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28. Dezember 2022
BaFin: Wohlverhaltensaufsichtliche Aspekte bei kapitalbildenden LV-Produkten
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BaFin: Wohlverhaltensaufsichtliche Aspekte bei kapitalbildenden LV-Produkten

Trotz Kritik und Diskussionen über Provisionsdeckel hat sich die kapitalbildende Lebensversicherung bis heute ohne wesentliche Änderungen erhalten. In einem Merkblatt formuliert die BaFin nun ihr Verständnis, wie die Vorgaben der IDD umgesetzt werden können. Ein Überblick von Hans-Ludger Sandkühler.

Ein Artikel von Hans-Ludger Sandkühler

Trotz nicht verstummender Kritik insbesondere aus dem Lager der Verbraucherschützer, trotz zahlreicher gesetzgebe­rischer Maßnahmen (VVG-Reform, LVRG, Versicherungsvertriebsrichtlinie) und trotz Diskussionen über Provisionsdeckel oder Provisionsrichtwerte hat sich die kapitalbildende Lebensversicherung bis heute ohne wesentliche Änderungen bei der Vergütung erhalten. Nun hat die BaFin den Entwurf eines Merkblatts zur Konsultation gestellt, in dem sie ihr Verständnis formuliert, wie die „wohlverhaltensaufsichtlichen“ Vorgaben der IDD (Artikel V, Informationspflichten und Wohlverhaltensregeln) in der Praxis umgesetzt werden können. Ein Überblick.

Seit Jahrzehnten steht die kapitalbildende Lebensversicherung im Kreuzfeuer der Kritik. Stetig im Fokus der Kritik: Art und Umfang der Vergütung. Der Vorwurf: Vermittler stopfen sich die Taschen voll, Kunden schauen in die Röhre. Tatsächlich betrugen 2021 die ausgezahlten Leistungen aus Haupt- und Zusatzversicherungen insgesamt 84,5 Mrd. Euro. Eine volkswirtschaftlich beachtliche Größe.

Hintergrund

Versicherungsvermittler erhalten als Vergütung für ihren Vermittlungserfolg eine Abschlussprovision. Bemessungsgrundlage für die Abschlussprovision ist die Beitragssumme (Summe aller Beiträge) des Vertrages oder eine abgeleitete Größe. Seit August Zillmer werden die Abschlusskosten zwar kalkulatorisch über die gesamte Laufzeit des Vertrages verteilt. Dabei wird aber der Vertrag in den ersten Jahren der Vertragslaufzeit mit einem deutlich höheren Kostenanteil belastet. Dies ist gerade bei vorzeitiger Beendigung des Vertrages für den Kunden nachteilig. Allerdings haben gesetzgeberische Maßnahmen (VVG-Reform, LVRG) in der Vergangenheit diesen Effekt etwas abgemildert.

Inhalt des Merkblatts

Das Merkblatt stützt sich auf die „wohlverhaltensaufsichtlichen“ Vorgaben der Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) zum Produktfreigabeverfahren (Art. 25 IDD) sowie zur Vertriebsvergütung und zu Interessenkonflikten (Art. 17 Abs. 3, Art. 27, Art. 28, 29 Abs. 2 IDD), die entsprechenden delegierten Verordnungen der Europäischen Kommission (DV 2017/2358 und DV 2017/2359) und die nationalen Vorschriften der §§ 23, 48a VAG. Es gilt für alle Lebensversicherungsprodukte mit Sparkomponente, ausdrücklich auch für Direktversicherungen, Riester- und Basisrenten.

Inhaltlich formuliert das Merkblatt das Verständnis der BaFin, welche konkreten Pflichten sich aus den genannten Vorschriften für Versicherer ergeben. Darüber hinaus enthält es beispielhafte Hinweise zur Erfüllung der Vorgaben. Die Hinweise sollen es Versicherern ermöglichen, unter Berücksichtigung der von der BaFin bereitgestellten Risikoindikatoren angemessene Ergebnisse für die Versicherungsnehmer bei der Anwendung der „wohlverhaltensaufsichtlichen“ Vorgaben zu ermöglichen. Die BaFin erwartet dabei eine unternehmenseigene Feststellung des Kundennutzens im Rahmen des Produktfreigabeverfahrens sowie eine unternehmenseigene Prüfung von Fehlanreizen in der Vertriebsvergütung und gibt dazu weitere Hinweise.

