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5. Januar 2022
Baufinanzierung: Was bewegt den Markt 2022?
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Baufinanzierung: Was bewegt den Markt 2022?

Der Wettbewerb im Bereich der Immobilienfinanzierungen nimmt zu. Werden Kunden künftig Baufinanzierungen selbstständig online abschließen ohne Rücksprache mit Beratern? Warum Beratung gefragt bleibt, erörtert Michael Neumann, Vorstandsvorsitzender der Dr. Klein Privatkunden AG, in einem Ausblick.

War die Situation für Bau­finanzierer in den letzten Jahren noch relativ komfortabel, so spannt sich die Lage jetzt an – sowohl Kreditinstitute als auch Vermittler finden veränderte Rahmenbedingungen vor. Die Branche konsolidiert sich: Die Bewegung weg von Ein-Produkt-Strategien hin zur Vermittlung an ein breites Spektrum von Produktanbietern gewinnt an Tempo. Zu den Kriterien, die über den nachhaltigen Geschäftserfolg bestimmen, gehören neben einem großen Produktgebernetzwerk eine hohe Bereitschaft für Innovationen sowie klug eingesetzte technologische Entwicklungen, die den Menschen unterstützen.

Die Nutzererfahrung zählt

Baufinanzierungen bleiben ein lukratives Geschäft. Mit steigenden Immobilienpreisen wächst der Finanzierungsbedarf, und ein Ende dieses Trends zeichnet sich nicht ab. Allerdings verschärft sich der Wettbewerb um Immobilienfinanzierungen: Die Stückzahlen reduzieren sich. Schon in diesem Jahr hat sich phasenweise abgezeichnet, dass weniger Objekte auf dem Markt sind, Bestandsimmobilien eher gehalten als verkauft werden und der Neubau alleine den Markt nicht beleben kann. Ursache hierfür sind die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank, die die Möglichkeiten von alternativen rentierlichen Investments stark einschränkt, sowie die anhaltenden Unsicherheiten durch die noch nicht überstandene Pandemie.

Wenn der Kuchen größer wird, allerdings aus weniger Stücken besteht, müssen sich die Marktteilnehmer strecken, um das Geschäft zu machen. Und hier sehe ich ganz deutlich: Nur die Anbieter werden langfristig bestehen können, die ihr Geschäftsmodell an der Nutzer­erfahrung ausrichten. Kunden erwarten zukünftig auch von Finanz­produkten, was sie aus den großen Webshops kennen: Es muss einfach funktionieren, schnell und transparent sein. Nicht umsonst kaufen acht von zehn erwachsenen Deutschen über den Online-Händler Amazon ein: Kunden erwarten die größtmögliche Auswahl auf einen Blick, um daraus die beste Entscheidung für sich treffen zu können.

Amazonisierung der Finanzprodukte?

Gegenüber Banken sind Vermittler deutlich im Vorteil. Denn der umfassende Marktüberblick über hunderte verschiedene Kreditinstitute ist ihre Schlüsselkompetenz: Wer eine Baufinanzierung braucht, möchte nicht nur das eine Produkt angeboten bekommen. Zwar gehen langsam einige Banken dazu über, bei Bedarf ihren Kunden auch Produkte ihrer Mitbewerber anzubieten – aber sie bleiben mit ihren Möglichkeiten und ihrem Leistungsangebot weit hinter Vermittlern zurück, deren Modelle auf dem Plattformgeschäft basieren.

Wo sich Banken im Spannungsfeld zwischen Nutzerorientierung auf der einen Seite und Herausforderungen durch Regulatorik und technologischen Altlasten auf der anderen Seite befinden, punkten Vermittler mit Agilität. Dazu gehören unter anderem große Freiräume für technologische Entwicklungen im Sinne der Kunden.

