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5. April 2022
BU bei Schmerzen mit somatischen und psychischen Faktoren

BU bei Schmerzen mit somatischen und psychischen Faktoren

In einer Berufsunfähigkeitsversicherung kann die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit auch auf der Diagnose einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren beruhen. Das hat das OLG Frankfurt am Main einem Kläger zugestanden, der Simulationsvorwürfen ausgesetzt war.

Ein als Flugzeugabfertiger tätiger Arbeitnehmer hatte eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) abgeschlossen, bevor sein Arbeitsverhältnis wegen zunehmender gesundheitlicher Beschwerden mit einem Aufhebungsvertrag endete. Die Versicherung lehnte Leistungen aus der Berufungsunfähigkeitsversicherung für ihn aber ab. Das Landgericht hat die Klage auf Leistung nach Einholung einer Vielzahl von Gutachten zurückgewiesen: Es sei keine eine Berufsunfähigkeit begründende somatische oder psychische Erkrankung festzustellen. Die vom Arbeitnehmer angeführten Beschwerden entsprächen nicht den objektiven Befunden. Auf psychiatrischem Gebiet sei offengeblieben, ob ein bewusstseinsnaher, willentlicher Prozess vorliege oder aber unbewusste Mechanismen die Schmerzverarbeitung bestimmten.

OLG holt internistisch-rheumatologisches Gutachten ein

Die hiergegen eingelegte Berufung des Flugzeugabfertigers hatte vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) Erfolg. Das Gericht verurteilte die beklagte Versicherung zur Leistung aus der abgeschlossenen BU. Das OLG hat für seine Entscheidung ein internistisch-rheumatologisches Gutachten eingeholt. Nach aufwendiger Diagnostik seien zwar sowohl eine rheumatische Erkrankung als auch eine Fibromyalgie ausgeschlossen worden. Es seien vom Sachverständigen aber auf somatischem Gebiet objektiv nachweisbare Beeinträchtigungen in einem Umfang von 40% festgestellt worden (u. a. arthrotische Veränderungen an den Fingern sowie am Daumensattelgrundgelenk). Hieran anknüpfend sei der Sachverständige für psychosomatische Medizin zu der überzeugenden Feststellung einer „chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ gelangt, die zu Leistungseinbußen von deutlich mehr als 50% im zuletzt ausgeübten Beruf des Flugzeugabfertigers führten.

Unterschied zwischen chronischer Schmerzstörung mit und ohne somatische und psychische Faktoren

Im Gegensatz zur „chronischen Schmerzstörung“, die allein in erster Instanz als Diagnose diskutiert worden sei, setze die Diagnose einer „chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ nicht die Feststellung eines psychischen Konflikts oder einer psychosozialen Belastungssituation voraus. Die Diagnose der „chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ sei erst im Jahr 2009 in den Diagnoseschlüssel (ICD-10) eingeführt worden, da häufig ein psychischer Konflikt oder eine psychosoziale Belastungsstörung lediglich nicht eruierbar seien, hierdurch jedoch die Diagnosestellung gefährdet sei. Dies zeige auch der vorliegende Fall nachdrücklich auf. Der Arbeitnehmer sei im konkreten Fall Simulationsvorwürfen ausgesetzt gewesen. Diese hätten jedoch nach umfangreicher Diagnostik durch den Sachverständigen als erfahrenem Facharzt für Psychosomatik überzeugend ausgeräumt werden können.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die beklagte Versicherung kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde die Zulassung der Revision beim BGH begehren. (ad)

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 23.02.2022 – 7 U 199/12

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