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18. April 2019
Berufsunfähigkeit: Zur Verletzung der Nachfrageobliegenheit

Berufsunfähigkeit: Zur Verletzung der Nachfrageobliegenheit

Eine Verletzung der Nachfrageobliegenheit durch den Versicherer führt nicht automatisch zum Verlust des Rechts zur Arglistanfechtung, so entschied das Oberlandesgericht Brandenburg in einem Urteil. Ein Beitrag von Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke, Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte.

Das Urteil des Oberlandesgerichts Brandenburg vom 11.12.2018 (Az.: 11 U 72/16) zur Verletzung der Nachfrageobliegenheit durch den Versicherer bei Berufsunfähigkeit fasse auch deutlich die Darlegungs- und Beweislastverteilung bei einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung zusammen, so Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz sowie Partner und Gründer der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte.

Im konkreten Fall war ein Versicherungsnehmer als LKW-Berufskraftfahrer im internationalen Güterverkehr tätig. Er bestellte einen Vermittler, um seinen Versicherungsbedarf prüfen zu lassen, unter anderem hinsichtlich der Berufsunfähigkeitsvorsorge. Dieser vermittelte ihm eine Berufsunfähigkeitsversicherung bei einem Lebensversicherer.

Im Antragsformular wollte der Versicherer wissen, ob der Versicherungsnehmer in den letzten zehn Jahren unter anderem wegen Beschwerden der Gelenke, wie Gicht, oder psychischer Erkrankungen in ärztlicher Behandlung war. Außerdem fragte der Versicherer generell nach (ärztlichen) Behandlungen und Krankenhausaufenthalten in den zurückliegenden fünf Jahren. Diese Gesundheitsfragen verneinte der Versicherungsnehmer. Er erwähnte diverse Vorerkrankungen und Behandlungen nicht, unter anderem Behandlungen wegen Kniebeschwerden, Gicht und Stressreaktionen. Auch mehrfache ambulante und stationäre ärztliche Behandlungen auf der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses blieben unerwähnt.

Als der Versicherungsnehmer berufsunfähig wurde, machte er Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung geltend. Im Zuge der Leistungsprüfung erklärte der Versicherer den Rücktritt sowie die Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen Verletzung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheiten und arglistiger Täuschung.

Darlegungs- und Beweislast bei der Verletzung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheiten

Bei Vertragsschluss hat ein Versicherungsnehmer dem Versicherer alle ihm bekannten Gefahrumstände anzuzeigen, welche geeignet sind, den Entschluss des Versicherers zum Vertragsabschluss zu beeinflussen.

Grundsätzlich obliegt dem Versicherer der Nachweis der Arglist. Steht fest, dass Angaben bei Vertragsabschluss objektiv falsch waren, trifft wiederum den Versicherungsnehmer eine sekundäre Darlegungslast. Dieser muss dann nachvollziehbar vortragen, wie und weshalb es zu den Falschangaben gekommen war. Trägt der Versicherungsnehmer dazu nichts vor oder gibt unplausible Erklärungen ab, so ist seine Arglist als bewiesen anzusehen.

Für arglistiges Handeln genügen falsche oder unvollständige Angaben als solche nicht. Arglist setzt ferner voraus, dass der Versicherungsnehmer erkennt und billigt, dass der Versicherer bei Kenntnis des wahren Sachverhalts den Antrag nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen würde. Arglist lässt sich grundsätzlich nur mithilfe von Indizien nachweisen. Eine wichtige Rolle spielen dabei unter anderem die Auswahl der genannten und nicht genannten Befunde oder die zeitliche Nähe zur Antragstellung.

OLG Brandenburg: Erfolgreiche Arglistanfechtung

Nach Ansicht des OLG Brandenburg hatte der Versicherungsnehmer bei Antragsstellung gefahrerhebliche Umstände verschwiegen. Konkrete Gesundheitsfragen wurden objektiv falsch beantwortet. So hatte er Gelenkprobleme und psychische Leiden nicht mitgeteilt, obwohl danach gefragt war.

Dieses Verschweigen bewertete das OLG als arglistig, da die Gefahrerheblichkeit der verschwiegenen Umstände auf der Hand lag. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen waren nicht offenkundig belanglos. Derartige Gelenkbeschwerden beeinträchtigen gerade die berufliche Leistungsfähigkeit eines LKW-Kraftfahrers, der die meiste Arbeitszeit hinter dem Lenkrad verbringt und sofort auf das jeweils aktuelle Verkehrsgeschehen reagieren muss. Behandlungen wegen Depressionen und Stressreaktionen sind ebenfalls für die Risikobeurteilung des Versicherers bei einem Berufskraftfahrer bedeutsam.

