Die Frage bei Mitarbeitern eines Unternehmens, was sie unter „Agilität“ verstehen, wird oft mit den gleichen Schlagworten beantwortet: Agile Maturity, Product Owner, cross-funktionale Teams. Diese Antwort paart sich häufig mit dem Zusatz: „Die Organisation arbeitet schon lange agil.“ Doch es klingt nur auf oberflächlicher Ebene so, als sei alles im Lot. Treffe ich die Mitarbeiter privat, werden derlei Aussagen relativiert: „Es läuft noch nicht so, wie gewünscht.“
Meine Erfahrung zeigt: Mitarbeiter reden über Agilität, weil sie in ihrem Arbeitsalltag damit konfrontiert werden: in Meetings, Rundmails, Coachings, Konferenzen etc. Agilität hat sich hier aber nicht als neues Mindset etabliert.
„Ich argumentiere aber, dass man als Organisation all diesen Kriterien folgen kann [...] und dennoch nicht das Mindset von Agilität wirklich hundertprozentig verinnerlicht hat.“
Den agilen Reifegrad ermitteln
Modelle zur Bemessung des agilen Reifegrades einer Organisation, wie das Agile Maturity Model, existieren bereits. Hier kommen oftmals empirisch beobachtbare Fakten zum Tragen, wie: Wie oft geben sich Mitarbeiter konstruktives Feedback? Wie oft prüfen Teams, wie sie sich prozessual verbessern können? Neben diesen Lehrbuch-Kriterien spielen noch andere Faktoren eine wichtige Rolle.
Wir versuchen zu ermitteln, ob das Mindset von Agilität von jedem Einzelnen verinnerlicht wurde, und nicht, ob der Mitarbeiter seine Vokabeln gelernt hat. Denn: Man kann Vokabeln und Grammatik kennen, und trotzdem die Sprache nicht sprechen. Die Unterscheidung, die ich hier einführen möchte, besteht zwischen der rein organisatorischen auf der einen und der kulturellen Agilität auf der anderen Seite. Der organisatorische Teil besteht aus dem reinen Regelwerk, Methoden, Anweisungen usw. Bei der Kultur sprechen wir hingegen von Werten, die die Art und Weise der täglichen Zusammenarbeit betreffen. Nur wer diese Werte verinnerlicht und nach deren Realisierung strebt, lebt automatisch agil.
„Organisationen, die darüber reden, dass sie agil seien, sind weniger agil, als die, die nicht darüber reden – es aber jeden Tag leben.“
Die drei Stufen kultureller Agilität
Der Grad der Agilität lässt sich in drei Kategorien einteilen. Da sind zum einen die Organisationen, die über keinerlei Reflexion ihres eigenes Tuns verfügen. Sie fragen nicht, was sie anders tun können und reagieren schlecht auf externe Veränderungen. Zum zweiten gibt es die Unternehmen, die auf einer oberflächlichen Ebene agil sind. Sie beschäftigen sich mit dem Thema, doch der Arbeiter stellt nach wie vor lediglich ein „Rädchen im System“ dar. Das Vokabular der Agilität kennen die Mitarbeiter in- und auswendig, doch ist ihre Motivation, an diesem Prozess teilzunehmen, vor allem extrinsischer Natur. Man macht mit, weil man in Rundschreiben dazu aufgefordert wird und seinen Job nicht verlieren möchte. Zur Kategorie drei zähle ich die wirklich Agilen. Hier wollen beteiligte Personen von sich aus wertvoll sein. Kollegen arbeiten konstruktiv miteinander zusammen, weil sie einen Mehrwert in dieser Form von Kommunikation erkennen. Sie sind tatsächlich an Feedback von Kunden und Kollegen interessiert und möchten alte Standards – im Zweifel ihre eigenen – durch neue, effizientere ersetzen. Die Kultur und die Werte dieser Art von Unternehmen sind grundlegend anderer Natur.
„Agile Personen wollen intrinsisch nützlich sein. Sie wollen, dass ihre Arbeit Wert stiftet.“
Die meisten Unternehmen werden sich in Kategorie zwei wiederfinden. Wer herausfinden möchte, wie es um den Reifegrad in der eigenen Organisation bestellt ist, muss nur eine Sache herausfinden: Sind die Mitarbeiter agil, weil sie qua Handlungsanweisung dazu gebracht werden oder weil sie es wirklich leben und von sich aus tun?
Hier geht es zur Studie zu Agile Maturity. Hinter diesem Link ist die aktuelle Podcast-Episode zu finden.
Über den Podcast
Seit April 2020 veröffentlicht Jonas Piela regelmäßig Gespräche mit Vorständen und Managern der Versicherungswirtschaft über die digitale Transformation. Sein Ziel ist, dass seine Zuhörer einem lockeren Gespräch unter Gleichgesinnten lauschen und so Ideen und Anregungen für die eigene Arbeit mitnehmen. Zu finden ist der Podcast unter anderem bei Google, Apple und Spotify sowie unter pielaco.com/podcast und dkm365.de.
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