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12. März 2018
Assekuranz und Nanotechnologie: Chancen und Risiken der Zukunft

Assekuranz und Nanotechnologie: Chancen und Risiken der Zukunft

In Sonnencremes oder Nahrungsmitteln, Nanoteilchen begegnen uns überall. Wer haftet, wenn ein Produkt aufgrund der neuen Technologie zu Schäden führt? Beim AssCompact Gewerbe-Symposium hat Michael Staschik von der NÜRNBERGER die Maklerschaft für die „Schlüsseltechnologie des Jahrhunderts“ sensibilisiert.

Tütensuppen, die nicht mehr verklumpen, selbstreinigende Fensterscheiben und biologisch abbaubare Plastiktüten – Nanotechnologie kann in zahlreichen Fachgebieten vielfältig angewendet werden. In der Automobilindustrie sorgt sie für kleine leistungsfähige Batterien, in der Bauwirtschaft für stabile und leichte Materialien.

Der Begriff „nano“ (griechisch für „Zwerg“) bezeichnet allerdings lediglich die Größe (1 nm = 10–9 m) der Teilchen, legt aber nicht fest, wie der Reinstoff gekennzeichnet ist. Verschiedene Partikel unterscheiden sich also in ihren Stoffeigenschaften und damit auch in den Bereichen, in denen sie genutzt werden können. Nano-Siliciumdioxid ist in vielen Gewürzmischungen und in Speisesalz enthalten, da das Trennmittel das Rieselverhalten verbessert. Nano-Silber wird hingegen aufgrund seiner antimikrobiellen Wirkung in der Textilindustrie verwendet. Und in Zahnpasta, Farben sowie Kosmetika findet sich das Weißpigment Titandioxid. In unserem Alltag kommen wir mit Nanoteilchen nicht nur dauernd in Berührung, wir nehmen sie über den Mund und die Atemwege auch auf. Doch ob und wie sie dem Körper schaden, ist wissenschaftlich bislang nicht geklärt.

Neue Technologien bergen neue Risiken

Zahlreiche Untersuchungen weisen zwar auf mögliche umwelt- und gesundheitsschädliche Aspekte hin. Eine konkrete Gefährdung ist derzeit jedoch nicht nachweisbar. Nanomaterialien, die als freie Teilchen in Produkten wie Deos, Haarsprays und Farbsprühdosen enthalten sind, werden vom Umweltbundesamt in einem Bericht aus dem Jahr 2016 als gesundheitsschädlich eingestuft.

Zudem zeigen Tierversuche, dass die Teilchen vereinzelt tief in das Lungengewebe eindringen und es krankhaft verändern können. Die Europäische Chemikalienagentur ECHA klassifiziert beispielsweise Titandioxid als krebserregend, wenn es eingeatmet wird. Versuche mit Mäusen zeigten zudem, dass die ultrafeinen Partikel schädlich für die Gehirnzellen sind. Wie stark sie den Menschen gefährden und ob sie auch über die Haut oder den Magen-Darm-Trakt aufgenommen werden, ist bisher aber unklar. Nano-Silber kann aufgrund von Silberablagerungen zu neurologischen Erkrankungen führen – vorausgesetzt, es wird über die Haut resorbiert. Siliciumdioxid, besser bekannt als der Nahrungsergänzungsstoff E551, ist in großen Einheiten gebündelt unschädlich. Wissenschaftler haben jedoch nachgewiesen, dass sich die Verbindung im Darm wieder in seine Nanobestandteile aufspalten kann. Werden diese über die Darmwand aufgenommen, besteht die Möglichkeit, dass der Zellkern angegriffen wird.

Wer haftet im Ernstfall?

Die Gefahren der Nanotechnologie sind so vielfältig wie ihre Einsatzgebiete. Da es noch an quantitativen empirischen Daten fehlt, ist es schwer, die Haftungsrisiken einzuschätzen. Zudem existiert bis jetzt noch kein eigenständiges Nanotechnologiegesetz. Für eine rechtliche Betrachtung sind daher verschiedene Normen zu berücksichtigen, insbesondere das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), das Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) oder das Arzneimittelgesetz (AMG).