Der Versicherte gab keine (plausible) Erklärung dafür an, warum die Knie- und Gelenkprobleme sowie die psychischen Leiden nicht angegeben wurden. Er kam daher der sekundären Darlegungslast nicht nach. Infolgedessen urteilte das OLG, dass der Versicherte aufgrund erfolgreicher Arglistanfechtung des Versicherungsvertrags keinen Anspruch auf Rentenzahlungen hat.

Keine Verletzung der Nachfrageobliegenheit des Versicherers

Vorliegend fiel dem Vermittler des Versicherungsvertrages beim Beratungsgespräch auf, dass sich der Versicherungsnehmer als positiv gesund darstellte und Anlass gab, betreffend den Gesundheitszustand nachzufragen. Den Versicherer trifft eine Nachfrageobliegenheit, das heißt, er muss nachfragen, wenn der künftige Versicherungsnehmer bei Antragstellung ersichtlich unvollständige oder unklare Angaben macht. Das OLG Brandenburg weist jedoch darauf hin, dass vorliegend eine etwaige Verletzung der Nachfrageobliegenheit des Vertragsvermittlers nicht dem Versicherer zuzurechnen ist.

Zum einen ist vorliegend auf den Vermittler die sogenannte „Auge und Ohr“-Rechtsprechung nicht anzuwenden. Das OLG Brandenburg geht davon aus, dass der Vermittler als selbstständiger Makler handelte. Ein Versicherungsmakler ist bei Antragsaufnahme jedoch nicht als „Auge und Ohr“ der Versicherung anzusehen. Diese Rechtsprechung bezieht sich nur auf (empfangsbevollmächtigte) Versicherungsagenten.

Zum anderen kommt es laut OLG nicht darauf an, ob den Versicherer vorliegend überhaupt eine Nachfrageobliegenheit traf. Seiner Ansicht nach führt eine Verletzung der Nachfrageobliegenheit nämlich nicht automatisch zum Verlust des Rechts zur Arglistanfechtung.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Das Urteil überzeugt im Ergebnis, denn es wäre an dem Versicherungsnehmer gewesen, im Rahmen der sekundären Darlegungslast substanziiert vorzutragen, warum gewisse Erkrankungen nicht angegeben wurden. Denn dann wäre auch nicht ausgeschlossen gewesen, dass das Gericht möglicherweise zu einem anderem Ergebnis gekommen wäre, wenn der Versicherte überzeugend und schlüssig erklärt, warum er beispielsweise Gewisse Behandlungen vergessen hat anzugeben.

Für die Praxis ist festzustellen, dass es sinnvoll ist, jede Leistungseinstellung eines Berufsunfähigkeitsversicherers von einem juristischen Experten überprüfen zu lassen, gerade wenn dem Versicherten ein arglistiges Verhalten vorgeworfen wird. Wie man an vielen anderen Entscheidungen sieht, ist nicht jede Leistungseinstellung des Versicherers rechtlich haltbar und hält einer gerichtlichen Überprüfung stand (vgl. BGH vom 10.05.2017 – Az. IV ZR 30/16). Übt der Versicherer Gestaltungsrechte aus, so muss stets im Einzelfall geprüft werden, ob der Versicherer überhaupt dazu berechtigt gewesen ist. Für Leistungseinstellungen gibt es formelle sowie materielle Voraussetzungen (vgl. OLG Saarbrücken vom 07.04.2017– Az. 5 U 32/14). Dieses muss der Versicherer einhalten und seine Entscheidungsbegründung transparent, nachvollziehbar und vollständig vorlegen (vgl. OLG Hamm vom 27.09.2017 – Az: 20 U 96/17).

Hinweis

Die Kanzlei Jöhnke & Reichow wird zu diesem Rechtsbereich auch auf den Vermittler-Seminaren 2019 referieren. Dabei sind die Rechtsanwälte der Kanzlei an den sechs Standorten vor Ort vertreten. Start ist am 07.05.2019 in Düsseldorf: www.vermittler-seminar.de

OLG Brandenburg, Urteil vom 11.12.2018, Az.: 11 U 72/16