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6. Mai 2020
„Schon im Herbst wird der zweite Teil des EU-Aktionsplans kommen“

„Schon im Herbst wird der zweite Teil des EU-Aktionsplans kommen“

Die EU will nachhaltige Kapitalanlagen fördern und hat dafür einen Aktionsplan beschlossen. Doch die Maßnahmen sind erst der Anfang. Europa soll Vorreiter und Maßstab nachhaltiger Finanzsysteme werden. Beim ersten Aktionsplan wird es daher nicht bleiben, erläutert Sven Giegold, Sprecher der Europagruppe Grüne.

Herr Giegold, die Europäische Union hat sich auf einen Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzsystem verständigt. Warum ist ein solcher notwendig?

Einer der Gründe ist, dass die Finanzwirtschaft Risiken konzentriert, die in der Gesellschaft ohnehin bestehen. Nach wie vor sind milliardenschwere Vermögenswerte in nicht nachhaltigen Bereichen investiert. Die Politik wird früher oder später aber ernst mit der ökologischen Transformation unserer Wirtschaft machen. Dann drohen diese Vermögenswerte dramatisch an Wert zu verlieren. Darauf muss der Sektor vorbereitet sein. Und darauf muss auch jeder Kapitalanleger vorbereitet sein.

Wir realistisch ist so eine Gefahr?

Mit den vier großen deutschen Energieversorgern haben wir genau so einen Fall in den vergangenen Jahren bereits erlebt. Sie haben sich in kurzer Zeit von gefeierten Börsenstars in Wertvernichter verwandelt. Das darf dem Finanzsystem nicht als Ganzes geschehen. Deshalb ist es wichtig, dass wir Maßnahmen ergreifen, um ökologische und soziale Risiken sichtbar zu machen und sie im Finanzsystem systematisch zu vermindern. Das nutzt am Ende Kapitalanlegern und schafft zugleich ein grünes Wachstumssegment.

Also geht es auch um Risikominimierung in den Portfolios der Anleger?

Richtig. Dazu muss der Anleger aber erst einmal wissen, wo die Risiken stecken. Dafür brauchen wir Regeln, die die Offenlegung von ökologischen, sozialen und Governance-bezogenen Risiken verbindlich machen – zumindest bei allen großen Unternehmen.

Was ist konkret geplant, um das zu erreichen?

Einen ersten Aktionsplan „Sustainable Finance“ der EU gibt es ja bereits. Er hat insbesondere dazu geführt, dass wir eine sogenannte Taxonomie entwickelt haben. Das heißt, dass wir Regeln dafür aufgestellt haben, welche Kapitalmarktprodukte sich als nachhaltig bzw. sustainable bezeichnen dürfen. Diese Klassifizierung soll die Basis für die massenhafte Verbreitung einer neuen Generation von Finanzmarktprodukten legen. Wir haben heute schon nachhaltige Finanzprodukte, die aber unterschiedlichen Regeln unterliegen. Diese Regeln werden wir europäisieren und damit Europa zu einem Leitmarkt für nachhaltiges Investieren entwickeln. Das ist bereits am Laufen.

Und war eine große Herausforderung. Insbesondere beim Thema Atomkraft gab es ja zwischen den Ländern sehr unterschiedliche Nachhaltigkeitsauffassungen …

Das ist richtig. Durch die sogenannte Do-no-harm-Regelung ist Atomkraft nun zum Glück ausgeschlossen. Denn Atomenergieinvestitionen in nachhaltigen Finanzprodukten hätten die Glaubwürdigkeit und damit auch den wirtschaftlichen Erfolg der Produkte gefährdet.

Wie sieht der Zeitplan für den ersten Aktionsplan aus?

Der aktuelle Stand ist, dass die Taxonomie 2021 in Kraft treten wird. Zur Fertigstellung müssen jetzt die Detailregeln der Taxonomie erstellt werden. Die zuständige Expertengruppe hat gerade ihren Bericht vorgestellt. Auf dieser Basis wird die EU-Kommission jetzt ihre delegierten Rechtsakte, also untergesetzliche europäische Regeln, verabschieden. Sobald sie da sind, kann der Markt europaweit richtig los­legen. Für den Klimabereich ist das noch für dieses Jahr vorgesehen, für die anderen ökologischen Standards im nächsten Jahr. Und dann gibt es grünes Licht.

Muss es dann auch noch in nationale Gesetze umgesetzt werden?

Nein. Es handelt sich um Verordnungen. Die gelten direkt in der ganzen EU. Sonst hätten wir wieder das ganze Theater unterschiedlicher nationaler Regelungen. Genau deshalb wollen wir in diesem Bereich keine Richtlinie, weil sich die Dinge sonst wieder in jedem Land ein bisschen unterscheiden. Dann hätten wir wieder keinen einheitlichen europäischen Kapitalmarkt. Nur die Einheitlichkeit des Kapitalmarkts gibt uns aber die Größenvorteile, die wir brauchen. Das ist in vielen Bereichen der europäischen Finanzpolitik unser Problem. Wir haben nach wie vor lauter fragmentierte Märkte und schaffen es deshalb nicht, in allen Bereichen die Vorteile der Eurozone zu nutzen. Diesen Fehler sollten wir bei den ökologischen Anlagen nicht wiederholen.

