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9. Dezember 2021
BGH-Urteil zur Werbung für ärztliche Fernbehandlung
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BGH-Urteil zur Werbung für ärztliche Fernbehandlung

ottonova hat vor dem BGH eine Niederlage hinnehmen müssen: Die Karlsruher Richter verkündeten in einem aktuellen Urteil, dass die von der digitalen privaten Krankenversicherung betriebene Werbung für ärztliche Fernbehandlung nicht rechtmäßig war.

Die digitale private Krankenversicherung ottonova hatte auf ihrer Internetseite mit der Aussage „Erhalte erstmals in Deutschland Diagnosen, Therapieempfehlung und Krankschreibung per App“ für die von einer privaten Krankenversicherung angebotene Leistung eines „digitalen Arztbesuchs“ mittels einer App bei in der Schweiz ansässigen Ärzten geworben. Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs Frankfurt am Main e.V. hatte in dieser Werbung einen Verstoß gegen das Verbot der Werbung für Fernbehandlungen nach § 9 HWG gesehen und ottonova auf Unterlassung in Anspruch genommen.

Ergänzung des § 9 HWG im Dezember 2019

In den ersten beiden Instanzen am Landgericht (LG) und Oberlandesgericht (OLG) München hat die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs Recht bekommen. Strittig war die Auslegung des § 9 des Heilmittelwerbegesetzes, der telemedizinische Behandlungen zwar erlaubt, eine Werbung hierfür aber nicht. Im Lauf des Berufungsverfahrens ist § 9 HWG mit Wirkung zum 19.12.2019 durch einen Satz 2 ergänzt worden. Danach gilt das nun in Satz 1 geregelte Werbeverbot für Fernbehandlungen nicht, wenn für die Behandlung nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.

BGH: Arzt muss Patient untersuchen können

Der BGH hat nun aber entschieden, dass die beanstandete Werbung gegen § 9 HWG sowohl in seiner alten als auch in seiner neuen Fassung verstößt.

ottonova habe unter Verstoß gegen § 9 HWG in seiner alten Fassung für die Erkennung und Behandlung von Krankheiten geworben, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen beruhe. Eine eigene Wahrnehmung im Sinne dieser Vorschrift setze voraus, dass der Arzt den Patienten nicht nur sehen und hören, sondern auch – etwa durch Abtasten, Abklopfen oder Abhören oder mit medizinisch-technischen Hilfsmitteln wie beispielsweise Ultraschall – untersuchen könne. Dies erfordere aber die gleichzeitige physische Präsenz von Arzt und Patient und sei im Rahmen einer Videosprechstunde nicht möglich.

Allgemein anerkannte fachliche Standards ≠ Regelungen des geltenden Berufsrechts

§ 9 Satz 2 HWG sei zwar in seiner neuen Fassung nicht auf die Werbung für Fernbehandlungen anzuwenden, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen – zu diesen Kommunikationsmedien gehören auch Apps. Das gelte aber nur, so die Karlsruher Richter, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich sei. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt gewesen. Mit den allgemein anerkannten fachlichen Standards seien nicht die Regelungen des für den behandelnden Arzt geltenden Berufsrechts gemeint. Es komme daher nicht darauf an, ob die beworbene Fernbehandlung den Ärzten in der Schweiz schon seit Jahren erlaubt sei. Der Begriff der allgemein anerkannten fachlichen Standards sei vielmehr unter Rückgriff auf den entsprechenden Begriff in § 630a Abs. 2 BGB auszulegen, der die Pflichten aus einem medizinischen Behandlungsvertrag regelt. Auch die dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze seien zu beachten. Danach könnten sich solche Standards auch erst im Laufe der Zeit entwickeln und etwa aus den Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften oder den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß §§ 92, 136 SGB V ergeben. 

BGH: Beanstandete Werbung unzulässig

Außerdem erläuterten die Richter des BGH in ihrem Urteil: Es sei für eine umfassende, nicht auf bestimmte Krankheiten oder Beschwerden beschränkte ärztliche Primärversorgung (Diagnose, Therapieempfehlung, Krankschreibung) im Wege der Fernbehandlung geworben worden. Das Berufungsgericht habe aber nicht festgestellt, dass eine solche umfassende Fernbehandlung den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemeinen fachlichen Standards entspreche. Da ottonova dies auch nicht behauptet hatte und insoweit kein weiterer Sachvortrag zu erwarten war, konnte der BGH abschließend entscheiden, dass die beanstandete Werbung unzulässig ist. 

ottonova zuversichtlich

Der ottonova-Gründer und Vorstandsvorsitzende, Dr. Roman Rittweger, akzeptiert die Entscheidung aus Karlsruhe: „Natürlich sind wir enttäuscht, aber es ist gut, dass wir Klarheit haben. Wir werden weiterhin die Digitalisierung in der Krankenversicherung vorantreiben [...]. Wir stehen bei den digitalen Möglichkeiten in der medizinischen Behandlung noch ganz am Anfang, der Zuspruch hierfür wird sich wie ohnehin die gesamte Branche in den kommenden Jahren zunehmend verändern.“ Thomas Oßwald, General Counsel der ottonova, ergänzt: „Wir müssen natürlich zunächst die Urteilsbegründung abwarten. Aber ist schwer nachvollziehbar, dass die Fernbehandlung einerseits von der Politik gewollt und dem Gesetzgeber erlaubt, die Werbung dafür aber verboten ist.“ (ad)

BGH, Urteil vom 09.12.2021 – I ZR 146/20

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