemeine Integrationsfähigkeit von Versicherern in allen Belangen gesteigert werden muss, idealerweise über offene API-Architekturen.
Und wie sehr werden eigentlich Sie von fortschrittlichen Technologien getrieben? Können Sie mit den Start-ups mithalten und auch schnell reagieren?
Seitdem Guidewire 2001 gegründet wurde, war es immer unsere Mission, Versicherungsinnovation voranzutreiben. Wir haben die erste Welle der Evolution von Versicherungskernsystemen angeführt, weg von selbst entwickelten Systemen hin zu Standardsoftware.
Wir führen nun auch maßgeblich die nächste Evolution dieser Systeme an, von Standardsoftware, die von Versicherern selbst betrieben wird, hin zu Standardsystemen, die wir für unsere Kunden im SaaS-Betriebsmodell betreiben. Durch dieses Modell beschleunigen wir die Fähigkeit von Versicherern, schnell zu innovieren, da wir sicherstellen, dass unsere Kunden immer auf dem aktuellsten Stand der Software sind. Zusätzlich haben wir unseren Versionszyklus extrem beschleunigt und liefern im Moment drei Versionen pro Jahr automatisiert an unsere Kunden aus. Zusätzlich mit unserem Guidewire Marketplace, wo wir über 100 vorintegrierte InsurTech-Lösungen für unsere Plattform zusammen mit unseren Partnern anbieten, und mit unserem Ursprung im Silicon Valley sind wir bestens positioniert, um als Innovationstreiber für die Versicherungsindustrie global zu agieren.
Und was wird Ihr nächstes großes Projekt?
Grundsätzlich schauen wir uns in enger Absprache mit unseren Kunden die aktuellen Themen an, die letztendlich zu kontinuierlicher Innovation der Versicherungsindustrie führen. Über die aktuellen Herausforderungen der Industrie haben wir schon gesprochen. Die Themen, die zurzeit am meisten diskutiert werden, sind die Anwendungen von KI und Generative AI in der gesamten Wertschöpfungskette, um etwa Automatisierung, Prozesseffizienz oder aber auch Kundenzufriedenheit erhöhen zu können. Es gibt zum Beispiel viele Ideen rund um das Thema Risikoprävention und proaktive Warnungen vor Risikoereignissen, die ich persönlich sehr spannend finde, da hier sowohl Versicherungskunden als auch Versicherungen selbst in hohem Maße von den Vorteilen profitieren können.
Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 08/2023 und in unserem ePaper.
Bild: © René Schoenauer, Guidewire Software

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