Die Ansprüche des Verbrauchers sind im ProdHaftG geregelt. Es bestimmt die verschuldungsunabhängige Ersatzpflicht des Produktherstellers. Demnach hat sich jeder Hersteller für die Schäden, die sein Produkt hervorruft, zu verantworten. Das gilt auch für Nanoprodukte. Die Haftung wird aber ausgeschlossen, wenn es sich um sogenannte Entwicklungsrisiken handelt. Das bedeutet, dass der Produzent nicht für Schäden aufkommen muss, wenn der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft zum Zeitpunkt der Markteinführung des Produkts nicht erkannt werden konnte. Dennoch ist der Unternehmer verpflichtet, die Entwicklung seines Produkts nach Markteintritt zu beobachten. Werden dann noch Mängel erkannt, hat er alle ihm möglichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Gefahren abzuwehren, beispielsweise durch einen Rückruf an den Endnutzer. Solange keine Fehler nachgewiesen sind, muss sich der Hersteller der Ware folglich nicht um die Haftung sorgen. Fraglich kann die Anwendbarkeit dieses Haftungsausschlusses im Bereich der Nanotechnologie sein. Sicherlich gibt es noch keinen konkreten Beweis für die gesundheitsschädigende Wirkung am Menschen. Aufgrund der bislang vorliegenden Forschungsergebnisse lässt sich ein Risiko für die Gesundheit aber auch nicht gänzlich verneinen.

Auswirkungen auf die Versicherungsbranche

Das macht die Thematik nicht nur für die möglich Haftenden, sondern auch für die Assekuranz ebenso interessant wie riskant. Denn in den gängigen Versicherungsbedingungen gibt es keine Ausschlüsse für diese Risiken. Im Schadenfall wären Versicherungen in allen Bereichen, von der betrieblichen Haftpflicht und der Produkthaftpflicht über die Umwelthaftpflicht bis hin zur Umweltschadenversicherung betroffen. Der Versicherungswirtschaft bliebe hier als möglicher Rettungsanker die Anwendung der sogenannten Erprobungsklausel: Der Anspruch des Herstellers ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, wenn die in Umlauf gebrachten Erzeugnisse nach dem Stand der Technik oder in sonstiger Weise nicht ausreichend erprobt waren. Sie lässt sich allerdings nur bei Sach- und Vermögensschäden anwenden. Kommt es zu Personenschäden, greift die Erprobungsklausel nicht und der Versicherer steht in der Pflicht, für die entstandenen Kosten aufzukommen.

Nanotechnologie: Ein offenes Kapitel

Ob und wie sich die Risiken der Nanotechnologien auf die Branche auswirken und welche Schäden zu erwarten sind, ist bislang offen. Fest steht, dass Nanotechnologien derzeit in der Regel implizit mitversichert sind. Da der Markt rasant wächst und die Möglichkeiten der Nanopartikel noch lange nicht ausgeschöpft sind, bieten sich den Versicherungsunternehmen neben vielen Handlungs- auch neue Geschäftsfelder. So könnten entweder hochriskante Materialien in den Verträgen ausgeschlossen oder spezielle Nanopolicen angeboten werden. Für die Versicherer ist es ratsam, die Anwendung unterschiedlicher Nanomaterialien stetig zu beobachten, um ihr Gefahrenpotenzial richtig einschätzen zu können. Denn langfristig betrachtet werden nur jene Unternehmen profitieren, die durch Einführung eines entsprechenden Risiko-Monitorings eine vorausschauende Risikoselektion betreiben.

Den Artikel lesen Sie auch in der AssCompact Sonderedition „Gewerbeversicherung“, Seite 14 f.

 
Ein Artikel von
Von Michael Staschik