Feststellung des Kunden­nutzens im Rahmen des Produktfreigabeverfahrens

Im Rahmen des in Art. 25 IDD grundsätzlich skizzierten Produktfreigabeverfahrens haben Versicherer für jedes Produkt einen Zielmarkt festzulegen und dabei sicherzustellen, dass das Produkt den Bedürfnissen, Zielen und Merkmalen des Zielmarkts entspricht. Dabei sind nach dem Verständnis der BaFin bei der Prüfung des angemessenen Kundennutzens bestimmte Produkteigenschaften einzubeziehen. Das sind insbesondere die Art und Weise der Prämienkalkulation, die Art und Weise der Durchführung der Überschussbeteiligung, bei fondsgebundenen Lebensversicherungen zudem die Fonds, die der Kunden wählen kann, Rückvergütungen von Fondsgesellschaften an den Versicherer und Rückvergütungen von Fondsgesellschaften an Vertriebspartner des Versicherers.

Bei der Prüfung des angemessenen Kundennutzens ist zudem zu berücksichtigen, dass kapitalbildende Lebensversicherungen in der Regel zur privaten Altersversorgung abgeschlossen werden und insoweit ein angemessener Kundennutzen zumindest voraussetzt, dass die Produkte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Rendite nach Kosten erzielen, die über einer begründeten langfristigen Inflationserwartung von etwa 2% liegt. Versicherer haben deshalb bei ihrer Prüfung des angemessenen Kundennutzens das Zusammenwirken von Rendite (vor Kosten), Kosten und Inflation zu beachten. Dabei kommt – so die BaFin – den Effektivkosten des Produkts, die Versicherer im Rahmen ihrer Produktherstellung beeinflussen können, aufsichtsrechtlich eine besondere Bedeutung zu.

In diesem Zusammenhang problematisiert die BaFin die „frontlastige“ Kalkulation der Abschluss- und Vertriebskosten und ihre besonderen Auswirkungen bei vorzeitiger Vertragsbeendigung. Versicherer müssen deshalb prüfen, ob und in welchem Umfang den „frontlastigen“ Kosten ein angemessener Kundennutzen gegenübersteht. Soweit die Kosten einen angemessenen Kundennutzen infrage stellen, sollen Versicherer Maßnahmen zur Analyse der Aufwendungen für Versicherungsvermittler und zur Reduzierung der einkalkulierten Kosten ergreifen. Bei Fondspolicen müssen Versicherer außerdem prüfen, ob hier gegebenenfalls höheren Abschlusskosten als bei kapitalbildenden Versicherungen ohne Fondsanlage auch ein höherer Informations- und Beratungsaufwand bei der Vermittlung gegenübersteht, der einen entsprechenden Kundennutzen begründen kann.

Nach dem Verständnis der BaFin müssen Versicherer im Rahmen des Produktfreigabeverfahrens auch die Auswirkungen unterschiedlich hoher Aufwendungen für unterschied­liche Vertriebswege, Rückvergütungen von Fondsgesellschaften an Versicherer und Rückvergütungen von Fondsgesellschaften an Vertriebspartner der Versicherer berücksichtigen. Zu diesen Punkten gibt es weitere Hinweise im Detail.

Prüfung von Fehlanreizen in der Vertriebsvergütung

Neben den Vorschriften zum Produktfreigabeverfahren enthält die IDD eigenständige Vorgaben zur Vertriebsvergütung und zu Interessenkonflikten (Art. 17 Abs. 3, Art. 27, Art. 28, 29 Abs. 2). Nach Auffassung der BaFin kann sich bereits aus der Höhe einer Abschlussprovision ein Fehlanreiz für den einzelnen Vertragsschluss ergeben. Deshalb sollen Versicherer eine Abschlussprovision im Hinblick auf ihre Höhe auch daraufhin prüfen, welcher Wert ihr aus Sicht des Kunden zukommt. Also informative und umfangreiche Beratung versus Schnellverkauf. Hohe Abschlussprovisionen können auch mit weiteren qualitativen Kriterien wie zum Beispiel einer individuellen Stornoquote verbunden werden. Umgekehrt haben volumenbezogene Provisionen oder gar Vorauszahlungen Indizwirkung für Fehlanreize.

Bewertung

Der Inhalt des Merkblatts stellt hohe Anforderungen an die Produktentwicklung in den Häusern der Versicherer, bildet aber gleichzeitig eine Grundlage für einen überwiegend ausgeglichenen Kompromiss von Kundeninteressen und provisionsbasiertem Vertrieb. Im Detail gibt es sicher noch Gesprächsbedarf. Warten wir das Ergebnis der Konsultation ab.

Über den Autor

Hans-Ludger Sandkühler ist aus­gewiesener Experte in Maklerfragen, gefragter Referent und Autor zahlreicher Veröffentlichungen. Außerdem ist er Mitinitiator des Arbeitskreises „Beratungsprozesse“ sowie Geschäftsführer des Instituts für Verbraucherfinanzen.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 12/2022, S. 108 f., und in unserem ePaper.

Bild: © Artur – stock.adobe.com