Die entscheidenden Fragen zurzeit sind: Wie lässt sich der Prozess von der Finanzierungs­anfrage bis zur Zusage beschleunigen? Von welchen Tätigkeiten und Aufgaben kann Technologie die Berater entlasten? Welche Voraussetzungen müssen geschaffen werden, um die Objekteinwertung und die Bonitätsbewertung im Hintergrund automatisiert laufen zu lassen? Ziel muss sein, alle Möglichkeiten, die beispielsweise maschinelles Lernen schon heute hat, zu nutzen, damit sich die Spezialisten auf das konzentrieren können, was nur sie können: mit ihrer Empathie, ihrer Kreativität und ihren Fähigkeiten die individuell passende Baufinanzierung zu empfehlen.

Bedarf an Beratung bleibt langfristig bestehen

Im Gegensatz zu Konsum­gütern, die auf Plattformen – auch von Dritten – angeboten werden, sind Baufinanzierungen deutlich komplexere Produkte. Es handelt sich um wesentlich größere und vor allem weitreichendere Finanzentscheidungen: Bei Nichtgefallen lässt sich der Vertrag nicht rückgängig machen. Aus diesem Grund kommt die Amazonisierung bei Baufinanzierungen an ihre Grenzen: Die Beratung durch Spezialisten ist Kundenwunsch. In der Customer Journey verschiebt sie sich immer weiter nach hinten, Kunden informieren sich immer umfassender, bevor sie den persönlichen Rat einholen. Aber der wird weiterhin wichtig sein. Bei Dr. Klein glaubt man nicht, dass Kunden den Prozess durchgängig selbstständig ohne Rücksprache mit Beratern durchführen wollen. Zumindest nicht, wenn sie die bestmögliche Finanzierung am Markt suchen.

Konzept statt Standard

Trotz aller technologischen Neuerungen und Quantensprünge, die man in den nächsten Jahren beispielsweise bei der sofortigen Kreditzusage am Point of Sale sehen wird: Viele Baufinanzierungen sind jenseits vom Standard. Zu den Herausforderungen für Kunden und Finanzierer gehören 2022 zum Beispiel weiter wachsende Blanko-Anteile: Die Preise für Immobilien entfernen sich von den Beleihungswerten, mit denen die Banken den nachhaltigen Wert der Objekte beurteilen. Auch die steigenden Kaufnebenkosten erhöhen die Anforderungen an Eigenkapital, ebenso konservativ agierende Kreditinstitute, die ihre Kreditvergaberichtlinien im Zuge der Pandemie verschärft haben.

Zugleich wird auch das Jahr 2022 noch durch Unsicherheiten geprägt sein: durch die weiterhin hohe Inflation, die die aktuelle Zinspolitik der EZB unter Druck setzt, anhaltende Lieferengpässe und Materialknappheit. Das alles trägt dazu bei, dass auch künftig individuelle Finanzierungskonzepte gefragt sein werden. Lange Zinsbindungen zur Vermeidung von Zinsänderungsrisiken oder flexible Tilgungskonzepte für die notwendige Flexibilität sind nur zwei Bestandteile von Finanzierungen, für deren Beratung profundes Wissen und Zeit erforderlich sind.

Fazit: Diversifizierung nicht aufzuhalten

Plattformbasiert arbeitende Finanzierungsvertriebe haben in den letzten Jahren dynamisch Markt­anteile gewonnen: Ihr Vertriebs­anteil am Neugeschäft betrug laut einer aktuellen Studie der Boston Consulting Group 2020 schon 38% – gegenüber 13% zehn Jahre zuvor. Banken müssten sich sehr anstrengen, um in Zukunft einen wesent­lichen Anteil des Geschäfts selbst zu vertreiben – aber es ist nicht zu erkennen, dass sie den Trend der letzten Jahre spürbar verändern. In Zukunft wird sich der Markt aufgliedern in Produktgeber und Finanzierungsvermittler. Vermittler sind aufgefordert, agil technologische Innovationen hervorzubringen und die Bankpartner in schnelle und effiziente digitale Prozesse einzubinden.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 01/2022 und in unserem ePaper.

Bild oben: © sommart – stock.adobe.com; Porträtfoto: © Dr. Klein Privatkunden AG

 
Ein Artikel von
Michael Neumann