Gibt es neben dem ersten Aktionsplan bereits weitere Planungen?

Ja. Schon im Herbst wird der zweite Teil des Aktionsplans kommen. Dabei geht es darum, dass wir das, was wir bei den großen Banken schon geschafft haben, auch für andere große Finanzmarktakteure wie Kapitallebensversicherungen und Fonds verbindlich vorschreiben: dass sie Klimarisiken verbindlich offenlegen müssen. Als zweiten Punkt erwarten wir, dass es Regeln für Ratingagenturen geben wird. Heute bekommen auch Unternehmen mit sehr hohen Klimarisiken wie etwa die großen Öl- und Gaskonzerne immer noch Best-Ratings. Die Ratingagenturen gehören offensichtlich trotz vieler gegenteiliger Beteuerungen immer noch zu den Klimaskeptikern. Das kann man sich als Gesetzgeber auf Dauer nicht einfach so anschauen. Schließlich spielen diese Ratings eine wichtige Rolle für die gesetzlichen Eigenkapitalanforderungen.

Hinzu kommt die Idee eines Standards für grüne Anleihen. Der sogenannte Green Bond Standard soll dafür sorgen, dass die stark zunehmende Emission von Green Bonds in Europa gemeinsamen Standards unterliegt. Wir wollen zudem zu einer Verbraucherregelung kommen, sodass ähnlich wie beim Blauen Engel oder dem EU-Biosiegel im Supermarkt auch Finanzprodukte als besonders nachhaltig ausgezeichnet werden und damit für den einzelnen Anleger direkt ersichtlich attraktiver werden.

Um auch der Vielzahl an Eigenlabels entgegenzuwirken?

Genau. Ich kritisiere die Anbieter dafür gar nicht, sondern bin froh darüber, dass viele Akteure mittlerweile auf das Thema aufmerksam geworden sind. Aber wenn wir ein Leitmarkt werden wollen, dann brauchen wir einheitliche Vorgaben – ähnlich wie beim Fondsstandard UCITS/OGAW, der zum weltweiten Markenzeichen für regulierte Investmentfonds geworden ist. Einen ähnlichen Standard können wir im Bereich der nachhaltigen Geldanlagen setzen und damit Europas Finanzwirtschaft in diesem Punkt führend zu machen.

Wir sind im Moment schon führend, zum Beispiel bei der Ausgabe von grünen Anleihen. Ein klares und weniger missbrauchsanfälliges Regelwerk kann uns aber dabei helfen, die Nase vorne zu behalten. Davon würde Europa gesamt- und finanzwirtschaftlich profitieren, zumal Europa bei sozialen und ökologischen Standards im internationalen Vergleich hierfür nach wie vor am glaubwürdigsten ist. Würden die USA derzeit in diesem Bereich etwas machen und die Führungsrolle übernehmen wollen, würde das bei vielen Leuten ein Grinsen hervorrufen. Den Vorteil Europas in diesem Bereich sollten wir uns zunutze machen. Die Finanzwirtschaft hätte eine neue Generation von Produkten, die weltweit bisher noch nicht stark verbreitet sind.

Neben der EU hat auch die Bundesregierung das Thema nun erkannt. Ein Nachhaltigkeitsbeirat der Bundesregierung hat Handlungsansätze für eine deutsche Sustainable-Finance-Strategie erarbeitet. Wie sinnvoll ist so eine nationale Strategie?

Dazu kann ich nur sagen: besser spät als nie. Die Bundesregierung wie auch relevante Teile der Finanzwirtschaft in Deutschland haben dem Ganzen lange mit großer Skepsis entgegengesehen. Inzwischen hat die Bundesregierung verstanden, dass das keine boshafte Bedrohung der europäischen Finanzwirtschaft ist, sondern Vorteile auf beiden Seiten zu generieren sind.

Ist ein solcher Plan aber nicht im Grunde überflüssig, wenn ohnehin europaweit gültige Regeln kommen?

Das haben Sie jetzt gesagt. Aber ich kann Ihnen nicht widersprechen. Dass die Bundesregierung mit diesem Beirat nun signalisiert, dass sie das, was wir in Europa längst schon machen, unterstützen will, freut mich. Wenn die Große Koalition etwas schneller wäre, könnten wir aber schon viel weiter sein.

Das Interview lesen Sie auch in AssCompact 04/2020 auf Seite 68f und in unserem ePaper.

Bild: © Dominik Butzmann